Zankapfel Trossingen
Bei der Kreisgebietsreform 1970 entscheidet sich die Bürgerschaft knapp für Tuttlingen
- Vor gut 50 Jahren hat eine große Kreisreform die politische Landschaft in Baden-Württemberg neu geordnet. Auch der Landkreis Tuttlingen hat seine heutigen Grenzen erhalten. Ein besonderer Zankapfel war dabei Trossingen – dort durften oder mussten die Bürgerinnen und Bürger abstimmen, welchem Kreis sie künftig angehören. Das schlug Wellen und spaltete die Einwohnerschaft. Ein Blick zurück.
„Bekennt sich Trossingen zum Kreis Tuttlingen oder gerät es in den Sog des Oberzentrums?“. So lautet eine Zeitungsschlagzeile 1970. Genau darum geht es seinerzeit: In welche Richtung orientieren sich Trossingen und seine Umlandgemeinden? Möglich erscheinen zwei Wege: Einmal steht ein so genannter Großkreis im Raum, in dem die früheren Kreise Villingen, Rottweil (zu dem Schwenningen gehörte), Tuttlingen (in den schon vorher der einstige Kreis Spaichingen aufgegangen war) und Donaueschingen aufgehen sollten. Die Alternative ist ein vergrößerter Landkreis Tuttlingen. In vielen Gemeinden ist man sich einig: Die kleine Lösung soll es sein, auch wenn es im Detail noch Streitfälle gibt. Das Land bevorzugt die maximale Lösung und will den Raum
Trossingen Villingen zuschlagen, Sitz des geplanten Großkreises. Diese Neuordnung soll nicht nur für Trossingen gelten, sondern auch für dessen Nachbarschaft – das damals noch selbständige Schura, Talheim, Durchhausen und Tuningen.
In den Kommunen selbst ist die Haltung eindeutig: Verbleib bei Tuttlingen. Nur Tuningen will sich nach Villingen orientieren. Der Trossinger Gemeinderat stimmt im Juni 1970 für Tuttlingen, die Umlanddörfer nach und nach ebenfalls. Trotzdem sieht eine Regierungsvorlage vom Oktober 1970 vor, die Raumschaft Trossingen in den Großkreis um Villingen-Schwenningen zu verschieben. Die Diskussion wird hitzig, der Kreistag in Tuttlingen sichert der Musikstadt Garantien zu für den Fall, im Kreis Tuttlingen zu verbleiben. Das betrifft etwa das Kreiskrankenhaus in Trossingen, das erhalten bleiben soll. In der Stadt selbst ist man nicht eindeutig positioniert: Der Junibeschluss fällt nicht einstimmig aus, Bürgermeister Heinz Mecherlein neigt eher dem Großkreis zu.
Eine Bürgeranhörung soll für Klarheit sorgen. Sie findet im November 1970 statt, vorher wogt ein Wahlkampf pro und contra durch die Stadt. Die VS-Befürworter schreiben in einem Flugblatt: „Was die Tuttlinger den Trossingern versprechen, das hätten sie seit 25 Jahren halten und verwirklichen können“und „Zusagen, die erst wenige Tage vor der Abstimmung gegeben werden, sind zu durchsichtig, um die Trossinger Wähler umstimmen zu können“.
Die Tuttlingen-Fraktion hält gegen und warnt: „Lasst Euch nicht von Eurem Umland durch eine Kreisgrenze trennen!“, „Wollt Ihr auch noch Aldingen, Aixheim, Gunningen und Talheim verlieren?“– oder auch: „Weigheim und Tuningen habt Ihr bereits durch die Anziehungskraft von Schwenningen verloren.“Am 28. November 1970, einem Sonntag, findet dann die Anhörung in den Trossinger Wahllokalen statt.
Die Fragestellung lautet: „Wünschen Sie für den Fall, dass der Großkreis nicht zustande kommt, die künftige Zugehörigkeit der Stadt Trossingen zu einem vergrößerten Kreis Tuttlingen oder zu einem vergrößerten Kreis Villingen?“Das Votum fällt denkbar knapp aus: 1540 votieren für Tuttlingen, 1509 für Villingen. Die Trossinger Abstimmung – eng, wie sie ist – plus die eindeutige Kreistagshaltung bewirken den Umschwung in Stuttgart. Im Regierungsentwurf vom Januar 1971 verbleibt Trossingen samt Schura und Durchhausen bei Tuttlingen. Nur Tuningen, dessen Gemeinderat sich knapp für VS entschieden hat, wechselt nach diesem
Modell in den Schwarzwald-BaarKreis – so, wie es heute noch gültig ist. Im Juli 1971 verabschiedet der Landtag in Stuttgart schließlich die Kreisreform, die auch die heutigen Grenzen des Landkreises Tuttlingen festschreibt. In Kraft tritt sie am 1. Januar 1973, also vor ziemlich genau fünf Jahrzehnten. Trossingen und seine Nachbargemeinden bleiben diesem Kreis erhalten, eine Lösung, die heute wohl niemand in Zweifel ziehen würde. Besondere Bindungen und Orientierungen nach Schwenningen gibt es aber heute noch.
Und eines der zentralen Tuttlinger Versprechen, mit dem man Trossingen ködern wollte, ist nicht eingehalten worden: der Erhalt und sogar Ausbau des dortigen Krankenhauses. Und die Neuordnung hat ein weiteres Nachspiel: Parallel zur Kreis- läuft eine Gemeindeeeform ab, die vor allem zahlreiche Eingemeindungen und Vereinigungen vorsieht – unter anderem die Eingliederung von Schura nach Trossingen. Zum Paket gehört auch die vom Land vorgesehene Eingemeindung von Talheim nach Trossingen. Die Gemeinde wehrt sich mit einer Klage beim Staatsgerichtshof.
Der entscheidet am – ein Schelm, wer sich da was denkt – am 1. April 1976 pro Talheim und contra Trossingen. Talheim bleibt eigenständig und ist es heute noch.