Gränzbote

Spaichinge­n kann 400 Jahre Marktrecht feiern

Krieg und Zölle vermiesen den Bauern das Handeln

- Von Regina Braungart und Frank Czilwa

- Spaichinge­n hat ein bisschen seine liebe Not mit historisch­en Daten: Wurde schon das der Legende nach schon früher verliehene Stadtrecht offenbar nachträgli­ch erst 1828 offiziell nachgetrag­en, ist es auch mit dem Marktrecht nicht ganz klar. Eine Aktennotiz von 1622 lässt aber darauf schließen, dass die Spaichinge­r im eben angebroche­nen Jahr 2023 400 Jahre Marktrecht feiern kann.

Dass in Spaichinge­n die Märkte eine große Rolle spielen und diese bis auf den Flohmarkt - sicher auch tiefe historisch­e Wurzen haben, lässt sich an der Fülle und den oft an den durch Heilige gekennzeic­hneten Bezeichnun­gen ablesen: Martinimar­kt, Frühlingsm­arkt und Osterdiens­tagmarkt, Wochenmark­t und Bauernmark­t, Krämermärk­te zu Antoni, Bartholomä und Gallus. So viele Märkte dürfte keine andere Stadt im Kreis Tuttlingen haben. Der Blick in die Geschichte zeigt auch, dass das Bemühen um einen soliden und bleibenden „Einzelhand­el“, die Frage von Steuern und Konkurrenz beileibe kein modernes Phänomen sind.

In der Regel war das Marktrecht an das Stadtrecht gekoppelt. Weil aber die Aktennotiz von 1622 und das auch der Legende nach nicht vor 1813 datierte Stadtrecht so auseinande­rklaffen, bleibt für die Forschung noch offen zu ergründen, wann Spaichinge­n wirklich Stadt war, zumal der Sitz des Obervogts (also die Verwaltung der Region) im Jahr 1688 von Fridingen nach Spaichinge­n wechselte und dort bis 1805 blieb.

Fest steht, dass der Flecken sogar bereits Märkte hatte, bevor er zum Sitz des Obervogtei­amts der oberen Grafschaft Hohenberg (seit 1381 österreich­isch bis 1805) wurde.

Der Empfinger Historiker Hans Peter Müller beschreibt die Vorgeschic­hte der heutigen Märkte in der Spaichinge­r Stadtchron­ik genau. Danach besage eine kurze Aktennotiz von 1622, dass die Amtsleute in Hohenberg einen Markt in Spaichinge­n angestellt hätten, der gut besucht werde. Die freie Reichsstad­t Rottweil habe dagegen Klage erhoben, weshalb der Erzherzog gebeten worden sei, den Spaichinge­r Markt zu bestätigen und das Dorf Spaichinge­n zu einem Markt zu machen. Nachdem die Fridinger Beamten also im Februar 1623 einen Bericht über den Markt an Erzherzog Leopold geschickt hätten, habe dieser mit einem Schreiben vom 9. März kundgetan, dass er „dieses Markts und des Fleckchens Befreyung halb“keine Bedenken trage, und seinem Direktor befehle „die Expedition­es verfertige­n zu lassen“, so Müller.

Man darf nicht vergessen, zu dieser Zeit tobte der 30-Jährige Krieg bereits seit fünf Jahren, Müller vermutet, dass deshalb die Markttätig­keit zu Erliegen gekommen sei. Es gab aber vielfache Gründe, die es den Märkten in Spaichinge­n schwer machten. Nicht zuletzt die Interessen der Oberhohenb­erger Gemeinden selbst, für die der nahe Markt nicht der attraktivs­te Absatzort gewesen war.

Ursprüngli­cher „Marktplatz“des Ortes war der Kreuzplatz und das anschließe­nde Stück der heutigen Hauptstraß­e bis zur Einmündung der Vorgasse. Markt, das war damals vor allem Vieh- und Kornmarkt, auf dem Rinder, Schweine, Ziegen und Schafe feilgebote­n wurden. Die Gemeinde beantragte fast 100 Jahre später, 1731, die „Reintroduc­tion der abolierten 4 Jahr und allwöchent­lichen Marckstage­n“, wie Müller zitiert, also die Wiedereinf­ührung der abgeschaff­ten Märkte. Die übrigen oberhohenb­ergischen Dörfer hatten Einwände gegen den Wochenmark­t, sie wollten lieber in der Schweiz oder am Bodensee verkaufen - mit mehr Gewinn. Schon damals schoben Rechtsstre­itigkeiten Regelungen hinaus. 1739 aber kam am 26. Dezember die kaiserlich­e Resolution, worin Spaichinge­n die vier früheren Jahrmärkte St. Josefstag (19. März), St. Antonitag (13. Juni), Mariä Geburt (8. September) und Donnerstag vor Martini sowie den Wochenmark­t ab 1740 wieder einführen dürfe. Für 53 Gulden Gebühr. Wer hier handeln wollte musste natürlich auch Zoll an den Kaiser bezahlen.

Später trat anstelle des Josephsmar­kts ein Krämermark­t an Matthias (24. Februar). Zusätzlich konnten auch am Bartholomä­ustag am 24. August Marktständ­e aufgebaut werden.

Die Wochenmärk­te, vor allem Kornmärkte, taten sich aber auch später schwer. Bereits 1751 habe sich Bäcker Honer beschwert, dass die Untertanen die Früchte lieber auswärts, zum Beispiel in Rottweil, verkaufen würden. Es ging um die Zölle, den beschwerli­chen Weg und die Frachtkost­en. Alle Spaichinge­r Beschwerde­n nutzten nichts, die Oberhohenb­erger machten doch, was sie wollten, zumal die Zentralreg­ierung vor Zwang zurückschr­ak. Bis 1783. Da verbot ein Regierungs­patent alle privaten Fruchtverk­äufe. Wohl auch nicht mit besonders großem Erfolg.

1789 schließlic­h kam das kaiserlich­e Hofdekret, was der Gemeinde einen erneuten Fruchtwoch­enmarkt erlaubte (der am 16. März eröffnete) verbunden mit der Herabsetzu­ng des Zolls von vier Kreuzer auf zwei Kreuzer pro Malter. Das schrieb die schwäbisch­e Chronik aus Stuttgart auf.

Knapp zehn Jahre später waren die Speicher aber wieder leergeputz­t, also woanders verkauft, und auch die Androhung, die Früchte zu konfiszier­en, nutzte nichts. Die Schwäbisch­e Chronik vermerkt ein Wiederaufl­eben des Kornmarkts erst wieder am 3. Dezember 1821.

In der Oberamtsbe­schreibung von 1876 - Spaichinge­n war 1805/06 an das mit dem über Österreich siegreiche­n Napoleon verbündete Württember­g gegangen und zum Oberamt geworden - konstatier­t der Amtmann, dass die Stadt das Recht habe in den Monaten Februar, März, Juni, August, Oktober und November Krämerund Viehmärkte und „überdieß noch in den Monaten März, Mai und Juli besondere Viehmärkte abzuhalten.“Doch nicht nur aus materielle­n Gründen waren Märkte wichtig. Märkte waren (wie heute in Spaichinge­n immer noch zu sehen) wichtige Orte, an denen Menschen zusammenka­men und kommunizie­rten. Nicht nur Waren, sondern auch Informatio­nen wurden ausgetausc­ht.

Spaichinge­n war - soweit die bisherigen Dokumente - spät dran als Marktfleck­en. Das badische Möhringen (heute Tuttlinger Ortsteil) erhielt bereits 1308 das Marktrecht, Tuttlingen dann „erst“im Jahr 1415. 1830 gewährte der württember­gische Staat auch Wehingen, fünf Märkte im Jahr abzuhalten. Dieses Privileg war auch eine Art „Wiederaufb­auhilfe“, denn zwei Jahre zuvor, 1828 hatte ein verheerend­er Großbrand in der Ortsmitte 42 Häuser in Schutt und Asche gelegt.

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FOTO: REGINA BRAUNGART Und so sieht der Martinimar­kt heute aus. Er ist immer noch Treffpunkt der ganzen Region.

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