Die bösen Geister einer Insel
Freundlichkeit und Selbstverstümmelung – Martin McDonaghs schräge Tragikomödie „The Banshees of Inisherin“
Hdir●was abe ich getan?“– „Ich mag dich einfach nicht mehr.“Ein entsetztes Gesicht ist die Folge dieses Wortwechsels. Padraic kann es einfach nicht fassen. Ihm fällt ganz wörtlich die Kinnlade herunter, als ihm sein Kumpel Colm aus heiterem Himmel die Freundschaft aufkündigt. Auch die anderen Bewohner der kleinen irischen Insel verstehen nicht, was passiert ist. Denn es gab keinen Anlass, keinen Zank. Bis gestern noch waren Padraic und Colm ziemlich beste Freunde. Jahrelang verbrachten sie mehrere Tage in der Woche miteinander – zugegeben in einem gottverlassenenen Fischerdorf an der irischen Küste, wo es so viele andere Möglichkeiten auch gar nicht gibt. Und wo man anderen Leuten schlecht aus dem Weg gehen kann.
Aber Colm hat sich entschlossen, genau das zu tun. Die Gründe bleiben unverständlich. Außer: Padraic sei langweilig geworden. Er kann ihn einfach nicht mehr sehen.
Man weiß nicht so recht, ob man diesen Film wegen seiner vielen, zumindest aus Zuschauerperspektive absurd komischen Momente eine Komödie nennen soll oder doch eine Tragödie. Denn das, worum es am Ende geht, ist im Prinzip überaus ernst: Die Irrationalität menschlicher Konflikte, aus der die schlimmsten Dinge, ja Mord und Totschlag wachsen. Und denen man nicht beikommen kann, indem man erklärt, wie unvernünftig und sinnlos sie vielleicht sind – denn eine solche Betrachtung mit der Stimme der Vernunft stammt komplett von außen. Von innen betrachtet aber haben auch solche scheinbar irrationalen Konflikte ihren ganz eigenen, tieferen Sinn.
So kann man diesen Film wohl am ehesten tragikomisch und makaber nennen – ähnlich wie schon „Brügge sehen … und sterben?“(2008) und „Three Billboards Outside Ebbing,
Missouri“(2017), zwei Welterfolge des Theaterautors und Regisseurs Martin McDonagh, der kein Ire ist, sondern ein aus London stammender Brite. Diesmal wählt der Regisseur nicht Auftragskiller und Serienmörder zur Grundlage seines Films, sondern das Ende einer Freundschaft zweier einfacher Männer.
Die giftige Feindschaft, in die diese Freundschaft plötzlich umschlägt, der Wut und der Hass richten sich nicht nur gegen den jeweils anderen; sie sind auch eine Form der Selbstverstümmelung – das führt dieser Film ganz plastisch vor Augen: Eines Tages verkündet Colm seinem neuen Erzfeind, er werde sich, wenn dieser weiterhin bei ihm auftauche, und versuchen sollte, das Problem zu besprechen, jedes Mal, wenn das passiert einen Finger abschneiden. Und tatsächlich geschieht genau das!
In mancher Hinsicht bietet dieser Film reine Folklore: Ein kleines zurückgebliebenes Nest, so niedlich wie sonderbar, mit einem Dorftrottel und einem Esel, mit Säufern und Priestern und einem Mann, der sich eben aus Hass selbst verstümmelt. Gerade in solchen burlesken Momenten wie diesen verrät sich der distanzierte Blick eines urbanen Filmemachers und die vermutete Perspektive eines städtischen Publikums: Das Dorf erscheint als Anlass zum Schmunzeln, als seltsamer Märchenort, bewohnt von einem Haufen sonderbarer Provinzler, einer Art realexistierender Hobbits, die unserer Moderne entfremdet ihre merkwürdigen Bräuche und Verhaltensweisen zelebrieren.
Die Verhältnisse haben aber zugleich auch eine abgründige Seite: Alles ist grausam und grotesk – und auf makabere Weise gegenwärtig. Denn man kann gar nicht anders, als die Handlung auch auf heutige Konflikte zu beziehen. Zwar spielt alles vor 100 Jahren, 1923 mitten im Britisch-Irischen Krieg, der auch ein irischer Bürgerkrieg war. Die nach wie vor ungelöste Nordirlandfrage ist eine Folge dieses Kriegs. Aber McDonagh erforscht metaphorisch einen universalen Gefühlszustand. Tiefe Verletzungen erzeugen irgendwann noch tiefere Verletzungen. Darum erträgt es Padraic irgendwann nicht mehr und schlägt zurück.
Das ist alles am Ende ein bisschen behauptet: Denn sind wirklich nur toxische Männlichkeit und irrationale Dummheit die Ursache von Konflikten wie dem in Nordirland oder jetzt der Ukraine? Spielen handfeste Interessen, Gier nach Reichtum und Macht und soziale Ungleichheit gar keine Rolle? Der Film macht es sich da zu einfach. Genauso wie in der Entscheidung, die Geschichte komplett geprägt durch die Perspektive von Padraic zu erzählen. Er, eindrucksvoll und sympathisch verkörpert von Colin Farrell, ist die Identifikationsfigur des Publikums. Er wirkt in diesem Konflikt der beiden Freunde letztlich als das Opfer, Colm als der Täter. Brendan Gleeson spielt ihn herrlich muffelig und verbiestert.
Die „Banshees“des Titels, die auf der Insel Inisherin ihr Unwesen treiben, sind Feen, die den Tod einer ihnen nahestehenden Person durch Wehklagen wie Sirenen ankündigen. Im ständigen Pfeifen des Windes, im Peitschen der See kann man sie vermuten. Sie bilden zusammen mit der großartigen Musik von Carter Burwell den Hintergrund dieser harten, konsequent erzählten Geschichte über Tradition und Sehnsucht.