„Auch Kritiker des Staates müssen nach geltendem Gesetz behandelt werden“
Rechtsanwältin Andrea Combé hat den Wetterexperten Jörg Kachelmann verteidigt und erklärt, wie Justiz und Strafverfolgung mit prominenten Fällen wie aktuell dem „Querdenken“-Gründer Ballweg umgehen
- Sie war an einem der spektakulärsten Prozesse der vergangenen Jahre beteiligt: Andrea Combé hat Jörg Kachelmann vor Gericht vertreten, der Wetterexperte wurde bekanntlich vom Vorwurf der Vergewaltigung freigesprochen. im Interview erklärt die Anwältin aus Heidelberg, wie Justiz und Strafverfolgung mit Fällen umgehen, die besonders im Licht der Öffentlichkeit stehen.
Frau Combé, Sie haben schon viele prominente Mandanten verteidigt, der bekannteste war Jörg Kachelmann. Gehen Strafverfolgung und Justiz mit solchen Mandanten anders um als mit anderen?
Nein, in der Sache meiner Erfahrung nach nicht. Und ich arbeite seit über 30 Jahren als Strafverteidigerin. Aber natürlich ist der öffentliche Druck in solchen Fällen immens.
Welche Auswirkungen hat das öffentliche Interesse?
Der Druck, insbesondere durch die Medien, bewirkt, dass sich die Öffentlichkeit eine Meinung bildet und Partei ergreift. Im Fall Kachelmann war die Nation gespalten – die eine Hälfte hielt meinen Mandanten für schuldig, die andere für unschuldig. Aber ich habe persönlich noch nie ein Verfahren erlebt, in dem sich Richter oder Staatsanwälte davon haben beeinflussen lassen. Was nach meinem Eindruck allerdings passiert: Oft wird in solchen Verfahren schneller gearbeitet, um den ständigen Nachfragen der Medien zu entgehen und die Angelegenheit möglichst schnell zu erledigen.
Der Gründer der „Querdenker“Bewegung Michael Ballweg sitzt nun seit mehr als sechs Monaten in U-Haft. Ist das außergewöhnlich?
Nein, absolut nicht. Im Gesetz steht zwar, die Staatsanwaltschaft sollte spätestens nach sechs Monaten Anklage erhoben haben. Aber aus meiner Erfahrung kann ich sagen, dass dieser Zeitraum bei Verfahren mit größerem Aktenumfang sehr schnell überschritten wird.
Im Fall Ballweg geht es um den Verdacht des versuchten gewerbsmäßigen Betrugs und der Geldwäsche, also Wirtschaftsstrafsachen. Ist eine solche Verzögerung besonders dort typisch?
In der Tat ist der Aktenumfang in solchen Verfahren rasch sehr groß. Ich kenne den speziellen Fall jetzt nicht. Aber bei gewerbsmäßigen Betrugsvorwürfen müssen zahlreiche potenzielle Geschädigte angehört werden, es muss für jeden berechnet werden, wie hoch der angeblich entstandene Schaden ist. Ich habe es eigentlich noch nie erlebt, dass bei größeren Wirtschaftsstrafsachen die Sechsmonatsfrist bei der Untersuchungshaft eingehalten wurde. Das liegt nicht an der Untätigkeit der Ermittlungsbehörden. Das Gesetz verlangt die vorher beschriebenen Ermittlungsschritte einfach.
Ballwegs Verteidiger monieren, ihr Mandant habe keine Akteneinsicht erhalten, „sodass eine ordnungsgemäße vorherige Stellungnahme für ihn nicht möglich geweRechtfertigen
sen sei“. Ist Akteneinsicht üblich?
Was da nun im konkreten Fall passiert ist, weiß ich natürlich nicht. Grundsätzlich müssen Verteidiger Akteneinsicht bekommen, so sieht es das Gesetz vor. Sie müssen in der Lage sein zu prüfen, wie die Staatsanwaltschaft den dringenden Tatverdacht gegen den Beschuldigten begründet. Denn dieser dringende Tatverdacht ist Voraussetzung dafür, dass eine Untersuchungshaft überhaupt angeordnet werden darf. Außerdem muss noch einer der vier Haftgründe vorliegen – Flucht, Flucht-, Wiederholungs- oder Verdunklungsgefahr. die gegen Ballweg erhobenen Vorwürfe eine Untersuchungshaft überhaupt? Auch hier hängt das immer vom Einzelfall und möglichen Schadensummen ab, pauschal ist das schwer zu sagen. Wenn aber ein Gericht den dringenden Tatverdacht bejaht, geht man offenbar von hohen möglichen Haftstrafen aus. Bei gewerbsmäßigem Betrug liegt die Mindeststrafe bei sechs Monaten Haft, je nach Summe reicht der Strafrahmen bis zu zehn Jahren. Wenn wie bei Herrn Ballweg nur der Versuch im Raum steht, kann das strafmildernd wirken – aber selbst dann kann je nach Schadensumme das zu erwartende Strafmaß noch sehr hoch sein.
In Bayern saßen über Weihnachten Aktivisten der „Letzten Generation“tagelang in Präventivhaft,
eine juristisch ohnehin umstrittene Maßnahme. Behandeln Staatsanwaltschaften und Gerichte Kritiker des Staates härter als andere?
Ich habe das jedenfalls noch nicht erlebt. Auch Kritiker des Staates und der Justiz müssen nach geltenden Gesetzen behandelt werden. Und wenn das nicht passiert, ist es ja gerade unsere Aufgabe als Verteidiger, einzuschreiten. Wir können den ganzen gerichtlichen Instanzenzug nutzen, vom Amtsgericht bis zum Bundesverfassungsgericht und zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Gerade wenn die Öffentlichkeit besonders genau hinschaut, können andere Juristen ja sehr schnell Verstöße gegen geltendes Recht erkennen. Einer solchen Blamage wird sich kaum ein Richter oder Staatsanwalt aussetzen wollen.
Ist nicht gerade der Fall Kachelmann einer, der durchaus Versäumnisse von Staatsanwaltschaft und Gericht gezeigt hat. Letztlich waren die Vorwürfe gegen ihn kaum belegt, Kachelmanns Ruf ist aber nachhaltig beschädigt.
Ein Gericht trifft keinesfalls immer die richtige Entscheidung. Richter lesen eine Akte, dann bilden sie sich eine erste Meinung – das geht mir ja genauso. Aber natürlich besteht die Gefahr, dass man einen Tunnelblick bekommt und keine anderen Möglichkeiten mehr in Betracht zieht. Einige Richter sind dann sehr schwer vom Gegenteil zu überzeugen, andere sind offener für Gegenargumente der Verteidigung. Im Fall von Herrn Kachelmann bin ich heute der Überzeugung, dass die Staatsanwaltschaft da festgefahren war. Auch das Gericht hat sich viel zu lange sehr schwergetan, zu einem Freispruch zu kommen. Ich habe schon nach der ersten Akteneinsicht und vor dem ersten Gespräch mit Herrn Kachelmann gesagt: ,Wenn er bei dieser Beweislage verurteilt wird, gebe ich meine Zulassung als Anwältin zurück.’ Immerhin wurde er freigesprochen, aber nur nach dem Grundsatz ,im Zweifel für den Angeklagten’. Da hat später das Zivilgericht wesentlich klarere Worte gefunden, das hätten wir uns schon früher vom Strafgericht gewünscht.
Erleben Sie Versuche der Politik, Einfluss auf Staatsanwaltschaft oder Gerichte zu nehmen?
Ich möchte nicht unbedingt die Hand für jeden Richter ins Feuer legen. Es gibt sicher jene, die eine feste politische Meinung haben, von der sie sich beeinflussen lassen. Aber wie gesagt: Dafür ist ja der Instanzenweg da. Dass sich alle Prozessbeteiligten, auch in anderen Instanzen, irgendwie in gleicher Weise beeinflussen lassen, halte ich in der heutigen Zeit für ausgeschlossen. Auch, dass Gerichte aus politischen Gründen offensichtliche Fehlentscheidungen in Kauf nehmen, für die sie öffentlich kritisiert werden. Es lässt sich schlicht nicht jede Kritik unterdrücken.
Aus Ihrer Erfahrung: Wo liegen denn Probleme im Strafverfahren in Deutschland?
Das eine oder andere gibt es sicher. Zum Beispiel eine neue Regelung bei der Pflichtverteidigung. Der Haftrichter kann jetzt selbst bestimmen, welchen Pflichtverteidiger er einem Beschuldigten zuweist. Da gibt es meinem Eindruck nach schon die Tendenz, immer dieselben Anwälte auszuwählen – und zwar jene, die möglicherweise bei Gericht nicht so streitig auftreten. Zwar sollen sich die Haftrichter mittlerweile an eine Liste von Pflichtverteidigern halten, aber mir scheint es, als halte sich nicht jeder daran. Immerhin können Beschuldigte nun nach drei Wochen Untersuchungshaft den Pflichtverteidiger noch einmal wechseln. Ganz generell glaube ich aber, dass solche Probleme eher Fälle betreffen, die nicht in der Öffentlichkeit stehen.