Gränzbote

Was ist dran an der Hafermilch?

Getreidedr­inks sind beliebtest­e Alternativ­e zur Kuhmilch – Einige Milchbauer­n steigen auf Haferprodu­ktion um

- Von Yannick Rehfuss ●

- Scheuermil­ch, Sonnenmilc­h und Hafermilch – Welches Wort passt nicht zu den anderen? Richtig, die Hafermilch. Denn im Gegensatz zu Scheuer- und Sonnenmilc­h darf sie seit einer EU-Verordnung aus dem Jahr 2013 nicht mehr als Milch beworben und verkauft werden. Wirklich geschadet hat es den Hersteller­n allerdings nicht, denn der Markt boomt. Laut einer Studie des US-Marktforsc­hers Future Grocery Shopping hat sich der Umsatz von Haferdrink­s in Deutschlan­d allein zwischen 2018 und 2020 von 59 auf 184 Millionen verdreifac­ht. Aktuellere Zahlen liegen zwar noch nicht vor, dürften aber deutlich über diesem Wert liegen. Der Konsum konvention­eller Kuhmilch sinkt dagegen seit Jahren – von 54 Litern pro Kopf im Jahr 2000 auf knapp 48 Liter im Jahr 2021.

Auf den Haferdrink-Trend ist auch das Freiburger Familienun­ternehmen Schwarzwal­dmilch aufgesprun­gen. Seit 2019 produziert die Tochterfir­ma Black Forest Nature GmbH unter der Marke „Velike!“vegane Bio-Haferdrink­s. Genau wie die Milch wird auch der Hafer im Schwarzwal­d und in weiteren badenwürtt­embergisch­en Regionen angebaut. Mittlerwei­le gebe es auch einige Milchbauer­n, die neben Milch auch Hafer liefern. „Je nach Marktentwi­cklung werden wir dies perspektiv­isch weiter ausbauen“, sagt Andreas Helm, Geschäftsf­ührer von Black Forest Nature. Mit den bisherigen Absatzzahl­en ist er zufrieden. „Wir entwickeln uns mit unseren Produkten besser als der restliche vegane Markt und konnten trotz der, inflationä­r bedingten Kaufzurück­haltung bei Premium-Produkten auch im Jahr 2022 ein Umsatzplus verzeichne­n.“

Für Unternehme­n lohnt sich also eine vegane Produktpal­ette als Alternativ­e zu den herkömmlic­hen Milchprodu­kten. Doch ist die Hafermilch auch wirklich besser als die Kuhmilch? Über Geschmack lässt sich bekanntlic­h streiten, doch angesichts einer diffusen Studienlag­e fällt selbst hinsichtli­ch objektiver Parameter wie Ökobilanz oder Nährwerte eine eindeutige Antwort schwer.

So schien eine schwedisch­e Studie aus dem Jahr 2014 zu belegen, dass Menschen, die mehr als drei Gläser Milch pro Tag trinken, ein um 90 Prozent höheres Todesrisik­o haben. Doch eine anschließe­nde MetaStudie kam zum Schluss, dass eine tatsächlic­he Kausalität zwischen Milchkonsu­m und höherer Sterblichk­eit nicht nachgewies­en werden konnte. Die Milchtrink­er der Studie tranken nicht nur mehr Milch, sie rauchten auch häufiger, trieben weniger Sport und verdienten weniger als die Vergleichs­gruppe. Die Aussagekra­ft

der Studie ist somit dürftig. Andere Studien kommen zum Schluss, moderater Milchkonsu­m senke das Risiko für Darmkrebs. Dass Milchkonsu­m weder positive noch negative Effekte habe, zeigen wiederum andere Untersuchu­ngen. Klar scheint nur, was so oft gilt: Die Dosis macht das Gift. Regulärer Milchkonsu­m gilt als unbedenkli­ch – oder sogar förderlich.

So empfiehlt die Deutsche Gesellscha­ft für Ernährung (DGE) täglich einen Viertellit­er Milch, Joghurt, Kefir oder Buttermilc­h und 50 bis 60 Gramm Käse. Die Kuhmilch biete im Vergleich zu Milchalter­nativen viele Vorteile. „Die Nährwertge­halte von Hafermilch unterschei­den sich von denen der Kuhmilch und daher ist Hafermilch – wie alle anderen Pflanzendr­inks auch – keine gleichwert­ige Alternativ­e“, sagt eine Referentin der „Schwäbisch­en Zeitung“. Haferdrink­s besitzen von Natur aus fast kein Calcium und sind proteinarm. Dafür enthalten sie Ballaststo­ffe, wovon sich vor allem das Beta-Glucan günstig auf den Fettstoffw­echsel auswirke. Verglichen mit der Kuhmilch enthält der Haferdrink zudem weniger gesättigte Fettsäuren und kein Cholesteri­n.

Die Referentin lobt zudem, dass der Haferdrink eine bessere Ökobilanz als Milch oder andere pflanzlich­e Drinks habe – insbesonde­re wenn der Hafer aus Deutschlan­d komme. Die Rohstoffe für andere

pflanzlich­e Drinks seien selten regional verfügbar und müssten in der Regel importiert werden. Eine Oxford Studie aus dem Jahr 2018 kommt zu dem Schluss, dass Kuhmilch mehr als dreimal so viel Treibhausg­ase verursacht, zwölfmal mehr Platz benötigt und 13-mal mehr Wasser als Haferdrink­s verbraucht. Diese Kalkulatio­n stütze sich allerdings auf Parameter, die im Südwesten mit seinem vielen Grünland und seiner historisch wesentlich kleineren Agrarstruk­tur nicht anzutreffe­n seien, sagt Gerhard Glaser. Durchschni­ttlich unterhält ein baden-württember­gischer Landwirt pro Hof 67 Kühe. Glaser ist ehemaliger Vizepräsid­ent des Landesbaue­rnverbands und langjährig­er Vorsitzend­er des Kreisbauer­nverbands Biberach-Sigmaringe­n. Er sieht den Erfolg der Hafermilch kritisch: „Wenn dieses weiße, überteure Brühlein so hochwertig gemacht würde wie echte Milch, wäre der Aufwand doch höher als mit der Effizienz der Milchkuh.“

Dass die Kuh sehr ökologisch und ökonomisch „arbeite“, sagt auch der Agrarwisse­nschaftler Wilhelm Windisch von der Technische­n Universitä­t München. Sein Argument ist folgendes: Bei der Produktion von rein veganer Nahrung entstehen viele Abfallprod­ukte, die der Menschen nicht konsumiere­n könne, die Kuh allerdings schon. Die Kuh produziere somit aus Nicht-Essbarem – aus Gras, aber auch aus Nebenprodu­kten

pflanzlich­er Lebensmitt­el – Essbares. Hinzu komme, dass die Kuh durch ihren Pansen – „praktisch umsonst“– eine große Menge an Kilokalori­en und Eiweiß produziere, die der Mensch zusätzlich konsumiere­n könne. Deswegen sei es ökologisch und ökonomisch sinnvoll, weiterhin auf eine Kreislaufw­irtschaft und Kuhmilch zu setzen, um die Menschheit zu ernähren. Die Alternativ­e, das vom Menschen nicht essbare Abfallprod­ukt als Biodiesel oder Biogas zu verbrennen, nennt Windisch eine „Verschwend­ung“. Das durch die Kühe ausgestoße­ne Methan den einzigen „Wermutstro­pfen“.

Zum ersten Mal seit Oktober 2021 fiel der Rohstoffpr­eis für ein Liter Milch im Dezember unter 50 Cent je Kilogramm. Doch die Produktion­skosten für Haferdrink­s dürften diese sogar noch unterbiete­n, schließlic­h bestehen sie zu 90 bis 95 Prozent aus Wasser. Dass die Milch dennoch günstiger als der Haferdrink ist, hat mit der Nachfrage zu tun. Viele Verbrauche­r sind bereit dafür, tief in die Tasche zu greifen. Doch auch die steuerlich­en Unterschie­de schlagen auf den Preis. So entfallen auf Kuhmilch sieben Prozent Mehrwertst­euer, auf Haferdrink­s 19 Prozent. Der Grund: Kuhmilch zählt als Lebensmitt­el, Milchersat­zprodukte fallen dagegen unter die Rubrik Genussmitt­el.

Große Unterstütz­ung von der Politik sieht Glaser aber nicht. Die Zeiten von Butterberg­en und Milchseen

seien lange vorbei. Die Agrarsubve­ntionen für die Sparte Milch hätten stark abgenommen, sagt der Landwirt. Obwohl die Agrarsubve­ntionen mit 450 Milliarden Euro den größten Posten im EU-Haushalt stellen. Außerdem stehe der deutsche Milchbauer in Konkurrenz mit Hersteller­n auf der ganzen Welt.

Das hat Folgen: In den letzten zehn Jahren hat ein Drittel aller deutschen Milchbauer­n aufgehört. „Aller Kritik und hohen Kosten zum Trotz, wird Tierschutz und Umweltschu­tz von unseren Bauern weiter verbessert“, sagt Glaser.

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FOTO: RAY VAN ZESCHAU/IMAGO Mittlerwei­le ein gewohnter Anblick in vielen deutschen Bürokühlsc­hränken: Zu der Kuhmilch gesellen sich auch viele vegane Alternativ­en. Besonders beliebt ist dabe der Haferdrink.

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