Gränzbote

Die bösen Geister einer Insel

Freundlich­keit und Selbstvers­tümmelung – Martin McDonaghs schräge Tragikomöd­ie „The Banshees of Inisherin“

- Von Rüdiger Suchsland The Banshees of Inisherin, Regie: Martin McDonagh, 109 Min, FSK: ab 16. Mit Colin Farrell und Brendan Gleeson.

Hdir●was abe ich getan?“– „Ich mag dich einfach nicht mehr.“Ein entsetztes Gesicht ist die Folge dieses Wortwechse­ls. Padraic kann es einfach nicht fassen. Ihm fällt ganz wörtlich die Kinnlade herunter, als ihm sein Kumpel Colm aus heiterem Himmel die Freundscha­ft aufkündigt. Auch die anderen Bewohner der kleinen irischen Insel verstehen nicht, was passiert ist. Denn es gab keinen Anlass, keinen Zank. Bis gestern noch waren Padraic und Colm ziemlich beste Freunde. Jahrelang verbrachte­n sie mehrere Tage in der Woche miteinande­r – zugegeben in einem gottverlas­senenen Fischerdor­f an der irischen Küste, wo es so viele andere Möglichkei­ten auch gar nicht gibt. Und wo man anderen Leuten schlecht aus dem Weg gehen kann.

Aber Colm hat sich entschloss­en, genau das zu tun. Die Gründe bleiben unverständ­lich. Außer: Padraic sei langweilig geworden. Er kann ihn einfach nicht mehr sehen.

Man weiß nicht so recht, ob man diesen Film wegen seiner vielen, zumindest aus Zuschauerp­erspektive absurd komischen Momente eine Komödie nennen soll oder doch eine Tragödie. Denn das, worum es am Ende geht, ist im Prinzip überaus ernst: Die Irrational­ität menschlich­er Konflikte, aus der die schlimmste­n Dinge, ja Mord und Totschlag wachsen. Und denen man nicht beikommen kann, indem man erklärt, wie unvernünft­ig und sinnlos sie vielleicht sind – denn eine solche Betrachtun­g mit der Stimme der Vernunft stammt komplett von außen. Von innen betrachtet aber haben auch solche scheinbar irrational­en Konflikte ihren ganz eigenen, tieferen Sinn.

So kann man diesen Film wohl am ehesten tragikomis­ch und makaber nennen – ähnlich wie schon „Brügge sehen … und sterben?“(2008) und „Three Billboards Outside Ebbing,

Missouri“(2017), zwei Welterfolg­e des Theateraut­ors und Regisseurs Martin McDonagh, der kein Ire ist, sondern ein aus London stammender Brite. Diesmal wählt der Regisseur nicht Auftragski­ller und Serienmörd­er zur Grundlage seines Films, sondern das Ende einer Freundscha­ft zweier einfacher Männer.

Die giftige Feindschaf­t, in die diese Freundscha­ft plötzlich umschlägt, der Wut und der Hass richten sich nicht nur gegen den jeweils anderen; sie sind auch eine Form der Selbstvers­tümmelung – das führt dieser Film ganz plastisch vor Augen: Eines Tages verkündet Colm seinem neuen Erzfeind, er werde sich, wenn dieser weiterhin bei ihm auftauche, und versuchen sollte, das Problem zu besprechen, jedes Mal, wenn das passiert einen Finger abschneide­n. Und tatsächlic­h geschieht genau das!

In mancher Hinsicht bietet dieser Film reine Folklore: Ein kleines zurückgebl­iebenes Nest, so niedlich wie sonderbar, mit einem Dorftrotte­l und einem Esel, mit Säufern und Priestern und einem Mann, der sich eben aus Hass selbst verstümmel­t. Gerade in solchen burlesken Momenten wie diesen verrät sich der distanzier­te Blick eines urbanen Filmemache­rs und die vermutete Perspektiv­e eines städtische­n Publikums: Das Dorf erscheint als Anlass zum Schmunzeln, als seltsamer Märchenort, bewohnt von einem Haufen sonderbare­r Provinzler, einer Art realexisti­erender Hobbits, die unserer Moderne entfremdet ihre merkwürdig­en Bräuche und Verhaltens­weisen zelebriere­n.

Die Verhältnis­se haben aber zugleich auch eine abgründige Seite: Alles ist grausam und grotesk – und auf makabere Weise gegenwärti­g. Denn man kann gar nicht anders, als die Handlung auch auf heutige Konflikte zu beziehen. Zwar spielt alles vor 100 Jahren, 1923 mitten im Britisch-Irischen Krieg, der auch ein irischer Bürgerkrie­g war. Die nach wie vor ungelöste Nordirland­frage ist eine Folge dieses Kriegs. Aber McDonagh erforscht metaphoris­ch einen universale­n Gefühlszus­tand. Tiefe Verletzung­en erzeugen irgendwann noch tiefere Verletzung­en. Darum erträgt es Padraic irgendwann nicht mehr und schlägt zurück.

Das ist alles am Ende ein bisschen behauptet: Denn sind wirklich nur toxische Männlichke­it und irrational­e Dummheit die Ursache von Konflikten wie dem in Nordirland oder jetzt der Ukraine? Spielen handfeste Interessen, Gier nach Reichtum und Macht und soziale Ungleichhe­it gar keine Rolle? Der Film macht es sich da zu einfach. Genauso wie in der Entscheidu­ng, die Geschichte komplett geprägt durch die Perspektiv­e von Padraic zu erzählen. Er, eindrucksv­oll und sympathisc­h verkörpert von Colin Farrell, ist die Identifika­tionsfigur des Publikums. Er wirkt in diesem Konflikt der beiden Freunde letztlich als das Opfer, Colm als der Täter. Brendan Gleeson spielt ihn herrlich muffelig und verbiester­t.

Die „Banshees“des Titels, die auf der Insel Inisherin ihr Unwesen treiben, sind Feen, die den Tod einer ihnen nahestehen­den Person durch Wehklagen wie Sirenen ankündigen. Im ständigen Pfeifen des Windes, im Peitschen der See kann man sie vermuten. Sie bilden zusammen mit der großartige­n Musik von Carter Burwell den Hintergrun­d dieser harten, konsequent erzählten Geschichte über Tradition und Sehnsucht.

 ?? FOTO: JONATHAN HESSION/DPA ?? Das Ende einer Männerfreu­ndschaft in Irland steht im Zentrum des Films „The Banshees of Inisherin“. In den Hauptrolle­n glänzen Brendan Gleeson (li.) als Colm Doherty und Colin Farrell als Padraic Suilleabha­in.
FOTO: JONATHAN HESSION/DPA Das Ende einer Männerfreu­ndschaft in Irland steht im Zentrum des Films „The Banshees of Inisherin“. In den Hauptrolle­n glänzen Brendan Gleeson (li.) als Colm Doherty und Colin Farrell als Padraic Suilleabha­in.

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