Durchsetzungsstark und „dicht dran“an der Truppe
Scholz‘ Überraschungscoup heißt Boris Pistorius – Der neue Verteidigungsminister gilt als Politiker mit Biss
- Diesen Namen hatte in den vergangenen Tagen niemand auf dem Zettel, wenn es um die Nachfolge von Christine Lambrecht ging: Boris Pistorius, SPD, Landes- und Kommunalpolitiker in Niedersachsen, künftig Verteidigungsminister in Berlin.
Doch schon vor dem Überraschungscoup von Bundeskanzler Olaf Scholz war der Name Pistorius über die niedersächsischen Landesgrenzen hinaus bekannt: politisch Interessierten, weil er als „Roter Sheriff“hart gegen islamische Gefährder vorging. Freunden des Boulevards wegen einer Beziehung mit Doris Schröder-Köpf, Ex-Gattin von Altkanzler Gerhard Schröder (SPD). Mit 62 Jahren wechselt der Niedersachse nun auf einen Kabinettssitz, der gerne auch als Schleudersitz bezeichnet wird. In dieser Funktion soll er für Scholz die „Zeitenwende“organisieren, die Aufrüstung und Modernisierung der Bundeswehr, eine Herausforderung, an der seine Vorgängerin gescheitert ist.
Er habe „Demut und Respekt vor einer so gewaltigen Aufgabe“, betonte Pistorius, der früher Oberbürgermeister von Osnabrück war. Gleichzeitig versprach er, sich „vom ersten Tag an mit 150 Prozent in diese Aufgabe hineinzustürzen“. Etwas anders bleibt ihm auch nicht übrig, denn bereits am Donnerstag, nach der offiziellen Ernennung, trifft er US-Außenminister Lloyd Austin. Am Freitag beraten dann auf dem US-Luftwaffenstützpunkt Ramstein die Ukraine-Verbündeten über weitere Waffenlieferungen in das Kriegsgebiet. Der Bundesregierung kommt dabei eine wichtige Rolle zu. Denn Kampfpanzer vom Typ Leopard 2 dürfen auch von anderen Ländern nur dann exportiert werden, wenn Deutschland zustimmt.
Die größere Herausforderung dürfte es für Pistorius allerdings werden, das Verteidigungsministerium zu einem wohl organisierten Haus zu machen, von dem sich die Bundeswehrsoldatinnen und -soldaten gut vertreten fühlen. Das war weder Lambrecht noch ihren Vorgängerinnen und Vorgängern gelungen. Scholz ist sich indes sicher, dass er nun den richtigen Mann an der richtigen Stelle hat. Pistorius verfüge über „sehr viele Erfahrungen in der Sicherheitspolitik“, sagte der Kanzler bei einem Besuch in Brandenburg an der Havel. Er sei für ihn „ein Freund und ein sehr guter Politiker“. Bei der Bewerbung um den SPD-Vorsitz war Pistorius, der seit 2017 dem SPD-Bundesvorstand angehört, im Jahr 2019 allerdings gegen Scholz angetreten. Er kam beim Mitgliederentscheid aber nur auf einen hinteren Platz.
Was bringt Pistorius mit, was ihn für den derzeit wohl schwierigsten Kabinettsposten qualifiziert? Er sei sehr führungsstark, klar, und entschieden, heißt es in Hannover über ihn. Ein starker Minister, der wisse,
was er wolle. Auf der anderen Seite habe dies zur Folge, dass Pistorius schnell die Zähne zeige, wenn ihm etwas nicht passt. Durchsetzungsvermögen wird der 62-Jährige auf jeden Fall brauchen, wenn er die bürokratischen und organisatorischen Missstände im Bendlerblock angehen will.
Als Experte für Verteidigungspolitik ist Pistorius, der verwitwet ist und zwei Kinder hat, bislang nicht aufgefallen. Doch er sei „an den Bundeswehrfragen immer sehr dicht dran gewesen“, sagte der scheidende Innenminister in Hannover. „Ich habe mich stark gemacht für ein Heimatschutzregiment hier in Niedersachsen, war regelmäßig auf Bundeswehrstandorten, auch auf den Marinestandorten.“Und anders als seine direkten Vorgängerinnen
hat der SPD-Politiker gedient, 1980 und 1981 bei der damaligen Heeresflugabwehr in der Steuben-Kaserne in Achim bei Bremen.
Der CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter, der selbst Oberst a. D. der Bundeswehr ist, hatte sich gewünscht, dass jemand mit „Herz für die Streitkräfte“die Nachfolge von Lambrecht antritt. Die Personalie Pistorius sieht er mit einer gewissen Skepsis. Der SPD-Politiker habe zwar „ministeriale Erfahrung, aber keine verteidigungspolitische Expertise“. „Bald wird sich zeigen, ob das Verteidigungsministerium weiterhin verlängerter Arm des Bundeskanzleramts bleibt oder der neue Verteidigungsminister die Chance ergreift, die Zeitenwende in der Bundeswehr
selbst zu gestalten und die Bundeswehr einsatz- und kampffähig zu machen“, so Kiesewetter.
Auch innerhalb der Koalition macht sich ein gewisser Unmut breit, nicht über die Person Pistorius selbst, sondern über die mit der Personalie verbundene Geschlechterfrage im Kabinett. „Obgleich der exzellenten Auswahl bin ich sehr irritiert, dass der Bundeskanzler nun zum zweiten Mal sein selbst ausgegebenes Versprechen eines paritätisch besetzten Kabinetts nichts einhält“, teilte die Grünen-Verteidigungsexpertin Agnieszka Brugger mit. Scholz hatte zu Beginn seiner Amtszeit zugesagt, gleich viele Frauen wie Männer in seiner Regierungsmannschaft haben zu wollen.