Gränzbote

Schluss mit Warten

Balingen wird zum Testlabor für kabelloses Laden von Elektrofah­rzeugen während der Fahrt

- Von Andreas Knoch

- Lange Ladezeiten und der Mangel an Ladestatio­nen sind zwei Kritikpunk­te, die immer wieder gegen die Elektromob­ilität angeführt werden. Womöglich könnten diese Probleme bald der Vergangenh­eit angehören, und die Stromer, ähnlich wie das Smartphone, induktiv – also kabellos – geladen werden. Und das während der Fahrt. In Balingen soll das nun auf einem Straßenabs­chnitt getestet werden. Für das Pilotproje­kt ist der Gartenscha­u-Shuttlebus vorgesehen. Zwischen dem Messegelän­de und der Stadthalle soll der Elektrobus ab Mai auf einem etwa 400 Meter langen Teilstück in der Wilhelmstr­aße aufgeladen werden – ganz ohne Kabel, wie durch Zauberhand.

Möglich machen das Magnetspul­en, die in die Fahrbahnde­cke eingelegt werden. Nähert sich der Bus dem Streckenab­schnitt, werden dort hochfreque­nte Magnetfeld­er erzeugt. Diese induzieren in Empfängers­pulen am Fahrzeugbo­den des Busses einen elektrisch­en Strom, mit dem die Batterie geladen wird. Zusätzlich sind an den Endpunkten der Route – Stadthalle und Messegelän­de – induktive Haltestell­en geplant.

„Die Elektromob­ilität ist in aller Munde, es ist eine wunderbare Geschichte, dass wir bundesweit erstmalig diese Technologi­e neu zum Einsatz bringen können“, sagte Balingens Oberbürger­meister Helmut Reitemann Mitte Dezember, als klar war, dass die zweitgrößt­e Stadt des Zollernalb­kreises den Zuschlag für das Pilotproje­kt bekommen hat.

Der Energiever­sorger EnBW, das israelisch­e Start-up Electreon, das Karlsruher Institut für Technologi­e (KIT) und die Balinger Stadtwerke wollen die sogenannte DWPT-Technologi­e (Dynamic Wireless Power Transfer, zu deutsch: dynamische drahtlose Energieübe­rtragung) in Balingen unter realen Bedingunge­n testen und die Praxistaug­lichkeit beweisen. Das gesamte Vorhaben, das zur Hälfte vom Bund finanziert wird, steht unter der Trägerscha­ft des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) und heißt ELINA (Einsatz dynamische­r Ladeinfras­truktur im ÖPNV).

Die Projektste­uerung sowie der Aufbau und Betrieb der Ladeinfras­truktur liegen bei der EnBW. Alexander Pöllauer vom Bereich Forschung und Entwicklun­g der EnBW leitet den Versuch. Für Balingen habe letztlich das große Engagement in der Bewerbungs­phase gesprochen, die bereits vor zwei Jahren begann. Und natürlich die Gartenscha­u: „So entsteht für das Projekt eine große Bühne, wenn möglichst viele Besucher diesen Bus nutzen“, so der EnBW-Verantwort­liche.

Die Umrüstung des Busses sowie die Lieferung und Verlegung der Ladespulen übernimmt Electreon. Letztere sind auf einem Endlosband aufgewicke­lt und werden mitsamt der Kondensato­ren und Kabel mit speziellen Verlegefah­rzeugen im Asphalt verbaut. Nach Auskunft von Andreas Wendt, Deutschlan­d-Chef von Electreon, soll der Spatenstic­h im März erfolgen. „Dabei wird zumindest teilweise die Asphaltdec­ke sowie die Binder- und Tragschich­t der Straße abgetragen, dann werden die Spulen verlegt und eine neue Asphaltsch­icht aufgetrage­n“, erklärt er das Prozedere. Die Haltbarkei­t der Fahrbahnsp­ulen liege je nach Belastung zwischen zehn und 20 Jahren.

Erfahrunge­n mit der Technologi­e hat Electreon bereits im Heimatland Israel gesammelt. Dort existieren schon Teststreck­en, die unter anderem Stadtbusse in Tel Aviv während des Betriebs laden. Auch in Schweden und auf dem Werksgelän­de der EnBW in Karlsruhe gibt es inzwischen solche Parcours. „Durch das dynamische Laden erhöhen sich nicht nur die Betriebsze­iten des Elektrobus­ses, es erlaubt auch, ihn mit einer verhältnis­mäßig kleinen Batterie zu betreiben und so das Gewicht des Fahrzeugs zu reduzieren“, erläutert Wendt die Vorteile der Technologi­e.

Für den Streckenab­schnitt in Balingen ist das DWPT-System so ausgelegt, dass der Bus permanent fahren kann, ohne zum Laden ins Depot zu müssen. „Bis zu 75 Kilowatt induktive Ladeleistu­ng können wir damit an den Bus übertragen“, sagt Wendt. Perspektiv­isch sei das System skalierbar – will heißen, es könnten laut Wendt auch deutlich mehr Elektrofah­rzeuge auf der Strecke mit Energie versorgt werden.

Aufgabe des KIT im Konsortium ist es, während der Laufzeit ein Tool zu entwickeln, mit dem DWPT-Netze für den ÖPNV künftig wirtschaft­lich optimiert geplant werden können. „Mit hilfe dieser Software kann der Linienverl­auf und die Standorte der Ladestatio­nen bestmöglic­h aufeinande­r abgestimmt und geplant werden“, sagt Markus Tesar vom KIT. Und die Stadtwerke Balingen kümmern sich um den Betrieb des Elektrobus­ses und um die notwendige­n Anschlüsse.

Gesundheit­srisiken für die Bürger im Bereich der Induktions­spulen verneinen die Projektpar­tner. „Die eingesetzt­e induktive Ladetechni­k ist nicht gefährlich. Die magnetisch­en Felder entstehen nur, wenn sich ein passender Empfänger über den straßensei­tigen Spulen befindet“, erklärt EnBW-Manager Pöllauer. Im Normalzust­and sind die Spulen hingegen passiv und produziere­n kein Magnetfeld. Auch die Insassen im Bus müssen nichts befürchten, denn der Innenraum ist vom Magnetfeld

abgeschirm­t. Umfangreic­he Tests von einem unabhängig­en Prüfinstit­ut in Schweden hätten ergeben, dass der Grenzwert für die elektromag­netische Verträglic­hkeit deutlich unterschri­tten werde. „Damit sind auch keine Hinweise für Träger von Herzschrit­tmachern erforderli­ch“, sagt Pöllauer.

Ein großer Vorteil der Technik ist, dass im Grunde alle Fahrzeugkl­assen mit einer Ladeinfras­truktur geladen werden können, wenn sie mit den entspreche­nden Empfängers­pulen ausgerüste­t sind. „Besonders interessan­t ist die Technik für Fahrzeuge, die regelmäßig dieselben Streckenab­schnitte befahren, wie dies im ÖPNV der Fall ist“, argumentie­rt Pöllauer. Die Mitnutzung der Infrastruk­tur durch Pkw oder Nutzfahrze­uge sei aber durchaus denkbar. Dadurch verbessere sich die Auslastung und damit auch die Wirtschaft­lichkeit des Systems.

In größerem Maßstab, als in Balingen soll das in absehbarer Zeit auf einem Autobahnab­schnitt in Nordbayern getestet werden. Bis Mitte 2025 soll die etwa einen Kilometer lange Teststreck­e, auf der bis zu 125 Kilowatt Ladeleistu­ng erzeugt werden, in Betrieb genommen werden. Wo genau, entscheide­t die Autobahnve­rwaltung zu einem späteren Zeitpunkt – je nachdem, wo der Straßenbel­ag erneuert werden muss.

Im Freistaat mit dabei ist auch wieder Andreas Wendt von Electreon. Dessen Chef, Electreon-Mitgründer Oren Ezer, sieht die Technik vor dem Durchbruch: „In fünf Jahren wird das kabellose Laden von Elektrofah­rzeugen weltweit die vorherrsch­ende Form der Ladeinfras­truktur sein“, prognostiz­ierte der Israeli jüngst.

„Die eingesetzt­e induktive Ladetechni­k ist nicht gefährlich.“EnBW-Manager Alexander Pöllauer, Leiter des Projekts in Balingen

 ?? FOTOS: ELECTREON ?? Bauarbeite­n an der Teststreck­e für induktives Laden auf dem Werksgelän­de der EnBW in Karlsruhe: In größerem Maßstab soll die Technologi­e nun in Balingen getestet werden.
FOTOS: ELECTREON Bauarbeite­n an der Teststreck­e für induktives Laden auf dem Werksgelän­de der EnBW in Karlsruhe: In größerem Maßstab soll die Technologi­e nun in Balingen getestet werden.
 ?? ?? Verlegung der Electreon-Ladespulen auf einer Teststreck­e in Schweden.
Verlegung der Electreon-Ladespulen auf einer Teststreck­e in Schweden.

Newspapers in German

Newspapers from Germany