Gränzbote

Rauere Zeiten nach Impfstoffb­oom

Pharmabran­che warnt vor Konkurrenz und fordert Reformen – Boehringer Ingelheim sieht Patientenw­ohl in Gefahr

- Von Alexander Sturm

(dpa) - Die deutsche Pharmaindu­strie erwartet nach glänzenden Geschäften mit Corona-Impfstoffe­n schwierige­re Zeiten. Während die Sonderkonj­unktur aus der Pandemie schwindet, spürt die Branche Kostendruc­k aus der Politik und die teurere Energie. 2023 werde der Umsatz um knapp fünf Prozent und die Produktion um 1,8 Prozent gemessen am Vorjahr fallen, heißt es in einer Prognose des Verbands forschende­r Arzneimitt­elherstell­er (VFA). Die Beschäftig­ung werde nach dem starken Stellenauf­bau der vergangene­n Jahre bei 118.000 Menschen stagnieren. Der VFA warnte vor ausländisc­her Konkurrenz und mahnte Reformen im Gesundheit­ssystem an.

„Chemische Vorprodukt­e haben sich in der Energiekri­se um 30 bis 40 Prozent verteuert“, sagte VFAChefvol­kswirt Claus Michelsen. Zudem kühle sich das Geschäft mit Corona-Impfstoffe­n ab.

Der Coup des Mainzer Hersteller­s Biontech, der den weltweit ersten zugelassen­en Corona-Impfstoff aus Deutschlan­d auf den Markt brachte, hatte dem Pharmastan­dort zu neuem Glanz verholfen und der Branche kräftig Aufwind verschafft. Der Umsatz stieg laut VFA im vergangene­n Jahr um 6,5 Prozent und die Produktion um 3,6 Prozent. Die Branche wird nach früheren Angaben des Verbands noch über Jahre von Corona-Impfstoffe­n profitiere­n, wenngleich die Nachfrage mit dem Abflauen der Pandemie fällt. Die Bundesregi­erung hatte jüngst bekannt gegeben, dass sie umfangreic­he Lieferunge­n abbestelle­n will. Zudem sieht sich die

Branche wegen der Regulierun­g unter Druck. Gesundheit­sminister Karl Lauterbach hat die Hersteller­rabatte, die Unternehme­n den gesetzlich­en Krankenkas­sen gewähren müssen, für 2023 erhöht. Das soll die Ausgaben im Gesundheit­ssystem begrenzen. Die verschärft­en Rabatte kosteten die Branche mehr als 1,5 Milliarden Euro, berichtete der VFA, der 47 Arzneihers­teller mit 94.000 Beschäftig­ten in Deutschlan­d vertritt.

„2023 wird für die Pharmaindu­strie ein Jahr der Herausford­erungen“, sagte VFA-Präsident Han Steutel.

„Zum einen lasten die hohen Preise für Energie und Vorprodukt­e auf der Branche, zum anderen verschlech­tern sich die Rahmenbedi­ngungen durch die neue Gesetzgebu­ng immens.“Die höheren Kosten müsse die Branche wegen der weitgehend­en Preisregul­ierung von Arzneien in der Regel selbst schultern. Das zum Jahreswech­sel in Kraft getretene GKVFinanzs­tabilisier­ungsgesetz werde für weitere Belastunge­n sorgen.

Auch bei einzelnen Unternehme­n sind die Sorgen groß: Der Pharmakonz­ern Boehringer Ingelheim, der

in Biberach seinen größten Forschungs­und Entwicklun­gsstandort unterhält, hat davor gewarnt, dass die Erhöhung des Hersteller­rabatts und ein Einfrieren der Arzneiprei­se die Innovation­skraft der Branche schmälere – mit Folgen für Patienten.

Der VFA mahnte, die Erfolge nach dem Biontech-Coup nicht zu verspielen. „Wegen der schlechter­en Aussichten halten sich Pharmaunte­rnehmen mit Investitio­nen in Forschung und Entwicklun­g zurück, die dann in den Folgejahre­n nicht mehr für die Produktion zur Verfügung stehen“,

sagte Chefvolksw­irt Michelsen. Er erwartet, dass die Investitio­nen in der Branche in diesem Jahr um 2,3 Prozent sinken.

Während die Konkurrenz in den USA mit einer starken Forschung und einem großen Kapitalmar­kt punkte, hole China bei der Zahl der Patente auf. Die Volksrepub­lik stehe hier weltweit auf Platz 5 – hinter Deutschlan­d auf Rang 2 und den USA an der Spitze. „Schreibt man die Entwicklun­g der vergangene­n Jahre fort, wird China schon bald Deutschlan­d überholen“, sagte Michelsen.

 ?? FOTO: STEPHANIE PILICK/DPA ?? Abfüllung von Infusionsl­ösungen bei B. Braun im hessischen Melsungen: Der Impfstoffe­rfolg von Biontech hat die deutsche Pharmaindu­strie beflügelt. Nun rechnet sie mit härteren Zeiten.
FOTO: STEPHANIE PILICK/DPA Abfüllung von Infusionsl­ösungen bei B. Braun im hessischen Melsungen: Der Impfstoffe­rfolg von Biontech hat die deutsche Pharmaindu­strie beflügelt. Nun rechnet sie mit härteren Zeiten.

Newspapers in German

Newspapers from Germany