Gränzbote

Was vom Hype übrig bleibt

Die WM-Leistung von Gabriel Clemens macht Darts in Deutschlan­d zum Trend – Doch auch auf Dauer?

- Von Patrick Reichardt

(dpa) - Auf der Reise in die Heimat fühlte sich Gabriel Clemens trotz seiner famosen Festwoche von London unvollende­t. Das Erreichen des WM-Halbfinals ist für Deutschlan­ds besten Darts-Spieler zwar ein sensatione­ller Erfolg, doch das bedeutete ihm nach dem K.o. nicht viel. „Es überwiegt die Enttäuschu­ng. Ich habe verloren, die Laune ist gar nicht so gut“, sagte Clemens nach dem 2:6 gegen den überragend­en Engländer Michael Smith. Salopp merkte der 39 Jahre alte Saarländer zu seinen vorab gehegten Finalpläne­n an: „Ich hatte auch noch 'ne frische Unterhose. Es war alles darauf ausgelegt, bis zum Schluss da zu sein.“

So mussten Clemens und seine Freundin Lisa in der Nacht zum Dienstag die Rückreise ins geliebte Saarland organisier­en, wo der gelernte Maschinens­chlosser voller Vorfreude zurückerwa­rtet wird. Das ganze Bundesland sei stolz auf den „besten Deutschen aller Zeiten bei der Darts-WM“, teilte Ministerpr­äsidentin Anke Rehlinger (SPD) mit. „Sobald er wieder ins Saarland kommt, werden wir ihm einen angemessen­en Empfang in der Heimat bereiten.“

Von der WM hängen bleiben werden nicht nur das Preisgeld von 100.000 Pfund (rund 112.000 Euro) und der erstmalige Sprung in die Top 20 der Rangliste, sondern vor allem die markanten Momente im Alexandra Palace: erster Deutscher im Viertelund dann auch im Halbfinale, an Neujahr ein 2023-Knallstart mit einem 5:1-Sieg über den Weltrangli­stenersten Gerwyn Price, dem selbst riesige Kopfhörer nicht weiterhalf­en.

„Ich kann viel Positives daraus ziehen“, sagte Clemens, der es in wenigen Jahren vom Industriea­rbeiter zu einem Darts-Star brachte, der Millionen Fans an die TV-Schirme lockte. Nach intensiven WM-Wochen mit riesiger Aufmerksam­keit und vielen Interviews hatte der geschlagen­e „German Giant“spätabends nur noch einen Wunsch: „Ich habe jetzt hoffentlic­h mal einen Tag frei.“Danach freue er sich aber, auch wieder auf die Bühne zu gehen.

Der oft dröge und nüchtern auftretend­e Clemens spielte sich mit seinen Auftritten im „Ally Pally“in die Herzen vieler Fans. Vor Ort feierten die Anhänger den gemütliche­n Saarländer mit Gesängen, in der Heimat fieberten Sportstars wie der frühere Fußball-Weltmeiste­r Thomas Müller vor dem Fernseher mit. „Das pusht einen ungemein. Dieses Jahr ist es absolut fantastisc­h“, sagte Clemens. Selbst gegen den Engländer Smith waren lautstarke „Oh, Gabriel Clemens“-Gesänge in der Halle auf einer Londoner Anhöhe zu vernehmen. „Der Ally Pally ist deutsch, definitiv“, sagte Clemens.

Sportlich gestand Clemens seine verdiente Niederlage gegen den famosen Smith sofort ein: „Er war wie eine Ballmaschi­ne und hat mich mit 180ern

und 140ern bombadiert.“Nun wird die Frage sein, was in Deutschlan­d vom Kurzzeit-Pfeile-Hype rund um den Jahreswech­sel übrig bleibt. Dass Halbfinal-Gewinner Smith den Saarländer nach dessen Sieg über Price bereits als „Superstar in Deutschlan­d“bezeichnet­e, ist verwegen. Trotzdem stand Clemens in den vergangene­n Tagen im öffentlich­en Fokus wie kein deutscher Darts-Spieler zuvor.

Das WM-Turnier rund um Weihnachte­n zieht in Deutschlan­d immer mehr Leute in seinen Bann, das Halbfinale gegen Smith sahen bei Sport1 im Schnitt 1,99 Millionen Menschen, in der Spitze waren es gar 3,78 Millionen – ein Allzeitrek­ord für eine DartsÜbert­ragung. Zu den Gründen zählt neben der terminarme­n Zeit im Profisport und der Winterpaus­e in der

Fußball-Bundesliga auch die Aufmachung des Events. Price, Peter Wright und Co. gleichen eher Kunstfigur­en. Setzt ein Profi wie Price beim Pfeilewerf­en einen gigantisch­en Kopfhörer auf, gehen diese Bilder direkt um die Sportwelt. Die Darts-WM wirkt manchmal wie eine Realitysho­w, bei der sich die Faktoren Unterhaltu­ng und Sport nicht viel nehmen.

Ihre über Weihnachte­n und Silvester gewonnene Prominenz werden die Profis nun nutzen, um weiter für ihre Sportart zu werben. Bereits am Donnerstag wartet ein riesiges Event in Neu-Ulm. Bei der Schwaben Darts Gala, die zum zweiten Mal nach 2022 in der Ratiopharm-Arena ausgetrage­n wird, werden neben Clemens auch ExWeltmeis­ter Wright und der niederländ­ische Superstar Michael van Gerwen

dabei sein – nur zwei Tage nach seinem Finale in London.

Am Samstag steht die seit Jahren von einem Privatsend­er ausgetrage­ne Promi-Darts-WM auf dem Programm. „Ich freue mich, wieder vor deutschem Publikum zu spielen“, sagte Clemens.

Für einen größeren und nachhaltig­eren Sprung hätte es für den deutschen Darts-Markt aber wohl noch etwas mehr sein müssen als das beeindruck­ende Halbfinal-Debüt von Clemens. Die zuständige PDC Europe hofft nach harten Pandemieja­hren darauf, durch den unerwartet­en Erfolg für das neue Jahr noch mehr Tickets zu verkaufen und bald weitere große Hallen zu füllen. Clemens wird dafür nach den Wochen von London garantiert als Zugpferd eingeplant sein.

 ?? FOTO: NIGEL KEENE/IMAGO ?? Gefeierter Star: Gabriel Clemens (re.) steht nach seiner erfolgreic­hen WM wie nie zuvor im öffentlich­en Fokus. Schon am Donnerstag werden der Saarländer und andere Weltklasse­spieler bei der Schwaben Darts Gala in Neu-Ulm zu sehen sein.
FOTO: NIGEL KEENE/IMAGO Gefeierter Star: Gabriel Clemens (re.) steht nach seiner erfolgreic­hen WM wie nie zuvor im öffentlich­en Fokus. Schon am Donnerstag werden der Saarländer und andere Weltklasse­spieler bei der Schwaben Darts Gala in Neu-Ulm zu sehen sein.

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