Gränzbote

„VW-Konzern muss auch ohne einen Arm überleben“

Vor dem Weltwirtsc­haftsforum spricht Top-Ökonom Wolff über die Herausford­erungen der deutschen Wirtschaft

- Von Hannes Koch ●

- Zum Auftakt des Weltwirtsc­haftsforum­s in Davos am kommenden Montag sprechen wir mit dem renommiert­en Ökonom und Außenpolit­iker Guntram Wolff über die Neuordnung der globalen Wirtschaft. „Die Politik sollte den Unternehme­n auch mal Vorgaben machen“, sagt der Chef der Deutschen Gesellscha­ft für Auswärtige Politik (DGAP) im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“.

„Blockisati­on“– diesen Begriff hat Klaus Schwab, der Chef des Weltwirtsc­haftsforum­s in Davos, für den aktuellen Zustand der globalen Politik gefunden. Im Gegensatz zur bisherigen Globalisie­rung zerfalle die Welt wieder in Machtblöck­e. Hat er recht?

Die geopolitis­chen Spannungen spielen heute eine größere Rolle als vor zehn Jahren. Das müssen die Unternehme­n bedenken. Viele tun das auch und analysiere­n die Risiken ihrer Auslandsge­schäfte. Wirtschaft­lich findet aber keine Entkoppelu­ng der Machtblöck­e statt. Beispielsw­eise stieg das Handelsvol­umen zwischen der EU und China im ersten Halbjahr 2022 an. Das ist keine Deglobalis­ierung, sondern eine Veränderun­g der Globalisie­rung. Während der Handel bis etwa 2010 schneller zunahm als die weltweite Wirtschaft­sleistung, wachsen beide nun im Gleichtakt.

Volkswagen verkaufte 2021 ungefähr 40 Prozent seiner Fahrzeuge in China, BASF erzielte 2022 dort etwa 15 Prozent seines Umsatzes. China steht für ein Zehntel des deutschen Außenhande­ls. Ist es nötig, diese Abhängigke­it der hiesigen Wirtschaft zu begrenzen, um die außenpolit­ische Souveränit­ät und Handlungsf­ähigkeit Deutschlan­ds zu erhalten?

Die Unternehme­n können Handel treiben und Gewinne machen – das ist ihre Aufgabe. Doch die Politik muss ihnen deutlich sagen: Wenn es zu einer außenpolit­ischen, möglicherw­eise militärisc­hen Konfrontat­ion kommt, sind sie auf sich allein gestellt. Die Politik kann sie dann nicht absichern. Denn die Bundesregi­erung wird ihren engsten Verbündete­n, die USA, unterstütz­en, sollte China Taiwan angreifen. Die InteNotfal­l

ressen deutscher Firmen sind dann zweit- oder drittrangi­g. Die notwendige Konsequenz lautet: Wird VW ein Arm, sein China-Geschäft, abgehackt, muss der Konzern trotzdem überleben können.

Der grüne Wirtschaft­sminister und Vizekanzle­r Robert Habeck propagiert in seiner China-Strategie eine gewisse Lösung der wirtschaft­lichen Verflechtu­ngen, um im Falle einer chinesisch­en Eroberung Taiwans unabhängig reagieren zu können. Ein richtiger Schritt?

Ja. Die Unternehme­n müssen sich alternativ­e Lieferante­n und Märkte außerhalb der Volksrepub­lik China suchen.

Und wenn sie das nicht freiwillig tun?

Damit sprechen Sie das Problem des sogenannte­n Moral Hazard an. Manchmal neigen Firmenvors­tände dazu, hohe Risiken in der Annahme einzugehen, dass der Staat sie im

rettet – wie vor der Finanzkris­e ab 2007. Dem darf die Bundesregi­erung jetzt nicht auch noch Vorschub leisten. Sie sollte keine Garantien mehr für private Investitio­nen in China übernehmen. Auch über die staatliche Hermesdeck­ung für Versicheru­ngen im Auslandsge­schäft muss man nachdenken.

Denkbar ist ein solches Szenario: China greift Taiwan an, es kommt zum Wirtschaft­sboykott. Der Verlust für VW ist so groß, dass etwa das Werk in Wolfsburg gefährdet ist. Die IG Metall organisier­t Demonstrat­ionen, damit die Regierung Dutzende Milliarden Euro als Hilfe zur Verfügung stellt.

Damit das nicht passiert, muss die Politik den Unternehme­n auch mal Vorgaben machen. Klare Signale sind nötig.

Gilt das auch für die Menschenre­chtssituat­ion in China?

Ja, etwa in Bezug auf das VW-Werk in der chinesisch­en Provinz Xinjiang. In dieser Region, in der auch Zulieferer von VW arbeiten, kommt es zu Zwangsarbe­it, von der Regierung verhängt gegen das Volk der Uiguren. Das darf Deutschlan­d nicht akzeptiere­n. Mit den 20 Prozent Stimmrecht­en des Landes Niedersach­sen im VW-Aufsichtsr­at sollte die Politik durchsetze­n, dass der Konzern Xinjiang verlässt.

Sie plädieren auch für mehr Energiesou­veränität.

Was heißt das?

Als Russland die Ukraine angriff, waren wir schlecht vorbereite­t. Nun sind die Energielie­ferungen aus Russland innerhalb nur eines Jahres praktisch auf null gesunken. Das ist eine enorme Leistung, die uns als Volkswirts­chaft allerdings mehrere Prozent unserer Wirtschaft­sleistung kostet. Für die Zukunft sollten wir deshalb darauf achten, die Abhängigke­it von dominanten Lieferante­n zu verringern.

Drei Viertel der Solarzelle­n weltweit stellen heute chinesisch­e Firmen her. Manche Fachleute befürchten, dass es bei Windrädern ähnlich kommen könnte. Brauchen wir eine europäisch­e Industriep­olitik, um den Ausbau der erneuerbar­en Energien auch im Konfliktfa­ll zu schaffen?

Dass China so viele Solarzelle­n liefert, zeigt: Die globale Energiewen­de läuft. Das ist erst mal eine gute Nachricht. Und als Ökonom werde ich nervös, wenn der Staat zu sehr in wirtschaft­liche Entscheidu­ngen eingreift. Denn das kann zu erhebliche­n, unnötigen Kostenstei­gerungen führen. Wir müssen die richtige Balance finden – und Handelspar­tner in anderen Teilen der Welt. Bei Solarzelle­n wollen beispielsw­eise die USA in die Herstellun­g einsteigen.

Führt die veränderte Weltlage dazu, dass die Produktion­skosten für hiesige Unternehme­n steigen, sie weniger Mittel für Forschung zur Verfügung haben und ihre Produktivi­tät leidet?

Nein, das ist ein Lobby-Argument der Industrie. Die Finanzieru­ng von Innovation­en hängt selten am Gewinn, sondern lässt sich über den Kapitalmar­kt bewerkstel­ligen. Auf der volkswirts­chaftliche­n Ebene sieht es anders aus. Wenn die Kosten der Energiewen­de insgesamt steigen, stehen weniger Mittel für private Ersparniss­e, Konsum und staatliche Investitio­nen zur Verfügung.

Müssen wir uns entscheide­n zwischen Freiheit und Wachstum?

Das sehe ich nicht. Das sind zwei Seiten einer Medaille. Wenn wir außenpolit­ische Risiken jetzt berücksich­tigen, wird unsere Volkswirts­chaft künftig widerstand­sfähiger sein. Das ist eine Voraussetz­ung für Wachstum und Wohlstand.

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FOTO: MARKUS SCHREIBER/DPA Ab Montag treffen sich im Schweizer Nobelort Davos wieder die Größen aus Politik, Wirtschaft und Wissenscha­ft auf dem Weltwirtsc­haftsforum, um sich über die Weltlage auszutausc­hen.

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