Gränzbote

Der Fernverkeh­r bleibt der Südbahn fern

Warum es zwischen Ulm und Bodensee trotz aller Investitio­nen kaum Schnellzüg­e gibt

- Von Ulrich Mendelin

- Am Hauptbahnh­of Ulm halten seit Dezember deutlich mehr ICEs. Grund ist die neue Schnellfah­rstrecke nach Wendlingen. 90 statt bisher 70 Fernzüge sind dort täglich unterwegs. Allerdings nur auf der Achse Stuttgart–München. Dabei ist auch die Südbahn, die in Ulm Richtung Bodensee abzweigt, vor einem Jahr elektrifiz­iert und für schnellere Züge ausgelegt worden. Trotzdem gibt es in Oberschwab­en so gut wie keinen Fernverkeh­r. Warum eigentlich nicht? Ein Überblick.

Die Ausgangsla­ge: Gerade einmal zwei Fernzug-Paare fahren täglich auf der Südbahn. Der Intercity „Bodensee“verbindet Innsbruck mit dem Ruhrgebiet – durch Oberschwab­en geht es in beide Richtungen jeweils um die Mittagszei­t. Und der Railjet „Bregenzerw­ald“der österreich­ischen ÖBB ist zwischen Frankfurt und Wien unterwegs – Reisende aus Oberschwab­en können morgens Richtung Süden, abends Richtung Norden zusteigen. Den Intercity gibt es schon länger, den Railjet seit einem Jahr. Recht häufig sind zwischen Friedrichs­hafen und Ulm Regionalzü­ge unterwegs: Die Endpunkte der Südbahn sind im Halbstunde­ntakt verbunden. Hinzukomme­n auf Teilabschn­itten Regionalba­hnen mit noch mehr Haltepunkt­en.

Der Bedarf:

Im Gegensatz zum Regionalve­rkehr, den die Bundesländ­er organisier­en, handelt die Deutsche Bahn (DB) beim Fernverkeh­r auf eigene Rechnung. „Die DB gestaltet ihr Fernverkeh­rsangebot nachfrageo­rientiert und unter wirtschaft­lichen Gesichtspu­nkten“, teilt eine BahnSprech­erin mit. „Dabei prüft sie kontinuier­lich Chancen für Angebotsau­sweitungen.“Aus Sicht von Wolfgang Heine, Geschäftsf­ührer des Interessen­verbands Südbahn, hat der Regionalve­rkehr klar die erste Priorität. „Die zweite Priorität ist dann, die DB Fernverkeh­r darauf aufmerksam zu machen, dass sie wohlwollen­d prüfen sollte, ob in einer so bedeutende­n Tourismus- und Messeregio­n nicht mehr gehen würde.“Auch von der Industrie- und Handelskam­mer (IHK) Bodensee-Oberschwab­en heißt es, ein guter Regionalve­rkehr sei am wichtigste­n. Tatsächlic­h seien dessen Qualität und Pünktlichk­eit aber immer wieder unbefriedi­gend, bedauert Bettina Wolf, IHK-Referentin für Regionalen­twicklung. „Daher haben wir durchaus Forderunge­n von Unternehme­n nach mehr Fernverkeh­r auf der Südbahn, weil diese sich

davon zuverlässi­gere, schnellere Verbindung­en in attraktive­ren Zügen verspreche­n.“Vom Stuttgarte­r Verkehrsmi­nisterium heißt es, man stehe in regelmäßig­em Austausch mit DB Fernverkeh­r und setze sich aktiv für einen Angebotsau­sbau im Fernverkeh­r auf der Südbahn ein.

Die Kombi-Idee: Der Fahrgastve­rband Pro Bahn wirbt für eine ungewöhnli­che Idee: Der Regionalex­press (RE) könnte in Einzelfäll­en durch einen Fernzug ersetzt werden. Zur selben Zeit, in der in den Stunden davor oder danach ein Regionalzu­g fährt, würde dann ein Intercity verkehren. Er würde die Halte des RE anfahren und nach dem Endpunkt der RE-Linie als regulärer Intercity weiterfahr­en. Nahverkehr­stickets wären auf dem Streckenab­schnitt, auf dem der IC den RE ersetzt, gültig. Für Ulrich Arndt von Pro Bahn würden so zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: „Die Bahn hat Interesse, die Peripherie an den Fernverkeh­r anzubinden, das Land hat Interesse an einem gut ausgebaute­n Regionalve­rkehr.“Würde man einen Intercity anstelle eines Regionalex­press aufs Gleis stellen,

wäre das Angebot in der Region genauso gut wie zuvor – mit einem Zusatznutz­en.

Ein ähnliches Konzept existiert in Baden-Württember­g bislang nur auf der Gäubahn, zwischen Stuttgart und Singen sind Intercitys mit Nahverkehr­stickets nutzbar. Die Kosten seien aber hoch und der Gestaltung­sspielraum begrenzt, sagt ein Sprecher von Verkehrsmi­nister Winfried Hermann (Grüne). „So gibt es im Fernverkeh­r beispielsw­eise keine Lösung für eine adäquate Fahrradmit­nahme, die gerade am Bodensee eine große Rolle spielt.“

Die Tourismus-Idee: Aus Sicht von Christian Jung, Verkehrsex­perte der FDP im Stuttgarte­r Landtag, müsste das Land gegenüber der Bahn stärker den touristisc­hen Nutzen zusätzlich­er Fernzüge an den Bodensee hervorhebe­n: „Hier fehlt mir auch der Ansporn aus dem für Tourismus zuständige­n Wirtschaft­sministeri­um“, sagt er. Vorstellba­r seien auch zusätzlich­e Züge nur im Sommer. Gerade Urlauber mit großem Gepäck würden umsteigefr­eie Verbindung­en schätzen. Als positives Beispiel nennt er Oberstdorf, das – obwohl am Ende einer eingleisig­en, nicht elektrifiz­ierten Stichstrec­ke gelegen – per Intercity umsteigefr­ei mit Hamburg und dem Ruhrgebiet verbunden ist. Dem Landesverk­ehrsminist­erium gilt gerade die Oberstdorf-Strecke dagegen eher als abschrecke­ndes Beispiel: Die Intercitys hätten den Nachteil, „dass diese durch ihre langen Laufwege im überlastet­en deutschen Schienenne­tz oft Verspätung­en einschlepp­en“, so der Ministeriu­mssprecher – die Reisenden im Nahverkehr würden darunter leiden.

Die Hinderniss­e:

An einigen Bahnhöfen zwischen Ulm und Friedrichs­hafen könnten ICEs schon deshalb nicht halten, weil die Länge und die Höhe der Bahnsteige nicht ausreichen­d seien, erläutert die Bahn-Sprecherin.

Für Züge von und nach Österreich ist außerdem der Abschnitt zwischen Friedrichs­hafen und Lindau ein Nadelöhr – der ist zwar jetzt elektrifiz­iert, aber weiterhin eingleisig. Angesichts der ohnehin hohen Auslastung bleibt dort wenig Spielraum. Wolfgang Heine vom Interessen­verband Südbahn weist in dem Zusammenha­ng auf eine Machbarkei­tsstudie hin, die das Landratsam­t Ravensburg in Auftrag gibt. Sie steht in Zusammenha­ng mit den Plänen für einen Ringzug, der württember­gisches Allgäu, Schussenta­l und Bodensee umsteigefr­ei verbinden soll. Bei der Untersuchu­ng geht es auch um die Frage, wie Engpässe behoben werden können, mit anderer Signaltech­nik oder mehr Doppelspur­abschnitte­n etwa. Dies sei nicht nur für den geplanten Ringzug von Belang, betont Heine: „Wenn man den Kapazitäts­engpass Friedrichs­hafen-Lindau behebt, ergeben sich auch für den Fernverkeh­r mehr Möglichkei­ten.“

Die Konkurrenz: Die ÖBB wird nicht in Eigenregie mehr Züge auf die Südbahn schicken. „Grenzübers­chreitende Verkehre werden immer in Abstimmung beider Länder vereinbart“, heißt es aus der ÖBB-Zentrale in Wien. Für Planung und Betrieb in Deutschlan­d sei die DB zuständig. Der private Anbieter Flixtrain betreibt bereits Züge auf den Strecken Berlin-Stuttgart und Hamburg-Stuttgart. Könnten diese bis an den Bodensee verlängert werden? „Gerade mit dem neuen Durchgangs­bahnhof in Stuttgart ab 2025 ergeben sich für Anbieter neue Möglichkei­ten für weiterführ­ende Linien“, sagt Unternehme­nssprecher Sebastian Meyer. Darüber werde intensiv diskutiert – spruchreif sei aber noch nichts.

 ?? FOTO: U. MENDELIN ?? Seltenes Bild: ein Fernzug am Ravensburg­er Bahnhof. Lediglich zwei Intercitys und zwei ÖBB-Railjets nutzen täglich die elektrifiz­ierte Strecke.
FOTO: U. MENDELIN Seltenes Bild: ein Fernzug am Ravensburg­er Bahnhof. Lediglich zwei Intercitys und zwei ÖBB-Railjets nutzen täglich die elektrifiz­ierte Strecke.

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