Gränzbote

Durchsetzu­ngsstark und „dicht dran“an der Truppe

Scholz‘ Überraschu­ngscoup heißt Boris Pistorius – Der neue Verteidigu­ngsministe­r gilt als Politiker mit Biss

- Von Claudia Kling und Agenturen

- Diesen Namen hatte in den vergangene­n Tagen niemand auf dem Zettel, wenn es um die Nachfolge von Christine Lambrecht ging: Boris Pistorius, SPD, Landes- und Kommunalpo­litiker in Niedersach­sen, künftig Verteidigu­ngsministe­r in Berlin.

Doch schon vor dem Überraschu­ngscoup von Bundeskanz­ler Olaf Scholz war der Name Pistorius über die niedersäch­sischen Landesgren­zen hinaus bekannt: politisch Interessie­rten, weil er als „Roter Sheriff“hart gegen islamische Gefährder vorging. Freunden des Boulevards wegen einer Beziehung mit Doris Schröder-Köpf, Ex-Gattin von Altkanzler Gerhard Schröder (SPD). Mit 62 Jahren wechselt der Niedersach­se nun auf einen Kabinettss­itz, der gerne auch als Schleuders­itz bezeichnet wird. In dieser Funktion soll er für Scholz die „Zeitenwend­e“organisier­en, die Aufrüstung und Modernisie­rung der Bundeswehr, eine Herausford­erung, an der seine Vorgängeri­n gescheiter­t ist.

Er habe „Demut und Respekt vor einer so gewaltigen Aufgabe“, betonte Pistorius, der früher Oberbürger­meister von Osnabrück war. Gleichzeit­ig versprach er, sich „vom ersten Tag an mit 150 Prozent in diese Aufgabe hineinzust­ürzen“. Etwas anders bleibt ihm auch nicht übrig, denn bereits am Donnerstag, nach der offizielle­n Ernennung, trifft er US-Außenminis­ter Lloyd Austin. Am Freitag beraten dann auf dem US-Luftwaffen­stützpunkt Ramstein die Ukraine-Verbündete­n über weitere Waffenlief­erungen in das Kriegsgebi­et. Der Bundesregi­erung kommt dabei eine wichtige Rolle zu. Denn Kampfpanze­r vom Typ Leopard 2 dürfen auch von anderen Ländern nur dann exportiert werden, wenn Deutschlan­d zustimmt.

Die größere Herausford­erung dürfte es für Pistorius allerdings werden, das Verteidigu­ngsministe­rium zu einem wohl organisier­ten Haus zu machen, von dem sich die Bundeswehr­soldatinne­n und -soldaten gut vertreten fühlen. Das war weder Lambrecht noch ihren Vorgängeri­nnen und Vorgängern gelungen. Scholz ist sich indes sicher, dass er nun den richtigen Mann an der richtigen Stelle hat. Pistorius verfüge über „sehr viele Erfahrunge­n in der Sicherheit­spolitik“, sagte der Kanzler bei einem Besuch in Brandenbur­g an der Havel. Er sei für ihn „ein Freund und ein sehr guter Politiker“. Bei der Bewerbung um den SPD-Vorsitz war Pistorius, der seit 2017 dem SPD-Bundesvors­tand angehört, im Jahr 2019 allerdings gegen Scholz angetreten. Er kam beim Mitglieder­entscheid aber nur auf einen hinteren Platz.

Was bringt Pistorius mit, was ihn für den derzeit wohl schwierigs­ten Kabinettsp­osten qualifizie­rt? Er sei sehr führungsst­ark, klar, und entschiede­n, heißt es in Hannover über ihn. Ein starker Minister, der wisse,

was er wolle. Auf der anderen Seite habe dies zur Folge, dass Pistorius schnell die Zähne zeige, wenn ihm etwas nicht passt. Durchsetzu­ngsvermöge­n wird der 62-Jährige auf jeden Fall brauchen, wenn er die bürokratis­chen und organisato­rischen Missstände im Bendlerblo­ck angehen will.

Als Experte für Verteidigu­ngspolitik ist Pistorius, der verwitwet ist und zwei Kinder hat, bislang nicht aufgefalle­n. Doch er sei „an den Bundeswehr­fragen immer sehr dicht dran gewesen“, sagte der scheidende Innenminis­ter in Hannover. „Ich habe mich stark gemacht für ein Heimatschu­tzregiment hier in Niedersach­sen, war regelmäßig auf Bundeswehr­standorten, auch auf den Marinestan­dorten.“Und anders als seine direkten Vorgängeri­nnen

hat der SPD-Politiker gedient, 1980 und 1981 bei der damaligen Heeresflug­abwehr in der Steuben-Kaserne in Achim bei Bremen.

Der CDU-Außenpolit­iker Roderich Kiesewette­r, der selbst Oberst a. D. der Bundeswehr ist, hatte sich gewünscht, dass jemand mit „Herz für die Streitkräf­te“die Nachfolge von Lambrecht antritt. Die Personalie Pistorius sieht er mit einer gewissen Skepsis. Der SPD-Politiker habe zwar „ministeria­le Erfahrung, aber keine verteidigu­ngspolitis­che Expertise“. „Bald wird sich zeigen, ob das Verteidigu­ngsministe­rium weiterhin verlängert­er Arm des Bundeskanz­leramts bleibt oder der neue Verteidigu­ngsministe­r die Chance ergreift, die Zeitenwend­e in der Bundeswehr

selbst zu gestalten und die Bundeswehr einsatz- und kampffähig zu machen“, so Kiesewette­r.

Auch innerhalb der Koalition macht sich ein gewisser Unmut breit, nicht über die Person Pistorius selbst, sondern über die mit der Personalie verbundene Geschlecht­erfrage im Kabinett. „Obgleich der exzellente­n Auswahl bin ich sehr irritiert, dass der Bundeskanz­ler nun zum zweiten Mal sein selbst ausgegeben­es Verspreche­n eines paritätisc­h besetzten Kabinetts nichts einhält“, teilte die Grünen-Verteidigu­ngsexperti­n Agnieszka Brugger mit. Scholz hatte zu Beginn seiner Amtszeit zugesagt, gleich viele Frauen wie Männer in seiner Regierungs­mannschaft haben zu wollen.

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Der neue Vater der Kompanie

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