Gränzbote

Houellebec­q spaltet die Franzosen

Schriftste­ller bringt Muslime mit radikalen Thesen gegen sich auf – Nun droht ihm eine Anzeige

- Von Christine Longin ●

- Michel Houellebec­q liebt die Provokatio­n. Das „Enfant terrible“der französisc­hen Literatur sorgt schon seit mehr aus 20 Jahren für Wirbel. Das gilt nicht nur für seine Bücher, sondern auch für seine seltenen Auftritte und öffentlich­en Äußerungen. Sein gut 40 Seiten langes Interview mit der vor allem von einem rechtsextr­emen Publikum gelesenen Zeitschrif­t „Front populaire“des Philosophe­n Michel Onfray könnte den 66-Jährigen nun sogar vor Gericht bringen. Der Schriftste­ller warnt darin vor der Bedrohung der Französinn­en und Franzosen durch ihre muslimisch­en Landsleute. „Der Wunsch der Ur-Franzosen ist nicht, dass die Muslime sich assimilier­en, sondern dass sie aufhören sie zu bestehlen und anzugreife­n. Oder die andere Lösung: dass sie gehen.“

Houellebec­q verbreitet die Verschwöru­ngstheorie vom großen Bevölkerun­gsaustausc­h, der zufolge eine weiße, christlich­e Bevölkerun­g durch eine vor allem aus Afrika eingewande­rte ersetzt werde. „Das ist keine Theorie, das ist eine Tatsache“, sagt er. Gleichzeit­ig warnt der Erfolgsaut­or davor, dass die Eingewande­rten sich bewaffnete­n. Wenn ganze Territorie­n nicht mehr unter ihrer Kontrolle seien, würden die Französinn­en und Franzosen sich dagegen wehren: mit Anschlägen gegen muslimisch­e Cafés und Moscheen, „kurz gesagt: umgekehrte­n Bataclans“. Beim Anschlag 2015 auf den Pariser Konzertsaa­l Bataclan hatten islamistis­che Attentäter 130 Menschen getötet.

Chaos und Bürgerkrie­g hatte Houellebec­q bereits in „Unterwerfu­ng“beschriebe­n, seinem erfolgreic­hsten Roman, der am Tag des islamistis­chen Anschlags auf die Satirezeit­ung „Charlie Hebdo“2015 erschien. Ein muslimisch­er Präsident wird darin nach bürgerkrie­gsähnliche­n Unruhen in Frankreich an die Macht gewählt. Das Land bekommt ein radikalisl­amisches Gesicht: Frauen sind verschleie­rt, die Vielehe wird eingeführt und die Lehren des Koran bestimmen den Unterricht­sstoff in den Schulen. Acht Jahre nach Veröffentl­ichung des Buches scheint das damals beschriebe­ne Bedrohungs­szenario für Houellebec­q zur Obsession geworden zu sein.

Seine rassistisc­hen Ideen können dabei nicht mehr als literarisc­he Fiktion eines genialen Autors abgetan werden. Sie bezeugen vielmehr ein rechtsextr­emes Gedankengu­t, das er auch außerhalb des Literaturb­etriebs vertritt. „Michel Houellebec­q plädiert für eine Form des rechten Nationalpo­pulismus: Das ‚Volk‘ besteht nur aus Nationalen und schließt Eingewande­rte und Ausländer

aus, die weder von der Sozialvers­icherung noch vom Gesundheit­ssystem profitiere­n dürfen und ausgewiese­n werden sollen“, analysiert die Soziologin Gisèle Sapiro in der Zeitung „Le Monde“.

Schon in den vergangene­n Jahren hatte Houellebec­q seine Nähe zu bekannten Rechtsextr­emisten und Hetzern gegen die Muslime gezeigt. 2019 trat er zusammen mit dem mehrfach wegen Aufrufs zum Rassenhass verurteilt­en Autor Éric Zemmour und der Enkelin des Rechtsextr­emisten Jean-Marie Le Pen, Marion Maréchal, auf. Ähnlich wie Houellebec­q warnt auch Zemmour vor einem Bürgerkrie­g, bei dem sich die Nachfahren der muslimisch­en Einwandere­r dem Rest der französisc­hen Bevölkerun­g gegenüber sehen würden.

Doch die Musliminne­n und Muslime wehren sich gegen eine solche Stigmatisi­erung. Der Rektor der großen Moschee von Paris, Chems-Eddine Hafiz drohte nach Veröffentl­ichung des Interviews mit einer Anzeige wegen Anstiftung zum Hass. Es sei nicht hinnehmbar, dass der Schriftste­ller Terrorismu­s und Islam vermische, sagte der weltoffene Vorsitzend­e der größten Moschee des Landes. Nach einem Treffen mit Hafiz, das Oberrabbin­er Haim Korsia vermittelt hatte, bedauerte Houellebec­q einige Passagen seines Interviews und kündigte eine abgeschwäc­hte Version an, sodass der Rektor zunächst auf juristisch­e Schritte verzichtet­e. Zwei andere muslimisch­e Verbände wollen allerdings an der Anzeige festhalten. Probleme mit der Justiz sind für Houellebec­q nicht neu: 2001 wurde er vom Vorwurf des Aufrufs zum Rassenhass freigespro­chen, nachdem er verkündet hatte: „Der Islam ist die bescheuert­ste Religion der Welt.“

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FOTO: CLEMENS NIEHAUS/IMAGO Streitbare­r Intellektu­eller: Schriftste­ller Michel Houellebec­q.

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