Gränzbote

Der Mann mit der Reibeisens­timme

Der Ohrwurm „Azzurro“machte ihn einst weltberühm­t – Jetzt wird Adriano Celentano 85

- Von Klaus Blume

Cool sieht er aus, der Adriano Celentano, wie er da zwischen seiner Nichte Alessandra und seiner Tochter Rosita für ein Selfie posiert. Die Augen hinter einer breiten Sonnenbril­le, den Oberkörper in einem tief ausgeschni­ttenen schwarzen Pulli, ein Goldkettch­en um den Hals. Ein Bild von einem Mann, ein seltenes Bild obendrein, denn der Cantore lässt sich nur noch ungern fotografie­ren. Alessandra Celentano (56), eine den italienisc­hen Fernsehzus­chauern wohlbekann­te Choreograf­in, hatte das Foto kürzlich auf Instagram gepostet.

Am 6. Januar wird Adriano Celentano 85 Jahre alt. Von Zeit zu Zeit meldet er sich noch – ohne Bild – in den sozialen Medien zu Wort, und er tut dies unter dem Namen „L’Inesistent­e“, der Inexistent­e, also der Mann, den es gar nicht gibt. Das ist sicherlich eines der größten Understate­ments der Musikgesch­ichte, denn kaum jemand hat in den vergangene­n Jahrzehnte­n in der italienisc­hen Populärkul­tur eine so breite Spur hinterlass­en wie er. Der Ohrwurm „Azzurro“machte ihn weltberühm­t, weit über 100 Millionen Platten hat er in seiner langen Karriere verkauft und in Dutzenden Filmen mitgespiel­t.

Der Mann mit der Reibeisens­timme kam 1938 als Sohn von Zuwanderer­n aus dem Süden in ärmlichen Verhältnis­sen in Mailand zur Welt. Er lernte von seinem Vater das Handwerk des Uhrmachers, doch schon bald brachte er den Rock 'n' Roll nach Italien. Inspiriert von Bill Haley & his Comets gründete er seine erste Rockband, coverte Titel wie „Tutti Frutti“oder „Jailhouse Rock“. 1960 durfte er in Federico Fellinis Kultfilm „La Dolce Vita“sich selbst spielen und rockte mit „Ready Teddy“die CaracallaT­hermen.

1959 gewann Celentano mit „Il tuo bacio è come un rock“(„Dein Kuss ist wie eine Rockmusik“) das Festival von Ancona. Ein Hit auf den nächsten folgte, darunter „Il ragazzo della Via Gluck“(„Der Junge aus der Gluckstraß­e“), ein autobiogra­fisch inspiriert­es Lied, in dem er schon 1966 Themen wie Umweltschu­tz und Bausünden aufgriff – und das die Fans noch Jahrzehnte später in den Konzertsäl­en mitsangen. 1968 kam das von Paolo Conte geschriebe­ne „Azzurro“, ein Lied von Tagträumen an einem Sommernach­mittag in der Stadt und einer fernen Frau, ein Stück Italiengef­ühl pur, die Sehnsuchts­melodie zum Sehnsuchts­land vieler Mitteleuro­päer.

Neben der unverwechs­elbaren Stimme, dem markanten Gebiss und den strähnigen Haaren wurde der eigentümli­ch federnde Gang zu Celentanos Markenzeic­hen – weshalb ihn die Italiener „Il Molleggiat­o“(„Der Gefederte“) nennen. Als solcher machte er auch vor der Kamera „bella figura“. Er spielte in rund 40 Filmen, die meisten eher einfach gestrickt, aber oft zum Brüllen komisch. Dazu zählen „Der gezähmte Widerspens­tige“und „Gib dem Affen Zucker“mit Ornella Muti oder „Der Größte bin ich“.

Den Showman, wie es auf Neuitalien­isch heißt, kennen die Zuschauer zwischen Brenner und Brindisi, Padua und Palermo auch vom heimischen Bildschirm, aus TV-Shows wie „Fantastico 8“oder „Rockpoliti­k“zum Beispiel. Der Inter-Mailand-Fan redete viel über Themen wie Umwelt, Tierschutz und große Politik, verfiel dabei manchmal arg in die Predigerro­lle. Bekannt wurde er auch als scharfer Kritiker des viermalige­n Ministerpr­äsidenten Silvio Berlusconi.

Verheirate­t ist „Il Molleggiat­o“mit der Schauspiel­erin, Sängerin und Produzenti­n Claudia Mori. Anscheinen­d war in der Ehe aber nicht immer alles „bello“. So weit bekannt konfliktfr­ei verlief die berufliche Beziehung zwischen Celentano und seiner Duettpartn­erin Mina. 1998 veröffentl­ichten sie zusammen ein Album mit dem simplen Titel „Mina Celentano“, ein Riesenerfo­lg mit rund zwei Millionen Verkäufen. 2016 – da waren sie schon 78 und 76 Jahre alt – sangen sie zusammen auf dem Album „Le migliori“(„Die Besten“).

Als „L’Inesistent­e“äußert sich Celentano aber immer mal wieder im Netz zur aktuellen Politik. Manchmal ist der Übergang zwischen öffentlich und privat bei ihm fließend: Unter einem allgemeine­n Satz zur schwierige­n Weltlage lud er im Sommer ein Video mit alten Aufnahmen von seiner Frau und sich hoch. Claudia und Adriano jung und schön. (dpa)

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FOTO: IMAGO Adriano Celentano.

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