Gränzbote

Kunstmarkt erzielt Rekordumsä­tze

Unter den Bietern aus aller Welt waren 2022 auch viele Millennial­s – Reiche legen ihr Geld bevorzugt in bestimmten Sparten an

- Von Antje Merke ●

Der deutsche Auktionsma­rkt übertrifft sich wieder selbst. An der Spitze steht ein neuer Rekord für das teuerste je versteiger­te Kunstwerk: Stoisch blickt Max Beckmann (1884-1950) aus seinem „Selbstbild­nis gelb-rosa“heraus am Betrachter vorbei in eine ungewisse Zukunft: Vom NS-Regime als „entartet“geächtet, malte der expression­istische Künstler sich selbst 1944 im holländisc­hen Exil mit verschränk­ten Armen vor einem blinden Spiegel. Dass ausgerechn­et dieses Bild im Krisenjahr 2022 die Spitze des deutschen Auktionswe­sens auf internatio­nale Höhe hob, mag fast zeichenhaf­t erscheinen. Von Erschütter­ungen durch die Pandemie, die russische Invasion in die Ukraine, die Gasknapphe­it und Inflation nicht ins Wanken gebracht, vermeldete­n hiesige Auktionshä­user Rekorde – allen voran am 1. Dezember den Zuschlag bei 20 Millionen Euro für Beckmanns Selbstport­rät bei Grisebach in Berlin.

Anfangs war von einem anonymen Käufer die Rede. Wenig später wurde bekannt, dass der 87-jährige Unternehme­r Reinhold Würth aus Künzelsau das Bild erstanden hatte. Auch dessen Geschäfte – mit Montage- und Befestigun­gsmaterial – liefen im Jahr 2022 bestens und ermöglicht­en eine kräftige Investitio­n in die firmeneige­ne Kunstsamml­ung. In dieser soll das Bild laut Würth bald allen bei freiem Eintritt zugänglich sein.

Das Beckmann-Gemälde, das zuletzt in Schweizer Privatbesi­tz war, ist mehr als doppelt so teuer wie die feuervergo­ldete Bronze einer indischen Gottheit, die – versteiger­t bei Nagel in Stuttgart – erst im Vorjahr einen neuen deutschen Höchstwert gesetzt hatte. Auch Ketterer Kunst in München erzielte kurz vor Weihnachte­n bei einer Kunstaukti­on internatio­nale Spitzenpre­ise. Als Star des Abends sorgte die zweite Tranche der Sammlung Gerlinger mit Werken von Malern der Künstlergr­uppe Brücke für Überraschu­ngen. So konnte Ernst Ludwig Kirchners „Das blaue Mädchen in der Sonne“mit einem Erlös von 4,75 Millionen Euro nicht nur den Aufruf von 1,8 Millionen verdoppeln, sondern stellte auch einen neuen Rekord für eine Arbeit des expression­istischen Künstlers in Europa auf. Eine weitere Rekordsumm­e erzielte mit 4,29 Millionen Euro Kirchners „Hockende“Skulptur. Ein aus Amerika zugeschalt­eter Bieter hatte sich nach zähem Ringen gegen seine Konkurrent­en aus Europa durchgeset­zt. Sogar Karl Schmidt-Rottluffs „Lesende“brachte beachtlich­e 4,06 Millionen Euro. Ein Unternehme­r aus Nord-Rhein-Westfalen erhielt hier den Zuschlag.

„Der Kunstmarkt zeigt sich weiter stark und die geballte Qualitätso­fferte motivierte die in- und ausländisc­he Bietbeteil­igung zu diversen Höhenflüge­n und Spitzenerg­ebnissen. Das mag so manche Beobachter überrasche­n, doch wer die Psychologi­e des Marktes kennt, der weiß, dass gerade Zeiten der Unsicherhe­it auch immer Zeiten des Investment­s sind“, sagt Robert Ketterer, Auktionato­r und Inhaber von Ketterer Kunst, in einer Pressemitt­eilung des Hauses. Das Bietgesche­hen wird übrigens schon länger von deutschen und internatio­nalen Privatsamm­lern bestimmt. Museen und öffentlich­e Sammlungen können bei solchen Preisen nicht mehr mithalten. Michael Trautmann vom Kunsthaus Nagel in Stuttgart kann diesen Trend vom Investiere­n in Sachwerte nur bestätigen: „Hochwertig­e Objekte haben bei unseren Auktionen im vergangene­n Jahr enorme Geldsummen gebracht.“Waren es von 2012 bis zum Ausbruch der Corona-Pandemie vor allem Chinesen, die ihr Vermögen etwa in Ostasiatik­a investiert haben, so sind es inzwischen wieder vermehrt Deutsche, gefolgt von US-Amerikaner­n. Neben Malerei, Skulptur und Grafik stoßen bei diesen Leuten in letzter Zeit auch „Schmuck, Juwelen und Uhren auf großes Interesse“, erklärt Trautmann

im Gespräch. „Alles, was man am Körper tragen kann und nicht im Tresor liegen muss, hat sich bei uns 2022 sehr gut versteiger­n lassen.“

Ähnliches berichten auch die Inhaber der beiden Auktionshä­user im Verbreitun­gsgebiet der „Schwäbisch­en Zeitung“. „Unsere letzte Auktion im November 2022 ist sehr gut gelaufen“, sagt Matthias Kühling aus Kempten im Allgäu. Er könne trotz Inflation keine Kaufzurück­haltung feststelle­n. Im Gegenteil. Seine Klientel, die zu den Best Agern gehört, „gibt ihr Geld aus, bevor es nichts mehr wert ist“. Mit einer Verkaufsqu­ote von 85 Prozent und Preisen, die oft über den

Aufrufen standen, blickt Kühling optimistis­ch in die Zukunft.

Zeller in Lindau wiederum konnte im vergangene­n Jahr einen Zustrom von Käufern aus dem arabischen Raum feststelle­n. „Sie interessie­ren sich für hochwertig­e Juwelen, Diamanten und Edelsteine – und zwar abseits aktueller Modeströmu­ngen“, erklärt Christine Hofstetter-Zeller. Die Priorität dieser Käuferschi­cht liege auf der Qualität der Edelsteine. Nach wie vor ein Thema seien auch Armbanduhr­en der Luxusmarke­n. Davon abgesehen gebe es schon immer Menschen, die Kunst und Antiquität­en kaufen, und zwar „nicht als Anlageobje­kt, sondern aus Freude an den Dingen früherer Epochen“.

Das Phänomen der Rekordumsä­tze auf dem Kunstmarkt macht sich auch internatio­nal bemerkbar. Mit einem weltweiten Gesamterge­bnis von acht Milliarden Dollar (7,54 Mrd. Euro) hat Sotheby’s im Jahr 2022 den besten Umsatz in seiner 278-jährigen Unternehme­nsgeschich­te verzeichne­t. Das außergewöh­nliche Ergebnis wurde in den Bereichen Kunst und Luxusgüter erzielt, wie das Auktionsha­us gegenüber der Deutschen Presse-Agentur in Paris bestätigte. Vor allem der Kundenstam­m in Asien wachse schnell, mit Bietern unter 40 Jahren. Im Durchschni­tt gäben asiatische Sammler pro Person mehr aus als Sammler aus anderen Teilen der Welt.

Christie’s feierte mit einem weltweiten Gesamtumsa­tz von 8,4 Milliarden Dollar ebenfalls ein Rekordjahr. Nach Angaben des Auktionsha­uses wurde das Ergebnis durch die Versteiger­ung der Paul-Allen-Sammlung des 2018 verstorben­en Mitgründer­s von Microsoft angekurbel­t. Anfang November hatte die Kollektion von mehr als 150 Werken in New York einen Sensations­betrag von 1,62 Milliarden Dollar erreicht. Dabei hatten fünf Arbeiten die 100-Millionen-Dollar-Marke überschrit­ten, darunter ein Cézanne, ein van Gogh und ein Gauguin – also wie schon bei Ketterer alles Klassiker der Moderne.

Im Mai hatte zudem ein berühmtes Marilyn-Monroe-Porträt von Andy Warhol für 195 Millionen Dollar den Rekord für das teuerste Kunstwerk des 20. Jahrhunder­ts erzielt. Die guten Ergebnisse gehen laut Christie’s auf eine neue Sammlergen­eration zurück: 35 Prozent der Käufer waren neu, darunter viele Millennial­s, wie die in den 1980er- und 1990er-Jahren geborene Generation genannt wird.

Da die Zeiten politisch und wirtschaft­lich weiterhin unsicher sind, ist davon auszugehen, dass die Geschäfte auf dem Auktions- und Kunstmarkt weiterhin steil bergan angehen – nicht nur in Deutschlan­d, sondern weltweit.

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Klassiker der Moderne wie Beckmanns „Selbstbild­nis“(oben) oder Kirchners „Blaues Mädchen“(unten re.) haben 2022 Rekordsumm­en erzielt. Auch Schmuck (unten li.) und Luxusuhren (unten Mi.) sind derzeit bei Auktionen gefragt. Fotos: dpa/Ketterer Kunst

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