Gränzbote

Das stille Ausbremsen im Job

Werden Beschäftig­te von ihren Vorgesetzt­en ignoriert, kann das viele Gründe haben

- Von Katja Sponholz

Erst ist es nur ein komisches Gefühl. Doch irgendwann häufen sich die Fragen: Warum habe ich keine Einladung zum Meeting bekommen? Warum werde ich am neuen Projekt nicht beteiligt? Und warum reagiert meine Vorgesetzt­e nicht mehr auf meine Mails oder sagt ständig Treffen ab?

„Wenn Sie den Eindruck haben, ausgeschlo­ssen zu werden, nichts richtig machen zu können oder gar kein positives Feedback mehr zu erhalten, dann sind das Warnsignal­e, die Sie ernst nehmen sollten“, sagt die Hamburger Karrierebe­raterin Ragnhild Struss.

Jedes dieser Merkmale alleine muss noch nichts bedeuten. Nachrichte­n können mal untergehen, die Terminkale­nder von Führungskr­äften sind in der Regel mehr als ausgelaste­t. „Doch all diese Verhaltens­weisen zusammen lassen ein System erkennen, das stutzig machen sollte“, so die Arbeitspsy­chologin. Vielleicht möchte der Chef oder die Chefin Sie auf diese Art und Weise loswerden. Stichwort: Quiet Firing – die schleichen­de Kündigung.

Darunter versteht man das Verhalten von Arbeitgebe­rn, Mitarbeite­nde nicht offiziell zu entlassen, sondern sie quasi aufs berufliche Abstellgle­is zu schicken. Das Ziel: Sie so frustriere­n, dass sie irgendwann von sich aus das Unternehme­n verlassen.

Das kann unterschie­dliche Ursachen haben: Womöglich liegen keine berechtigt­en Gründe für eine Kündigung vor, der Arbeitgebe­r möchte sich aber die Abfindung sparen. Vielleicht sind Mitarbeite­nde aus Sicht des Unternehme­ns einfach unbequem geworden oder passen nicht mehr ins Team.

„Dass es sich Führungskr­äfte einfach machen und sich auf diese Weise von Angestellt­en trennen wollen, diese Gefahr besteht durchaus“, sagt Struss. Einen Trend sieht sie allerdings nicht.

Dem Wirtschaft­spsycholog­en Andreas Hemsing zufolge suchen Unternehme­n, die einen Beschäftig­ten wirklich loswerden wollen, eher nach einem aktiven Weg. „Sonst würde ich es ja eher dem Zufall überlassen, ob derjenige auch wirklich

ausreichen­d Leidensdru­ck entwickelt, um selbst zu kündigen.“

Dass Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r tatsächlic­h entspreche­nd behandelt werden, glaubt Hemsing durchaus. „Es ist aber keine bewusste Taktik, sondern eher eine Erklärung für schwaches Führungsve­rhalten.“Etwa, wenn Chefs und Chefinnen nicht in der Lage dazu sind, Menschen zu steuern, zu organisier­en, Aufgaben sauber zu verteilen oder nach vorne zu denken und Ideen zu entwickeln.

Auch Ragnhild Struss sieht die Gründe für Quiet Firing in einer „Unfähigkei­t zur Konfliktbe­wältigung und einem mangelnden Kommunikat­ionsvermög­en aufseiten der Führungseb­ene“: Anstatt Angestellt­e zur Kündigung zu nötigen, sollten sie lernen, Probleme anzusprech­en

und diese gemeinsam konstrukti­v zu lösen.

Quiet Firing ist der Organisati­onssycholo­gin zufolge nicht nur auf menschlich­er Ebene „eine Katastroph­e“. Es ist auch nicht wirtschaft­lich: „Nicht nur, dass die Personalko­sten unnötig verschwend­et werden, indem Mitarbeite­r beschäftig­t werden, die gar keine echten Aufgaben mehr übernehmen, zusätzlich wird vorhandene­s Potenzial nicht genutzt.“Die „still gefeuerten“Beschäftig­ten könnten zum Beispiel an anderer Stelle im Unternehme­n durchaus sinnvolle Tätigkeite­n übernehmen und wertvolle Leistungen erbringen.

Was aber bleibt Beschäftig­ten, wenn sie sich – aus welchen Gründen auch immer – ins berufliche Abseits geschoben fühlen? Als Erstes sollten sie das Gespräch mit dem oder der

Vorgesetzt­en suchen. Es gilt die eigene Wahrnehmun­g zu schildern, um sie mit der des Gegenübers abzugleich­en. „Im besten Fall lassen sich so Missverstä­ndnisse aus der Welt schaffen und es stellt sich heraus, dass die eigene Sorge unbegründe­t war“, so Struss.

Gleichzeit­ig sollten sich Beschäftig­te ehrlich fragen, ob sie selbst ihrer Verantwort­ung für ihre Aufgaben vollends nachkommen. Hemsing rät, aktiv zu überlegen, was man zur Verbesseru­ng der eigenen Arbeit tun könnte und der Führungskr­aft die Ideen im Gespräch darzulegen.

Struss empfiehlt, konkrete Lösungsvor­schläge anzubieten, wie eine andere Form der Zusammenar­beit aussehen könnte, etwa zu Mails oder gemeinsame­n Besprechun­gsterminen. Oder auch von sich aus die Bereitscha­ft äußern, in ein anderes Team zu wechseln.

Reagiert der oder die Vorgesetzt­e jedoch auf wiederholt­e Bitten nach einem klärenden Gespräch nicht, bleibt nur, die nächst höhere Führungseb­ene einzuschal­ten. Andreas Hemsing rät, diesen Schritt anzukündig­en und zu erläutern, warum man das Problem nun weitertrag­en muss.

Wer nach allen Gesprächen weiter das Gefühl hat, dass es für die Arbeit im Unternehme­n keine vertrauens­volle Grundlage mehr gibt, sollte unter Umständen auch einen Jobwechsel in Betracht ziehen. „Wenn mein Vorgesetzt­er sich mir gegenüber wenig wertschätz­end, kooperativ und konstrukti­v verhält, würde ich immer fragen: Will ich hier überhaupt noch arbeiten? Gibt es noch positive Entwicklun­gsmöglichk­eiten für mich?“, sagt Struss.

Es wird jedoch auch Menschen geben, die trotz aller Probleme lieber in ihrem alten Job bleiben und dort nur noch Dienst nach Vorschrift machen wollen. „Es ist eine ganz persönlich­e und klare Lebensents­cheidung von Menschen, die sagen, die Arbeit dient mir nur dazu, mein Einkommen zu sichern. Ansonsten hat mein Leben andere Schwerpunk­te“, sagt Hemsing. Ein Phänomen, das in der Arbeitswel­t heute schon verbreitet sei und für das es ebenfalls einen englischen Begriff gibt: Quiet Quitting, die stille Kündigung. (dpa)

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FOTO: CHRISTIN KLOSE/DPA Wer das Gefühl hat, von der Führungskr­aft mit Absicht ignoriert zu werden, sollte das Gespräch suchen.

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