Schluss mit Warten
Balingen wird zum Testlabor für kabelloses Laden von Elektrofahrzeugen während der Fahrt
- Lange Ladezeiten und der Mangel an Ladestationen sind zwei Kritikpunkte, die immer wieder gegen die Elektromobilität angeführt werden. Womöglich könnten diese Probleme bald der Vergangenheit angehören, und die Stromer, ähnlich wie das Smartphone, induktiv – also kabellos – geladen werden. Und das während der Fahrt. In Balingen soll das nun auf einem Straßenabschnitt getestet werden. Für das Pilotprojekt ist der Gartenschau-Shuttlebus vorgesehen. Zwischen dem Messegelände und der Stadthalle soll der Elektrobus ab Mai auf einem etwa 400 Meter langen Teilstück in der Wilhelmstraße aufgeladen werden – ganz ohne Kabel, wie durch Zauberhand.
Möglich machen das Magnetspulen, die in die Fahrbahndecke eingelegt werden. Nähert sich der Bus dem Streckenabschnitt, werden dort hochfrequente Magnetfelder erzeugt. Diese induzieren in Empfängerspulen am Fahrzeugboden des Busses einen elektrischen Strom, mit dem die Batterie geladen wird. Zusätzlich sind an den Endpunkten der Route – Stadthalle und Messegelände – induktive Haltestellen geplant.
„Die Elektromobilität ist in aller Munde, es ist eine wunderbare Geschichte, dass wir bundesweit erstmalig diese Technologie neu zum Einsatz bringen können“, sagte Balingens Oberbürgermeister Helmut Reitemann Mitte Dezember, als klar war, dass die zweitgrößte Stadt des Zollernalbkreises den Zuschlag für das Pilotprojekt bekommen hat.
Der Energieversorger EnBW, das israelische Start-up Electreon, das Karlsruher Institut für Technologie (KIT) und die Balinger Stadtwerke wollen die sogenannte DWPT-Technologie (Dynamic Wireless Power Transfer, zu deutsch: dynamische drahtlose Energieübertragung) in Balingen unter realen Bedingungen testen und die Praxistauglichkeit beweisen. Das gesamte Vorhaben, das zur Hälfte vom Bund finanziert wird, steht unter der Trägerschaft des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) und heißt ELINA (Einsatz dynamischer Ladeinfrastruktur im ÖPNV).
Die Projektsteuerung sowie der Aufbau und Betrieb der Ladeinfrastruktur liegen bei der EnBW. Alexander Pöllauer vom Bereich Forschung und Entwicklung der EnBW leitet den Versuch. Für Balingen habe letztlich das große Engagement in der Bewerbungsphase gesprochen, die bereits vor zwei Jahren begann. Und natürlich die Gartenschau: „So entsteht für das Projekt eine große Bühne, wenn möglichst viele Besucher diesen Bus nutzen“, so der EnBW-Verantwortliche.
Die Umrüstung des Busses sowie die Lieferung und Verlegung der Ladespulen übernimmt Electreon. Letztere sind auf einem Endlosband aufgewickelt und werden mitsamt der Kondensatoren und Kabel mit speziellen Verlegefahrzeugen im Asphalt verbaut. Nach Auskunft von Andreas Wendt, Deutschland-Chef von Electreon, soll der Spatenstich im März erfolgen. „Dabei wird zumindest teilweise die Asphaltdecke sowie die Binder- und Tragschicht der Straße abgetragen, dann werden die Spulen verlegt und eine neue Asphaltschicht aufgetragen“, erklärt er das Prozedere. Die Haltbarkeit der Fahrbahnspulen liege je nach Belastung zwischen zehn und 20 Jahren.
Erfahrungen mit der Technologie hat Electreon bereits im Heimatland Israel gesammelt. Dort existieren schon Teststrecken, die unter anderem Stadtbusse in Tel Aviv während des Betriebs laden. Auch in Schweden und auf dem Werksgelände der EnBW in Karlsruhe gibt es inzwischen solche Parcours. „Durch das dynamische Laden erhöhen sich nicht nur die Betriebszeiten des Elektrobusses, es erlaubt auch, ihn mit einer verhältnismäßig kleinen Batterie zu betreiben und so das Gewicht des Fahrzeugs zu reduzieren“, erläutert Wendt die Vorteile der Technologie.
Für den Streckenabschnitt in Balingen ist das DWPT-System so ausgelegt, dass der Bus permanent fahren kann, ohne zum Laden ins Depot zu müssen. „Bis zu 75 Kilowatt induktive Ladeleistung können wir damit an den Bus übertragen“, sagt Wendt. Perspektivisch sei das System skalierbar – will heißen, es könnten laut Wendt auch deutlich mehr Elektrofahrzeuge auf der Strecke mit Energie versorgt werden.
Aufgabe des KIT im Konsortium ist es, während der Laufzeit ein Tool zu entwickeln, mit dem DWPT-Netze für den ÖPNV künftig wirtschaftlich optimiert geplant werden können. „Mit hilfe dieser Software kann der Linienverlauf und die Standorte der Ladestationen bestmöglich aufeinander abgestimmt und geplant werden“, sagt Markus Tesar vom KIT. Und die Stadtwerke Balingen kümmern sich um den Betrieb des Elektrobusses und um die notwendigen Anschlüsse.
Gesundheitsrisiken für die Bürger im Bereich der Induktionsspulen verneinen die Projektpartner. „Die eingesetzte induktive Ladetechnik ist nicht gefährlich. Die magnetischen Felder entstehen nur, wenn sich ein passender Empfänger über den straßenseitigen Spulen befindet“, erklärt EnBW-Manager Pöllauer. Im Normalzustand sind die Spulen hingegen passiv und produzieren kein Magnetfeld. Auch die Insassen im Bus müssen nichts befürchten, denn der Innenraum ist vom Magnetfeld
abgeschirmt. Umfangreiche Tests von einem unabhängigen Prüfinstitut in Schweden hätten ergeben, dass der Grenzwert für die elektromagnetische Verträglichkeit deutlich unterschritten werde. „Damit sind auch keine Hinweise für Träger von Herzschrittmachern erforderlich“, sagt Pöllauer.
Ein großer Vorteil der Technik ist, dass im Grunde alle Fahrzeugklassen mit einer Ladeinfrastruktur geladen werden können, wenn sie mit den entsprechenden Empfängerspulen ausgerüstet sind. „Besonders interessant ist die Technik für Fahrzeuge, die regelmäßig dieselben Streckenabschnitte befahren, wie dies im ÖPNV der Fall ist“, argumentiert Pöllauer. Die Mitnutzung der Infrastruktur durch Pkw oder Nutzfahrzeuge sei aber durchaus denkbar. Dadurch verbessere sich die Auslastung und damit auch die Wirtschaftlichkeit des Systems.
In größerem Maßstab, als in Balingen soll das in absehbarer Zeit auf einem Autobahnabschnitt in Nordbayern getestet werden. Bis Mitte 2025 soll die etwa einen Kilometer lange Teststrecke, auf der bis zu 125 Kilowatt Ladeleistung erzeugt werden, in Betrieb genommen werden. Wo genau, entscheidet die Autobahnverwaltung zu einem späteren Zeitpunkt – je nachdem, wo der Straßenbelag erneuert werden muss.
Im Freistaat mit dabei ist auch wieder Andreas Wendt von Electreon. Dessen Chef, Electreon-Mitgründer Oren Ezer, sieht die Technik vor dem Durchbruch: „In fünf Jahren wird das kabellose Laden von Elektrofahrzeugen weltweit die vorherrschende Form der Ladeinfrastruktur sein“, prognostizierte der Israeli jüngst.
„Die eingesetzte induktive Ladetechnik ist nicht gefährlich.“EnBW-Manager Alexander Pöllauer, Leiter des Projekts in Balingen