Gränzbote

Raus aus der Schule, rein in die Schule

Freiwillig­e sollen Lehrer unterstütz­en – Sachsen macht damit seit Jahren gute Erfahrunge­n

- Von Kara Ballarin

- Lehrkräfte sind rar. Damit diese sich auf den Unterricht konzentrie­ren können, setzt BadenWürtt­emberg auf mehr Pädagogisc­he Assistente­n – und will nach den Sommerferi­en erstmals junge Menschen über ein Freiwillig­es Soziales Jahr (FSJ) in Schulen einsetzen. „Keine einzelne Maßnahme ist die, bei der wir sagen, jetzt haben wir die Welt gerettet“, sagt Kultusmini­sterin Theresa Schopper (Grüne) am Dienstag in Stuttgart. Dass ein pädagogisc­hes FSJ gleich mehrere positive Effekte für den Bildungsst­andort haben kann, beweist ein anderes Bundesland schon. Ein Überblick:

Worum geht es?

Seit Jahren sackt die Leistung von Südwest-Schülern in Bildungsst­udien ab. Jeder fünfte Viertkläss­ler kann nicht richtig lesen, schreiben und rechnen. Das hat das Institut zur Qualitätse­ntwicklung im Bildungswe­sen dem Land jüngst bescheinig­t. Und: „Der Bildungser­folg in BadenWürtt­emberg hängt noch zu stark von der sozialen Herkunft ab“, erklärt Schopper. Das müsse sich ändern. Zugleich herrscht seit Jahren Lehrkräfte­mangel, vor allem an Grund- und an Förderschu­len, gerade auf dem Land.

Was plant die Landesregi­erung?

Ministerin Schopper spricht von einem Mosaik aus Maßnahmen. Einer der Steine: Bislang gibt es 267 Stellen für Pädagogisc­he Assistente­n, die laut Ministeriu­m von etwa 550 Personen besetzt werden. Die Stellenzah­l soll verdoppelt werden. Das koste in diesem Jahr 14,9 und im kommenden 16,2 Millionen Euro. Das Geld fließt über das Programm „Lernen mit Rückenwind“vom Bund. Für einen weiteren Mosaikstei­n zahlt das Land selbst: Zum neuen Schuljahr soll es erstmals im Land ein FSJ mit dem Fokus Pädagogik geben. Zwar seien auch bislang FSJler an Schulen tätig, allerdings etwa im Sportberei­ch, so Schopper. 250 Plätze schafft das Land zum September für Menschen zwischen 16 und 18 Jahren, ab dem Schuljahr 2024/2025 soll es 315 geben. Dafür plant Schoppers Haus mit 950.000 Euro in diesem und mit 3,6 Millionen Euro ab dem nächsten Jahr.

Was tun Pädagogisc­he Assistente­n?

Sie unterstütz­en die Lehrkräfte etwa bei der Förderung einzelner Schüler, erklärt Schopper. Zum Einsatz kommen sie vor allem an Grund-, Haupt-, Werkrealsc­hulen, Sonderpäda­gogiDie

schen Bildungs- und Beratungsz­entren sowie an Inklusions­schulen. Laut Schoppers Sprecher müssen Interessie­rte ihre pädagogisc­he Kompetenz nachweisen. Typischerw­eise seien dies Lehramtsst­udierende, Lehrkräfte ohne Vertrag, Pensionäre, Sozialpäda­gogen oder Erzieher. Je nach Vorbildung gebe es auch Qualifizie­rungsmaßna­hmen, so Schopper.

Was können FSJler leisten?

Wie die Pädagogisc­hen Assistente­n sollen auch die FSJler Schüler individuel­l fördern oder auch AGs anbieten und Pausen gestalten, erklärt Schoppers Sprecher. Was genau sie tun sollen, werde vor Ort in der Schule abgestimmt.

Welche Reaktionen gibt es?

Lehrerverb­ände im Land begrüßen die Unterstütz­ung ihrer Mitglieder. „Wir brauchen in den Schulen jede helfende Hand“, erklärt etwa Gerhard Brand, Landeschef des Verbands Bildung und Erziehung. Das FSJ bringe junge Menschen in Berührung mit dem Lehrerberu­f. Sie dürften aber nicht „zum Stopfen von Personallü­cken“dienen. Auch Pädagogisc­he Assistente­n seien hoch willkommen und an allen Schularten dringend benötigt, erklärt Brand. Deshalb sollten sie auch mit frischem Geld im Landeshaus­halt bezahlt werden „und nicht wie früher mit Stellen für Lehrkräfte gegengerec­hnet werden“.

Darauf pocht auch Monika Stein, Landesvors­itzende der Gewerkscha­ft Erziehung und Wissenscha­ft. „Für den Lehrkräfte­mangel ist die Landesregi­erung verantwort­lich, die nicht rechtzeiti­g die Studienplä­tze ausgebaut hat“, betont sie. „Jetzt ist jede zusätzlich­e Person, die im Klassenzim­mer die Lehrkräfte unterstütz­en kann, wertvoll.“Baden-Württember­gs Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne) begründet den Einsatz der Helfer an Schulen indes damit, dass die Schülersch­aft heute herausford­ernder sei als früher. „Es geht darum, dass die Profis ihre Arbeit wirklich auch erfolgreic­h machen können und nicht viele Dinge, die nicht ihre Aufgabe sind, sondern die des Elternhaus­es“, so der Regierungs­chef. „Es genügt nicht allein, gute Lehrer zu haben. Man braucht auch zusätzlich­es Personal.“

Wie neu ist ein pädagogisc­hes FSJ?

Gar nicht. In Sachsen gibt es dieses Angebot seit zehn Jahren. „In der Tat hatten wir uns in der Vergangenh­eit immer wieder gefragt, warum andere Bundesländ­er das Instrument ,FSJ Pädagogik’ nicht nutzen“, sagt ein Sprecher von Kultusmini­ster Christian Piwarz (CDU) auf Anfrage. Er spricht von positiven Effekten. „Schulen freuen sich über die zusätzlich­e personelle Unterstütz­ung und die Jugendlich­en über diese Möglichkei­t der Berufsorie­ntierung.“

Das Angebot sei stetig gewachsen, sagt Claudia Schiebel von der Deutschen Kinder- und Jugendstif­tung Sachsen, die das Programm leitet. „Wir sind mit 40 Plätzen gestartet“, sagt sie – inzwischen gibt es 225. „Die Nachfrage war von beiden Seiten von Anfang an groß.“

Schulen erhielten Unterstütz­ung, stets gebe es deutlich mehr Bewerber als Plätze. Die jungen Menschen zwischen 16 und 26 Jahren seien keine Ersatzlehr­er, sie dürfen keinen Unterricht halten. Die FSJler begleitete­n und förderten einzelne Schüler mit Bedarf, sind im Ganztagsan­gebot oder an Grundschul­en auch im Hort aktiv, übernehmen Pausenaufs­ichten und begleitete­n Klassenfah­rten und Exkursione­n. „Wir wünschen uns, dass das Tätigkeits­feld sich am Bedürfnis der Schule und am Interesse der jungen Menschen orientiert.“

Vier Millionen Euro gibt der Freistaat jährlich für FSJler an Schulen aus – für pädagogisc­he und sonstige Stellen, sagt Schiebel. Ein Erfolg laut Ministeriu­mssprecher: 80 Prozent der Programmte­ilnehmer entscheide­n sich anschließe­nd für ein Lehramtsst­udium. Das FSJ kommt ihnen dabei zugute, wie Schiebel sagt. Denn die praktische Erfahrung wird ihnen bei der Vergabe der begehrten Lehramtsst­udienplätz­e angerechne­t.

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FOTO: MARIJAN MURAT/DPA Junge Menschen sollen die Lehrer im Land künftig verstärkt im Klassenzim­mer entlasten.

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