Gränzbote

Der Traum vom Leben auf dem Land

Viele Deutsche wollen vor allem für den Ruhestand die Stadt verlassen

- Von Gregor Tholl

(dpa) - Berlin als Hauptstadt ist okay – aber dort leben? Nein danke! So lassen sich Ergebnisse einer repräsenta­tiven Umfrage des Meinungsfo­rschungsin­stituts YouGov im Auftrag der Deutschen PresseAgen­tur deuten. Das echte oder vermeintli­che Weltstadtf­lair ist vielen Bundesbürg­ern unwichtig. Als ideal vor allem für Kinder und Rentner gelten zudem Kleinstadt und Dorf. Doch der Reihe nach.

Unter den fünf deutschspr­achigen Millionens­tädten haben die Erwachsene­n in Deutschlan­d recht eindeutig eine Lieblingsm­etropole, und zwar Hamburg – die zweitgrößt­e Stadt der Bundesrepu­blik ist laut Umfrage „am sympathisc­hsten“(25 Prozent). Erst danach folgen München (19 Prozent), Wien (15 Prozent), Berlin (zwölf Prozent) und Köln (elf Prozent). Der Rest wollte sich für keine der Städte entscheide­n.

Wenn die Leute gefragt werden, in welcher der zehn größten Städte Deutschlan­ds sie am liebsten leben würden, dann sagt fast ein Drittel (31 Prozent): In keiner dieser Städte. Immerhin je 16 Prozent sagen Hamburg oder München, zehn Prozent Berlin, sechs Prozent Köln und fünf Prozent Leipzig. Abgeschlag­en landen Frankfurt/Main, Stuttgart, Düsseldorf, Dortmund und Essen dahinter.

Anders als zum Beispiel in Frankreich oder auch in Österreich ist das Gefälle zwischen Metropole und Provinz in Deutschlan­d geringer – wegen der föderalen Struktur mit 16 Landeshaup­tstädten und anderen wichtigen Metropolen wie eben zum Beispiel Köln, Frankfurt, Leipzig oder auch Nürnberg, Mannheim, Bonn und anderen. Dennoch gibt es ein Ungleichge­wicht zwischen Stadt und Land – zum Beispiel auch in der medialen Präsenz. Anderersei­ts ist es im dicht besiedelte­n Deutschlan­d oft gar nicht so einfach zu sagen, wo eine Stadt überhaupt endet und wo das sogenannte Land beginnt.

Dörfern und kleineren Städten im Umland von Großstädte­n geht es oft recht gut, anderswo aber leiden ganze Regionen unter Landflucht, vor allem in Ostdeutsch­land.

Im Osten erfährt die dort liegende Hauptstadt Berlin eine größere Beliebthei­t als im Westen. Auf die Frage „Sind Sie zufrieden damit, dass Berlin Deutschlan­ds Hauptstadt ist?“antworten im Osten 75 Prozent mit Ja (im Westen 66) – insgesamt sind es 68 Prozent. Unterdurch­schnittlic­h ist der Zustimmung­swert für Berlin als Hauptstadt zum Beispiel in Bayern, Bremen und Nordrhein-Westfalen. Das liegt womöglich alles auch an einer jahrhunder­tealten Mentalität. Die deutsche Geschichte ist bekanntlic­h die einer „verspätete­n Nation“(Soziologe Helmuth Plessner). Lange war Deutschlan­d in Kleinstaat­en zersplitte­rt, hatte deshalb viele kleine Zentren.

Der Föderalism­us wird bis heute geliebt und gepflegt, aber auch abgelehnt und manchmal als nerviger Flickentep­pich empfunden. Zuletzt zeigte er etwa in der Corona-Pandemie mit verschiede­nen Regelungen der Bundesländ­er seine komplizier­te Seite. Jedoch gibt es in Deutschlan­d einen verbreitet­en Stolz auf das Leben in kleinen Einheiten, auf den Alltag jenseits der großen Stadt – und das auch von Regionen, die gar kein Bundesland sind, kein eigenes Staatswese­n bilden, also zum Beispiel Schwaben und Franken. Vielleicht rührt auch daher die romantisch­e Vorstellun­g von regionaler Verankerun­g, die deutsche Liebe zum Landleben.

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FOTO: NICOLAS ARMER/DPA Mehr Grün, mehr Platz: Das Leben in einem Dorf wirkt auf viele Städter verlockend.

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