Grüne gegen Pestizidverbote der EU
Vorgaben aus Brüssel torpedieren Baden-Württembergs Anstrengung für Naturschutz
- Das geht zu weit: Die Landtagsgrünen haben in ihrer Fraktionsklausur am Mittwoch eine Resolution verabschiedet, in der sie sich gegen Pläne der EU zur Pestizidreduktion aussprechen. Kommt alles so wie in den Brüsseler Entwürfen bisher vorgesehen, läute dies das Ende des Kompromisses ein, den Baden-Württemberg hart errungen hat, zeigt sich die Ökopartei überzeugt. „Für uns gilt: Kooperativer Naturschutz statt Verbote!“, erklärt der Grüne Agrarexperte Martin Hahn.
Rückblick: 2019 brachte das Volksbegehren „Rettet die Bienen!“das Land unter Druck. Die Forderungen darin zum Insektenschutz waren selbst manchen Naturschützern zu weitreichend. In etlichen Verhandlungsrunden fanden Landesregierung, Natürschützer und Landwirte einen gemeinsamen Weg. Der Kompromiss mündete Mitte 2020 im Biodiversitätsstärkungsgesetz, das unter anderem bis 2030 eine Halbierung der ausgebrachten Pestizidmengen vorsieht. In Naturschutzgebieten dürfen diese nur bei Härtefällen und mit Genehmigung eingesetzt werden, in anderen Schutzgebieten gelten verschärfte Regeln. Der Ökolandbau soll im selben Zeitraum auf bis zu 40 Prozent wachsen.
Diese differenzierten Betrachtungen lässt die EU in ihren Entwürfen nicht zu. Sie will jegliche Pflanzenschutzmittel aus allen Schutzgebieten verbannen. Das kritisieren die Landtagsgrünen bei ihrer Klausur in Brüssel. In ihrer Resolution, die der „Schwäbischen Zeitung“vorliegt, heißt es: Die Frage, in welchen Schutzgebieten Pestizide eingesetzt werden dürften, sei größter Stolperstein auf dem Weg zum Biodiversitätsstärkungsgesetz gewesen. Ein Drittel der Landesfläche liege in einer Schutzgebietskategorie. 30 Prozent dieser Fläche werde landwirtschaftlich genutzt. „Das vollständige Verbot von Pflanzenschutzmitteln, biologische inbegriffen, hätte das Aus vieler Betriebe, auch ökologisch geführter, bedeutet und einen deutlichen Rückgang der Produktion von Wein, Obst, Beeren und Gemüse.“
Dabei liegt der Selbstversorgungsgrad laut aktuellsten Zahlen des Agrarministeriums von Minister Peter Hauk (CDU) beim Obst lediglich bei 52, beim Gemüse bei 21 Prozent. Die Abhängigkeit von Importen zu erhöhen könne nicht das Ziel sein. Zumal diejenigen Länder bei dieser Regelung das Nachsehen hätten, die Vorreiter beim Ausweisen von Schutzgebieten sind.
So erklären sie in ihrer Resolution: „Pauschale Verbote jeglicher Pflanzenschutzmittel über Naturschutzgebiete, Nationalparks, Kern- und Pflegezonen von Biosphärengebieten und geschützte Biotope hinaus lehnt die Fraktion ab, sie sind für BadenWürttemberg nicht umsetzbar.“
Aus dem Südwesten bekommen die Grünen breite Unterstützung. Die bisherigen Pläne der EU wären nicht nur ein Schlag gegen das mühsam errungene Biodiversitätsstärkungsgesetz, sagt etwa Agrarminister Hauk. „Es befördert den Vertrauensverlust in verlässliche Politik bei den Akteuren, die wir jetzt dringend benötigen um die gesetzten Reduktionsziele zu erreichen.“Auch der Landesbauernverband sieht den Kompromiss im
Südwesten in Gefahr. „Der badenwürttembergische Weg des kooperativen Naturschutzes ist gesellschaftlich anerkannt, stärkt den Artenschutz und gibt unseren landwirtschaftlichen Familienbetrieben eine Zukunftsperspektive“, hatte Bauernpräsident Joachim Rukwied im Dezember erklärt. Dieser Weg dürfe nicht gefährdet werden, die EU solle ihre Vorschläge zurückziehen.
Zu diesem Weg gehört unter anderem, die eingesetzte Mengen an Pestiziden zu dokumentieren. Im Dezember hat Minister Hauk die aktuellen Zahlen vorgelegt, basierend auf Daten eines Netzwerks von 300 Betrieben. Demnach lag 2020 die ausgebrachte Menge 17 Prozent unter dem Mittelwert der Jahre 2016 bis 2019.
Auch die ersten Daten für 2021 legen eine weitere Reduktion um zehn Prozent nahe. Diese Zahlen müssen aber noch validiert werden.
Selbst in Naturschutzgebieten kamen laut Agrarministerium Mittel zum Einsatz – bis Ende 2021 demnach geschätzt vier Tonnen. Zahlen vom April 2022 sprechen von 202 genehmigten Ausnahmen vom Pestizidverbot. „Davon in 39 Fällen aus wirtschaftlichen Gründen (als sogenannte Härtefälle) und in 163 Fällen aus ökologischen Gründen (zur Erhaltung des Schutzgebietes)“, erkärt Hauks Haus auf Anfrage.
„Die Unruhe bei dem Thema ist da“, sagt eine Sprecherin des Landesbauernverbands. Neben dem Flächenverbrauch treiben die EU-Pläne zur Pestizidreduktion die Bauern aktuell am meisten um. „Es gibt viele Kreise, die sich sorgen, dass sie dann keine Landwirtschaft mehr betreiben könnten.“Besonders betroffen sei neben dem Weinbau die Apfelbauregion am Bodensee.
Rückendeckung kommt auch aus den Reihen der Naturschützer. „Wir glauben, dass wenn wir in BadenWürttemberg den Weg konsequent weitergehen, wir auch die Ziele einer Reduktion um 50 Prozent erreichen wie von der EU gefordert“, sagt der Nabu-Landeschef Johannes Enssle. Das Ziel der EU sei zwar richtig, in der Umsetzung schieße sie aber mit einem Totalverbot sämtlicher Mittel in praktisch sämtlichen Schutzgebieten über das Ziel hinaus.
Doch im Südwesten sei noch längst nicht alles gut, erklärt Enssle mit Verweis auf eine andere Forderung der Grünen in deren Resolution. Sie mahnen, nicht nur wie geplant die Menge an ausgebrachten Mitteln zu dokumentieren, sondern auch deren tatsächliches Risikopotenzial für die Umwelt – also deren Toxizität. Genau das ist auch im Südwesten Gesetzeslage. Das Agrarministerium drücke sich aber darum, sagt Enssle. Er wolle bald einen Termin mit dem Agrarministerium vereinbaren, „um zu besprechen, wann endlich auch die Risikobewertung kommt“. Das Ministerium arbeite daran und wolle die Daten bis Ende 2030 vorlegen, stellt Hauks Sprecherin in Aussicht.
Ihre Resolution haben die Grünen in Brüssel einer Vertreterin von EUUmweltkommissar Virginijus Sinkevicius überreicht. Die ersten Zeichen seien positiv. „Die Signale, die wir aus Brüssel mitnehmen, lassen hoffen, dass die Verbote in allen Schutzgebieten, die unseren Weinbau, Obstbau und die Breite der Landwirtschaft massiv bedroht hätten, vom Tisch sind“, so Agrarexperte Hahn.