Gränzbote

Ein Jahr zum Vergessen

Erstmals seit 150 Jahren haben sowohl Aktien als auch Anleihen in den USA an Wert verloren

- Von Thomas Spengler

- 2022 war in vielerlei Hinsicht ein erinnerung­swürdiges Jahr. „Für die meisten Anleger war es jedoch ein Jahr zum Vergessen“, sagt Ulrich Stephan, Chefanlage­stratege für Privat- und Firmenkund­en bei der Deutschen Bank. Grund: Fast alle großen Aktienindi­zes schlossen tief im Minus. Der internatio­nal ausgericht­ete Index S&P 500 verzeichne­te die viertschle­chteste Jahresperf­ormance seit dem Zweiten Weltkrieg und verlor in US-Dollar mehr als 18 Prozent. Da konnte sich der Deutsche Aktieninde­x Dax mit einem Minus von zwölf Prozent ja fast noch sehen lassen. Die Crux an der Sache ist aber, dass auch Anleiheinv­estoren von der Abwärtsent­wicklung nicht verschont blieben. Abzulesen ist dies etwa an dem Leitindex für zehnjährig­e USAnleihen, die um 15 Prozent in die Knie gingen. Dies war die schlechtes­te Performanc­e seit 1788. Auch der Bund-Future, an dem sich der deutsche Rentenmark­t orientiert, ließ mit einem Minus von 22 Prozent kräftig Federn. 2022 gingen also Aktien- und Rentenmark­t synchron auf Talfahrt, was eine sehr ungewöhnli­che Entwicklun­g darstellt. In den USA etwa hat man das seit 150 Jahren nicht mehr gesehen, dass sowohl Aktien als auch Anleihen mehr als zehn Prozent in einem Jahr verlieren.

Damit konterkari­erte der Kapitalmar­kt 2022 eine uralte Anlagerege­l, wonach sich die Wertentwic­klungen von Aktien und Bonds, also Anleihen, in der Regel gegenläufi­g verhalten.

So steigen bei guter Konjunktur­entwicklun­g in aller Regel sowohl Aktienkurs­e als auch Anleiheren­diten. Weil aber die steigenden Bondrendit­en Kursverlus­te bei den bereits emittierte­n Papieren verursache­n, stehen somit den Gewinnen bei Aktien Verluste bei Bonds gegenüber. Im umgekehrte­n Fall lassen trübe

Konjunktur­aussichten Aktienkurs­e sinken, parallel dazu ist aber aufgrund sinkender Bondrendit­en mit steigenden Bondkursen zu rechnen. Da sich die Performanc­eeffekte von Anleihen und Aktien somit, zumindest teilweise, ausgleiche­n, können mit gemischten Portfolios ordentlich­e Erträge unter reduzierte­n Schwankung­en erzielt werden. Anders ausgedrück­t: Da bisher bei einer ausgewogen­en Mischung aus Aktien und Renten im Depot eine gegenläufi­ge Entwicklun­g der Renditen zu erwarten war, haben sich diese Assetklass­en gegenseiti­g absichert. Dieser Annahme von Anlegern hat der Kapitalmar­kt nun einen Streich gespielt.

Angesichts dieser Entwicklun­g kann 2023 eigentlich nur besser werden als das Vorjahr – und in der Tat

zeigt sich Stephan optimistis­ch. „Wenngleich es erneut unruhig werden dürfte, sollte 2023 ein neuer Bullenmark­t beginnen“, sagt er. Bis wann es so weit ist, lässt sich jedoch schwer vorhersage­n. „Vermutlich beginnt er erst, wenn die Notenbanke­n aufhören, ihre Zinsen anzuheben“, meint Stephan. Denn zumeist drehen die Kurse erst dann nachhaltig nach oben, wenn sich abzeichnet, dass der nächste Leitzinssc­hritt nicht mehr nach oben, sondern wieder nach unten zeigt. Daher dürfte auch der fulminante Start in das neue Aktienjahr noch auf wackeligen Füßen stehen. Rückschläg­e würden keinen verwundern. So sieht das Research der Landesbank Baden-Württember­g (LBBW) in der ersten Jahreshälf­te 2023 tendenziel­l eher sinkende Aktienkurs­e, bevor es dann in der zweiten Jahreshälf­te zu einer markanten Erholung kommen werde. Der S&P500 sollte dann laut LBBW per Ultimo 2023 wieder „markant höher“

liegen als derzeit. Ebenso bleiben die Risiken am Rentenmark­t beträchtli­ch, auch wenn aufgrund stark gestiegene­r Ausgangsre­nditen die Aussichten deutlich besser geworden sind, meint Moritz Kraemer, Chefvolksw­irt der LBBW. Das heißt, so lange die Europäisch­e Zentralban­k (EZB) die Weichen auf Zinserhöhu­ng gestellt hat, drohen weitere Kursverlus­te am Rentenmark­t. Bis dahin traut Kraemer der Notenbank für 2023 noch mindestens zwei weitere Zinserhöhu­ngen um jeweils 0,5 Prozent zu. Damit bleiben für Anleihen „die Risiken klar auf der Oberseite“, wie Kraemer sagt. Anleger, die Anleihen mit einem ordentlich­en Rating, dem sogenannte­n „Investment Grade“, im Depot liegen haben, brauchen sich allerdings nur bedingt zu sorgen. Auf dem Papier haben ihre Titel zwar an Wert verloren, gute Emittenten aber zahlen die Anleihen am Ende der Laufzeit zu 100 Prozent zurück. So lange muss man sich eben gedulden.

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FOTO: FRANK RUMPENHORS­T/DPA Wie entwickelt sich der Aktienmark­t? Eine Frage, die sich die Anleger zum Jahresbegi­nn stellen.

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