Drei Generationen, drei Handschriften
Das Ballett Zürich zeigt zum Abschied von Christian Spuck „On the move“
- Seit 2012 hat Christian Spuck, vom Stuttgarter Ballett kommend, in der Nachfolge von Heinz Spoerli das Ballett Zürich geleitet: Es entstanden so außergewöhnliche Choreografien wie „Anna Karenina“, Verdis „Messa da Requiem“oder „Das Mädchen mit den Schwefelhölzern“, in der das Opernhaus von den wispernd geräuschhaften Klängen von Helmut Lachenmann erfüllt war. Allesamt Produktionen und Themen, von denen man sich nicht hatte träumen lassen, dass man sie in Tanz übersetzen könnte. Christian Spuck zeigte darin auch seine Verbundenheit mit dem vielseitigen Orchester, der Philharmonia Zürich, und dem Chor, der in Verdis „Requiem“auswendig singend auf der Bühne miteinbezogen war.
Im vergangenen Jahr verband Christian Spuck Madrigale von Claudio Monteverdi mit italienischen Schlagern zu seiner letzten abendfüllenden Choreografie für das Ballett Zürich. Mit Beginn der kommenden Saison wechselt der Tanzgeschichtenerzähler als Intendant zum Staatsballett Berlin. Für seinen Abschied wählte er die tänzerische Begegnung dreier Choreografen aus drei Generationen.
Es ist also alles in Bewegung, „On the move“, bei diesem faszinierenden Treffen, das jetzt im Opernhaus Zürich
Premiere feierte: Der Abend vereint den gleichnamigen 30 Jahre alten Klassiker von Altmeister Hans van Manen mit einer Uraufführung von Louis Stiens, der wie Spuck einige Jahre als Tänzer und Choreograf in Stuttgart wirkte. Hinzu kommt eine neue Choreografie von Christian Spuck selbst, bei der es um den Abschied geht. Durch die Philharmonia Zürich, die Dirigentin Alevtina Joffe und die Solistin Hanna Weinmeister bekommt auch die Musik von Prokofjew, Ravel, Debussy, John Zorn und György Ligeti den ihr gebührenden Stellenwert in den so unterschiedlichen Choreografien.
Zwei Menschen huschen auf die Bühne, blicken sich kurz an, huschen wieder heraus in weit ausgreifenden Bewegungen. Zwei Paare in weinrot und schwarz korrespondieren mit fünf weiteren Paaren in der Gruppe: Bei Hans van Manen, der im vergangenen Jahr seinen 90. Geburtstag feierte, begeistern immer wieder die klaren Linien, der fein abgezirkelte Fluss der Bewegung, die Ästhetik der Symmetrien und Farben. Sie werden unterstrichen durch die eng anliegenden Kostüme von Keso Dekker mit ihrer harmonischen Farbpalette und durch die Lichtgestaltung von Joop Caboort.
Ken Ossola ist einer derjenigen, die van Manens Choreografien weitertragen und mit dem Ballett Zürich einstudierten. Zur Ästhetik kommt die hohe Musikalität, etwa wenn ein Paar zum langsamen Satz von Prokofjews Violinkonzert in enger Symbiose tanzend verschmilzt und die filigranen Sololinien von Hanna Weinmeister spiegelt. Die Energie des Finalsatzes übersetzt van Manen in pulsierende Trippelschritte des Ensembles. Beifall, Verehrung und ein Arm voll wunderbarer Blumen für van Manen.
Ein hellgraues Bühnenbildelement auf einer Stahlkonstruktion (Bettina Katja Lange) rückt bei Louis Stiens und seinem „Tal“in den Mittelpunkt. Es wirkt wie ein Schneefeld, eine Höhle, eine Muschel oder ein Steinbruch, Windgeräusche, fallende Steine, Wasser betonen als Soundcollage (Michael Utz) die Natur, die auch Debussy und Ravel in ihren Stücken thematisiert haben. Die neun Tänzerinnen und Tänzer in hautfarbenen Trikots kriechen, kauern, rutschen verschlungen ineinander, phantasievoll, kreatürlich und kindlich ist ihre Bewegung, Grenzen der Geschlechter und Leiber scheinen aufgehoben. Das hat etwas Spielerisches, manchmal auch Bedrohliches und scheint an die Ursprünge der Bewegung zurückzugehen.
Bei Christian Spucks „Lontano“zur intensiv klagenden Streichermusik von John Zorn, feinen Klavierklängen von Alice Sara Ott, in denen Mozarts „Lacrimosa“aus dem Requiem herüberweht, und den vielschichtigen Klangflächen von György Ligetis „Lontano“wird das Ensemble von 30 Tänzerinnen und Tänzern auf der Bühne eingesetzt: einzeln, in Paaren und Gruppen, in kurzen Szenen, die doch aufeinander bezogen sind und die Individualität der Bewegung betonen, bricht Spuck die überwiegend ruhig fließende Musik in raschere Figuren auf. Über einem Karree des schwarzen Bühnenraums schwebt eine Decke mit weißem Lichtrahmen: es ist die Handschrift des Bühnenbildners Rufus Didwiszus, der in zahlreichen Produktionen Spucks den Raum gestaltet hat. Auch die Kostümbildnerin Emma Ryott und ihre blaugrünen Oberteile mit grauen Hosen ist eine vertraute Künstlerin rund um den Choreografen.
Nach zahlreichen Einzelsequenzen – Spuck hatte im Probenbetrieb nur kurz Zeit, mit den Tänzerinnen und Tänzern zu arbeiten und bringt dennoch ihre Charakteristika genau auf den Punkt – sammelt sich das Ensemble in zwei Reihen zum stimmigen Abschluss zu den sphärischen Ligeti-Klängen.
Spucks Nachfolgerin, die Britin Cathy Marston, stellt sich ab 30. April mit ihrem Ballett „The Cellist“über die Cellistin Jacqueline du Pré vor.
Weitere Vorstellungen von „On the move“am 21., 22., 27., 28., 29. Januar, 2., 4., 11. Februar. Karten unter: