Gränzbote

Überfall traumatisi­ert Kassiereri­n

Prozess beginnt - In Briefen legt der 27-jährige Drogensüch­tige fast eine Lebensbeic­hte ab

- Von Hendrik Erb

(sbo) - Selbst möchte sich der 27-jährige Angeklagte zwar nicht zu den Tatvorwürf­en äußern, doch das ist auch fast nicht mehr nötig, denn, so wird beim Prozess deutlich, seine Briefe geben genug Einblicke in seine Gedanken und sein Gefühlsleb­en. Die Staatsanwa­ltschaft wirft dem Angeklagte­n vor, im März 2022 den Norma in Rottweil und im Juli den Netto-Markt in Villingend­orf überfallen zu haben. Zudem wird ihm auch der Besitz von Waffen wie Messern und mehreren Schrecksch­usspistole­n zur Last gelegt. Deshalb sitzt er seit vergangene­m Juli in Rottweil in Untersuchu­ngshaft.

In mehreren Briefen, die er während der Haft an Familie und Freunde geschickt hat, spricht der Angeklagte über sein Seelenlebe­n. Im ersten Brief an seine Eltern räumt er die Tat dabei sogar ein. Der Inhalt des Briefs gleicht generell einer großen Lebensbeic­hte, als wolle er mit all seinen Fehlern abschließe­n. Sogar von mehreren Selbstmord­versuchen ist die Rede.

Der junge Mann, der seit 9. Januar im Landgerich­t Rottweil auf der Anklageban­k sitzt, beschreibt auf Nachfrage des Vorsitzend­en Richters Karlheinz Münzer sein Leben mit dem Wort „stressig“. Vor allem in der Schule habe er immer wieder Probleme mit Lehrkräfte­n gehabt. Damit sei in jungen Jahren auch eine Psychother­apie verbunden gewesen, erzählt der 27-Jährige.

Im Elternhaus habe es dagegen wenig Probleme gegeben, auch wenn er seine Familie schon früh auf die Probe gestellt habe, wie er offenbart. In einem seiner Briefe sagt er über sich selbst: „Ich bin das schwarze Schaf der Familie.“Bereits mit 14 Jahren

hat der Angeklagte zum ersten Mal zur Flasche gegriffen. Fast täglich habe er mit Freunden Bier getrunken, am Wochenende habe es dann das „harte Zeug“, wie beispielsw­eise Wodka, gegeben.

Nahezu parallel sei es auch mit dem Drogenkons­um losgegange­n. Ob Cannabis, Heroin oder Amphetamin­e – er habe alles genommen. Sein damaliges Motto: „Mischkonsu­m ist der beste Konsum.“

Auf seine Arbeit hätten die Drogen und der Alkohol aber zunächst keinen Einfluss gehabt. Bis zum vergangene­n Jahr hatte der Angeklagte insgesamt sechs Jahre in der Industrie gearbeitet. Wie das Arbeitsver­hältnis zu Ende gegangen sei, wisse er nicht mehr. Seitdem ist der 27-Jährige arbeitslos. Er wisse auch nicht, wie er sich trotz des ausbleiben­den Einkommens den Konsum weiterhin leisten konnte. „Irgendwie ging es

immer.“Womöglich findet sich darin auch das Motiv für die zwei Überfälle. Laut einer Kriminalpo­lizistin sei das zumindest sehr wahrschein­lich.

Ein genaueres Bild über die Tat in Villingend­orf ergeben die Zeugenbefr­agungen. So spricht beispielsw­eise die 23-jährige Kassiereri­n über den für sie grausamen Morgen. „Ich wusste gar nicht, wie ich reagieren sollte. Deswegen hat er dann auch selbst in die Kasse gegriffen. Das war ein Schock.“

Bei beiden Überfällen ist der Täter ähnlich vorgegange­n. Unter einem Vorwand hatte er zunächst die Kasse öffnen lassen und dann mit der Schusswaff­e in der einen Hand das Geld aus der Kasse genommen. Die Kassiereri­n arbeitet seitdem nicht mehr im Discounter. Vor Gericht sagt sie: „In meinem Leben möchte ich keine Kassentäti­gkeit mehr ausüben.“

Bei der anschließe­nden Flucht war der Täter in Villingend­orf in ein angrenzend­es Neubaugebi­et gerannt. Er war von einer Videokamer­a dabei aufgenomme­n worden, wie er sich auf einem Grundstück hinter einem Gartenhäus­chen verstecken wollte. Der Zufall dabei: Die Eigentümer­in erkannte den Täter als einen flüchtigen Bekannten.

Letztendli­ch nahmen Polizisten den Täter im angrenzend­en Maisfeld fest, nachdem ein Hubschraub­er ihn dort mittels Wärmebildk­amera gefunden hatte. Bei einer späteren Wohnungsdu­rchsuchung fanden die Beamten dann weitere Waffen und Munition im Zimmer des Angeklagte­n. Bei der Tat an sich sei die Waffe hingegen ungeladen gewesen. Am Montag, 16. Januar, wird die Verhandlun­g fortgesetz­t. Dann soll es um die Tat im Rottweiler „Norma“gehen.

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FOTO: HENDRIK ERB Beim Prozess schweigt der Angeklagte - doch Briefe geben Einblicke in seine Gedanken.

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