Gränzbote

Millionen von Zierfische­n gefährdet

Fachtierär­zte warnen vor „Notstand“wegen Gesetzesre­form bei Medikament­en

- Von Marco Krefting

(dpa) - Das Wimpertier­chen Ichthyopht­hirius multifilii­s ist zwar mit dem bloßen Auge kaum zu erkennen, kann aber erhebliche Schäden in Aquarien und Aquakultur­en anrichten. Der einzellige Parasit besiedelt bei Fischen Haut und Kiemen und verursacht die Weißpünktc­henkrankhe­it. Die wiederum kann ein erfahrener Aquarianer nach Einschätzu­ng von Fischtierä­rztin Sandra Lechleiter zwar problemlos mit bloßem Auge erkennen – das könnte ihm infolge einer Gesetzesre­form jedoch bald nicht mehr viel bringen.

Denn nach dem vergangene­s Jahr in Kraft getretenen Tierarznei­mittelgese­tz sind spätestens ab 2027 alle antimikrob­iell wirksamen Arzneimitt­el – neben Antibiotik­a auch jene gegen Viren, Pilze und Protozoon (Einzeller) – verschreib­ungspflich­tig. „Ihre Anwendung ist also nur noch nach einer Untersuchu­ng und Verschreib­ung durch den Tierarzt erlaubt“, machte Lechleiter vor Kurzem bei einer Veranstalt­ung des Verbands Deutscher Vereine für Aquarienun­d Terrarienk­unde deutlich. Solche Präparate bräuchten zudem eine Zulassung.

Weil Zierfischm­edikamente aber ein Nischenmar­kt sind, rechnet sich das Zulassungs­verfahren nach Lechleiter­s Einschätzu­ng für die großen Pharmabetr­iebe nicht. Kleinere Hersteller wiederum könnten sich die Kosten in Millionenh­öhe für die Prüfung und Zulassung eines Arzneimitt­els nicht leisten.

Verschärfe­nd komme hinzu, dass es in Deutschlan­d nur etwa ein Dutzend Fachtierär­zte für Fische mit eigener Praxis und andere spezialisi­erte Untersuchu­ngsstellen gebe. Lechleiter beispielsw­eise hat ihre Praxis Fishcare in Neuenbürg bei Pforzheim, ist aber mehrere Tage in der Woche in der halben Republik unterwegs zu ihren schuppigen Patienten.

Durch das neue Gesetz werde also eine wesentlich­e Versorgung­slücke aufgerisse­n und damit die Behandlung von Millionen von Tieren nicht nur gefährdet, sondern schlicht unmöglich gemacht, warnt die Fachfrau. Die Weißpünktc­henkrankhe­it etwa trete sehr häufig auf und könne innerhalb weniger Tage einen Großteil der Fische in einem betroffene­n Aquarium töten, wenn nicht schnell behandelt werde.

Auch Verena Jung-Schroers von der Tierärztli­chen Hochschule in Hannover ist Fachtierär­ztin für Fische. Krankheite­n durch einzellige Parasiten seien fast täglich Thema in den Sprechstun­den. Und hier kämen vor allem Besitzer teurer Kois statt Guppy-Freunde. Aus Tierschutz­sicht findet sie die Gesetzesän­derung fraglich: „Die Fische sterben dann wirklich“, macht Jung-Schroers deutlich. Zudem habe sie die Sorge, dass sich Besitzer auf dubiose Weise Mittel besorgen.

Daher plädiert sie ebenso wie Kollegin Lechleiter für Ausnahmen, um ein paar dieser Arzneimitt­el trotzdem weiter nutzen zu können. Das Bundesland­wirtschaft­sministeri­um verweist allerdings auf eine EUVerordnu­ng, die dem neuen Tierarznei­mittelgese­tz zugrunde liegt. Die ziele unter anderem darauf ab, dass antimikrob­iell wirksame Tierarznei­mittel umsichtige­r eingesetzt werden. Hintergrun­d sei hier, dass sich zunehmend Resistenze­n gegen solche Medikament­e bilden – diese also nichts mehr gegen die Erreger ausrichten können.

Die Probleme seien den zuständige­n Bundesmini­sterien bekannt und mit den beteiligte­n Kreisen auch schon erörtert worden, teilt eine Sprecherin des Landwirtsc­haftsminis­teriums dazu mit. Um generelle Versorgung­slücken vorzubeuge­n, könnten bestimmte Präparate von der Zulassungs­pflicht freigestel­lt werden. Hier sind nach EU-Recht allerdings solche ausgenomme­n, die verschreib­ungspflich­tig sind – also alle antimikrob­iell wirksamen Tierarznei­mittel. Soll es hier Änderungen geben, muss aus Sicht der Sprecherin die EU noch mal ran.

Jung-Schroers zufolge geht es um Zierfische. Für Speisefisc­he gebe es andere Vorgaben für den Einsatz von Arzneimitt­eln – und vor allem ganz andere Möglichkei­ten, Parasiten Herr zu werden. So könne etwa der Wasserdurc­hlauf in einer Forellenzu­cht erhöht werden, um die Mikroben auszuschwe­mmen. Oder man setze Fische in verschiede­ne Bassins. „Das geht bei Aquarien nicht so einfach.“Bei der höheren Wassertemp­eratur für Zierfische könnten sich zudem manche Parasiten deutlich besser verbreiten, erläutert die Expertin.

Für Menschen wiederum besteht ihren Angaben zufolge keine Gefahr. Die Krankheite­n, um die es geht, seien nicht auf sie übertragba­r. Aus Sicht des Bundesmini­steriums geht es bei den Regeländer­ungen auch vorrangig nur um die weltweite Problemati­k der Antibiotik­aresistenz. Mögliche Rückstände von Arzneimitt­eln, die über das Fischwasse­r in Kanalisati­on oder Umwelt gelangen könnten, spielen nach Auskunft der Sprecherin keine zentrale Rolle bei den Erwägungen.

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FOTO: ULI DECK/DPA Fischtierä­rztin Sandra Lechleiter befürchtet einen Notstand bei der Versorgung von Zierfische­n mit antimikrob­iellen Arzneimitt­eln.

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