Der rehabilitierte Skandal-Kardinal
Australier George Pell überraschend mit 81 Jahren nach Hüftoperation gestorben – Später Freispruch für den früheren Finanzmanager des Vatikans in Missbrauchsprozess
(KNA) - Oftmals hinkt der Vergleich, doch die bemerkenswerte Karriere von George Pell glich tatsächlich der oft bemühten Achterbahnfahrt. In seiner australischen Heimat hätte er Footballstar werden können, doch der Hüne wählte die geistliche Laufbahn, wurde Kirchenhistoriker, Bischof, Kardinal. Und als solcher wurde er wiederum Footballer, rempelte im Vatikan einer Reform der verfilzten Kirchenfinanzen den Weg frei. Am Dienstag ist er im Alter von 81 Jahren überraschend an den Folgen einer Hüftoperation gestorben.
Noch in der vergangenen Woche saß Pell ganz nah am Sarg des gestorbenen Papstes Benedikt XVI. – einen ganzen Kopf größer als die übrige Reihe der weit mehr als 100 Senatoren im Kardinalspurpur. Der amtierende Papst Franziskus nannte ihn nach der Feier „einen Großen“. Das war keineswegs Ironie, sondern eine bewusste Geste, im Licht des so baldigen Todes von Pell sogar eine „lebenswichtige“. Es war eine förmliche Rehabilitation.
Denn Pell (Foto: dpa), der breitschultrige Checker, hätte um ein Haar jahrelang im Gefängnis gesessen. Seine Gegner im Vatikan – oder in Australien, denn auch dort war er mit seinem streitbereiten Wesen stets angeeckt – hatten ihn für immerhin 400 Tage in Einzelhaft gebracht. Bis Australiens Oberster Gerichtshof im April 2020 das Urteil wegen angeblichen Missbrauchs gegen ihn aufhob und ihn freisprach.
Seither verbrachte er eine Jahreshälfte in Rom, die andere in Australien. Die Frage, was sich damit für ihn verändert habe, beantwortete er leicht entrüstet: „Nun, ich bin ein freier Mann und kein öffentlich Verurteilter mehr. Das ist doch was.“Insgesamt habe er ein „gutes Leben“gehabt.
Im Dezember 2018 war der frühere Kurienkardinal von einem Geschworenengericht in Melbourne zu sechs Jahren Haft verurteilt worden, weil er 1996 nach einer Messe in der Sakristei der Kathedrale von Melbourne zwei Chorknaben missbraucht haben soll. Wegen ungenügender Beweislage – es gab nur einen Belastungszeugen und eine wenig wahrscheinliche Tatkonstellation – wurde das Urteil letztinstanzlich aufgehoben. Im Bericht der Royal Commission in Australien vom Mai 2020 kommt Pell aber nicht ganz ungeschoren davon: Als Bischofsvikar in Ballarat soll er Anfang der 1970erJahre wie andere gewusst haben, dass ein Missbrauchstäter wiederholt versetzt statt angezeigt wurde.
Als Pell im Juni 2017 aus Rom abreisen musste, um sich in Melbourne vor Gericht zu verantworten, lag eine längere Auseinandersetzung hinter ihm: Papst Franziskus hatte ihn zum Leiter des 2014 neu geschaffenen Wirtschaftssekretariats gemacht. Damit sollte Pell die Geldtöpfe und -ströme in der Kurie strukturieren und kontrollieren. In der traditionell von Italienern geprägten Kurie kam Pells direkte und oft ruppige Art nicht gut an. Sein Hauptwidersacher war der damals einflussreichste Mann im Staatssekretariat, der Sarde Giovanni Angelo Becciu. Inzwischen ist Becciu entmachtet; das Staatssekretariat erlebte einen handfesten Finanzskandal mit Millionenverlusten; und Franziskus setzt jene Reformen durch, die Pell damals vorschlug.
Es sei bekannt gewesen, dass die Investoren des Vatikans mit verdächtigen und unseriösen Leuten zusammenarbeiteten, sagte der Australier nach seiner Rückkehr. Er glaube kaum, „dass das Staatssekretariat noch viel Geld übrig hat“, spöttelte Pell. „Die waren – wohlwollend ausgedrückt – spektakulär erfolglos!“
Geboren am 8. Juni 1941 in Ballarat westlich von Melbourne, gab Pell seine jugendliche Football-Karriere für den Priesterberuf auf. 1966 wurde er geweiht. 1987 ernannte ihn Johannes Paul II. zum Weihbischof in Melbourne, 1996 zum Erzbischof. 2001 wechselte er nach Sydney; zwei Jahre später erhielt er das Kardinalsbirett. Spätestens seit dem Weltjugendtag 2008 war Pell mit Benedikt XVI. befreundet, wie er selbst sagte.
Mit dem konservativen Deutschen fühlte sich der Australier geistesverwandt. Über seine theologische Ausbildung sagte Pell: „Wir wurden damals ziemlich gedrillt, das zu tun, was verlangt wurde und was ich nach wie vor als Gottes Wille erachte. Darin liegt eine gewisse Sicherheit.“Anders als mit Benedikt XVI. fremdelte Pell mit dessen Nachfolger Franziskus; dessen Theologie und Äußerungen waren ihm oft zu schwammig. Gleichwohl rechnete er dem Argentinier hoch an, dass dieser auch während Prozess und Haft zu ihm gehalten habe.
Zur kirchlichen Reformdebatte in Deutschland sagte Pell, es gehe nicht an, „die christliche Lehre über Sexualität umzuschreiben, die Lehre Jesu hinsichtlich Wiederheirat und Ehebruch zu ändern“oder „die Lehre des Paulus zu den Bedingungen für Kommunionempfang“. Auch eine Priesterweihe für Frauen „verträgt sich nicht mit der apostolischen Tradition“. Fehler und Missbrauch in der Kirche habe es nicht gegeben, weil man die kirchliche Lehre befolgte, sagte Pell zu den Reformanliegen des Synodalen Weges.
Natürlich müsse man hier und da reformieren und neue Wege gehen – aber nicht in wesentlichen Lehren. Das sehe das Gros des Kirchenvolkes ebenso. Was die katholische Kirche am wenigsten brauche, sei ein Abklatsch des liberaleren Protestantismus. „Dem laufen die Menschen noch schneller weg als uns“, so Pell. Worte eines legendären Remplers, der nun gegangen ist. Man dachte, er werde mindestens 95 – wie sein Förderer Benedikt XVI.