Trump droht ein Strafverfahren
Bericht sieht Verantwortung für Sturm auf das Kapitol beim Ex-Präsidenten
- Donald Trump antwortete auf die Vorladung des Untersuchungskomitees zum 6. Januar mit einem mehrseitigen Wutschreiben. Darin poltert der mutmaßliche Drahtzieher des gescheiterten Staatsstreichs über einen „Schauprozess, wie ihn das Land noch nie zuvor erlebt hat“. Dieser sei nicht mehr als eine von „Parteigängern und Gangstern“inszenierte „Hexenjagd“. Es gebe „keine Unschuldsvermutung, kein Kreuzverhör“, heißt es in dem vom
14. Oktober datierten Brief. Kurz vor dem Jahreswechsel gaben die sieben Demokraten und zwei Republikaner des auch als „Select Commitee“bekannten Ausschusses den Versuch auf, Trump zu befragen. Angesichts des bevorstehenden Machtwechsels im Repräsentantenhaus fehle die Zeit, die gesuchten Informationen zu erhalten. Auch ohne sein Zutun hatte das Komitee genügend belastendes Material zutage befördert, um der Justiz erstmals in der Geschichte die Strafverfolgung eines ehemaligen Präsidenten zu empfehlen.
In dem zwei Tage vor Weihnachten veröffentlichten 845 Seiten starken Abschlussbericht kommen die Ermittler zu einem eindeutigen Ergebnis. „Der zentrale Grund für den
6. Januar war ein Mann, der frühere Präsident Donald Trump, dem viele andere folgten.“Das Komitee hat mit der Befragung von mehr als tausend Zeugen und Auswertung von rund einer Million Dokumente über 18 Monate ganze Vorarbeit geleistet. Jetzt liegt es an Sonderermittler Jack Smith zu entscheiden, ob er einzelne oder alle vier Tatbestände zur Anklage bringt:
Behinderung offizieller des US-Kongresses
Verschwörung gegen die Vereinigten Staaten
Gesetzwidrige, falsche oder vorsätzlich falsche Aussagen gegenüber der Regierung
Amtsgeschäfte
Und Hilfe oder Mitwirkung an ● einer Rebellion gegen die Vereinigten Staaten.
Das Justizministerium hatte parallel zu der Aufarbeitung des 6. Januars im Kongress eigene Ermittlungen begonnen. Smith kann, aber muss nicht auf die überstellten Unterlagen des Komitees zurückgreifen. Sollte er Handlungsbedarf erkennen, bekäme Trump, was er in dem Brandbrief an das Komitee beanstandet hatte: ein rechtsstaatliches Strafverfahren.
Damit teilte der mutmaßliche Anstifter des Aufstands das Los von mindestens 964 seiner Anhänger, die sich in den vergangenen zwei Jahren vor Gericht verantworten mussten. So selbstverständlich das klingt, so einzigartig wäre das in der Geschichte der USA. Es gibt keine Blaupause für die Anklage gegen einen Ex-Präsidenten.
Nach den Regeln des Rechtsstaats erwartete Trump dieselbe Behandlung wie alle anderen Angeklagten in einem Strafverfahren: Er müsste sich den Behörden stellen, seinen Reisepass aushändigen, ein erkennungsdienstliches Foto (Mugshot) aufnehmen lassen und eine Kaution hinterlegen. Die Auswahl der unabhängigen Jury wäre eine Mammutaufgabe bei einem Mann, den nahezu jeder kennt.
Der Abschlussbericht weist nicht nur die Verantwortung klar zu, sondern bündelt auch die Argumente. Der Sturm auf das Kapitol sei der letzte Teil „eines mehrteiligen Plans“gewesen, heißt es in der Zusammenfassung, „das Ergebnis der Präsidentschaftswahlen 2020 zu kippen“.
Dieser begann in der Wahlnacht mit Trumps „großer Lüge“von den angeblich gestohlenen Wahlen, für die der Präsident nicht einen einzigen Beleg liefern konnte.
Der mit sieben Millionen Stimmen Differenz unterlegene Präsident übte dann in „mindestens 200“Instanzen Druck auf Gesetzgeber und Wahlbeamte in den Bundesstaaten aus, die Wahlergebnisse zu seinen Gunsten zu verändern.
Mithilfe gefälschter Wahlleutelisten aus sieben Bundesstaaten versuchte Trump einen Anlass zu schaffen, die Wahlergebnisse im Kongress anzufechten. Er übte Druck auf Vizepräsident Mike Pence aus, die Zertifizierung im Kongress am 6. Januar zu verweigern. Parallel trommelte er seine Anhänger auf der Eclipse vor dem Weißen Haus zusammen. In einer Brandrede hetzte er die Menge auf, versprach, mit ihr zum Kongress zu marschieren, und versuchte wiederholt, zu den Aufständischen zu stoßen.
Über 187 Minuten verfolgte er im Esszimmer des Weißen Haus untätig die eskalierende Gewalt und ignorierte die Appelle von Familienangehörigen, Beratern und hohen Mitarbeitern, die Gewalt zu stoppen. In dieser Zeit gab es im Kapitol zahlreiche verletzte Polizisten und Randalierer, eine Angreiferin starb durch eine Polizeikugel. Erst, als die Lage wieder halbwegs unter Kontrolle war, rief Trump dann endlich seine Anhänger über Facebook und Twitter dazu auf, friedlich nach Hause zu gehen.
All das lässt sich detailliert in den acht Kapiteln des Abschlussberichts nachlesen, der die über den Sommer live übertragenen öffentlichen Anhörungen des Untersuchungskomitees dokumentiert. Dank der multimedialen Aufbereitung durch den TV-Produzenten James Goldston erreichten die Ermittler bis zu 18 Millionen Zuschauer – das gibt es sonst nur bei Footballspielen.