Der teure Traum vom Eigenheim
Hohe Preise verhageln die Wohnungsbaubilanz der Ampel und gefährden die Klimaschutzziele
- Explodierende Materialund Energiekosten, steigende Zinsen, Inflation und immer höhere Auflagen – diese toxische Mischung macht Bauen in Deutschland teuer wie nie. Obendrauf kommen die ambitionierten Klimaschutzziele der Ampelregierung. Der Wohnungsbau erlebt einen dramatischen Einbruch. Das wäre vermeidbar gewesen, meinen Experten.
Vom „perfekten Sturm“spricht Thomas Möller, Hauptgeschäftsführer des Verbands Bauwirtschaft Baden-Württemberg. Die Zahl der Baugenehmigungen ist im Sinkflug. „Die Auftragseingänge kennen im Moment nur einen Weg, nämlich nach unten“, sagt Möller im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“. Seit Mitte 2022 seien die Aufträge um etwa 15 Prozent rückläufig. Dazu kommt eine Welle von Stornierungen im Wohnungsbau. Nach Erhebungen des Münchner Ifo-Instituts waren im November in Deutschland 16,7 Prozent der Wohnungsbauunternehmen davon betroffen. Im gesamten Jahr 2022 sind laut Verband etwa ein Viertel aller Aufträge allein durch Stornierungen verloren gegangen.
In der Branche herrscht Alarmstimmung – denn das dicke Ende kommt noch: Viele Firmen würden noch über ein Auftragspolster verfügen. „Doch ab Februar geht die Zahl der Baugenehmigungen zweistellig zurück. Wir rechnen 2023 mit einem dramatischen Einbruch", so Möller.
Das schmerzt nicht allein die betroffenen Unternehmen. Wohnungen werden überall im Land dringend benötigt. Vom Ziel der Bundesregierung, jährlich 400.000 Wohnungen zu bauen, ist die Realität weit entfernt. Die Bauindustrie geht für 2022 von 275.000 Wohnungen aus. Für das laufende Jahr rechnet der Verband nur noch mit 250.000 fertigen Wohnungen. Allein in BadenWürttemberg müssten rund 50.000 Wohnungen pro Jahr entstehen. Tatsächlich wurden 2022 etwa 35.000 Wohnungen gebaut.
Das Problem: Die enorm gestiegenen Baupreise treffen mit der Energiekrise, Inflation, gestiegenen Zinsen und Rezessionsangst zusammen. Investoren legen Projekte auf Eis, private Bauherren geben ihre Pläne auf und ihre Bauplätze zurück.
Bauen wird in Deutschland immer teurer. Allein im November stiegen die Preise laut dem Statistischen Bundesamt gegenüber dem Vormonat um knapp 17 Prozent. Vor allem gestiegene Materialkosten werden als Preistreiber ausgemacht.
Doch auch der Staat trägt viel dazu bei, dass der Traum vom Eigenheim für Normalverdiener nahezu unerschwinglich wird. Die Baupreise für Ein- und Mehrfamilienhäuser in Deutschland sind nach Berechnungen
des Statistischen Bundesamts im Zeitraum von 2010 bis 2021 um 41 Prozent gestiegen – ohne Grundstückskosten. Betrachtet man die Preise für alle Wohnimmobilien, auch bereits erstellte, und bezieht die Grundstücke mit ein, ergibt sich ein Anstieg um 84 Prozent. Die Inflationsrate stieg im gleichen Zeitraum nur um 17 Prozent.
Eine Untersuchung der „Arbeitsgemeinschaft für zeitgemäßes Bauen" (ARGE), an der unter anderem das Baugewerbe, Immobilienunternehmen und die Gewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt beteiligt sind, kommt zu dem Ergebnis: Rund ein Drittel der Kostensteigerungen gehen auf das Konto von Bund, Ländern und Gemeinden. Treiber sind etwa neue gesetzliche Rahmenbedingungen oder technische Bestimmungen und Normen, etwa beim Brandschutz, Schallschutz und der Wärmeerzeugung. Aufgezählt werden auch „besondere Auflagen bei Planverfahren und Gebäudeausführung sowie zusätzlichen Abgaben“– Bürokratie also.
„Vieles ist überzogen“, antwortet der Architekt Hariolf Brenner aus Ellwangen (Ostalbkreis) auf die Frage, warum Bauen bei uns immer teurer wird. Er nennt als Beispiel den Brandschutz: „Wenn in Düsseldorf der Flughafen brennt, wird der Brandschutz verschärft. Wohnhäuser
brauchen aber nicht den gleichen Standard wie ein Flughafen.“Auch die Anforderungen an den Klimaschutz werden derzeit kräftig nach oben geschraubt. Erklärtes Ziel der Bundesregierung ist es, bis 2045 den gesamten Gebäudebestand klimaneutral zu machen. Nach Berechnungen der Deutschen Energieagentur entfallen auf ihn rund 30 Prozent der Treibhausgasemissionen in Deutschland. Betrachtet man nur die rund 19 Millionen Wohngebäude, sind es noch 18 Prozent.
Die Bausparkasse Schwäbisch Hall rechnet auf ihrer Internetseite vor, was ein Einfamilienhaus mit 130 Quadratmetern Wohnfläche und dem derzeit höchsten Energiestandard – EH 40 – kostet. Die Experten kommen auf 3.792 Euro pro Quadratmeter, also knapp 493.000 Euro, ohne Grundstück. Doch solche Rechnungen veralten schnell. Möller geht von deutlich höheren Preisen aus: „Es ist fraglich, ob ein Quadratmeterpreis von 4000 Euro zu halten ist, wenn alle Auflagen erfüllt sein müssen“, sagt der Verbandschef.
Fest steht: Um den alten Gebäudebestand „klimaneutral“aufzurüsten, müssen gewaltige Summen investiert werden. Die Arbeitsgemeinschaft der Bauwirtschaft kommt auf fünf Billionen Euro, also 5000 Milliarden Euro, um alle Gebäude auf den Stand eines EH 55 zu bringen, den zweithöchsten Energiestandard.
Zwei Drittel aller Häuser wurden vor 1979 gebaut, davon ist wiederum ein Drittel unsaniert. „Hier müssen wir ansetzen“, sagt Reinhard Klein, Vorstandsvorsitzender der Bausparkasse Schwäbisch Hall: „Der größte Hebel für den Klimaschutz liegt im Bestand. Wenn man sich nicht darum kümmert, hilft der klimaneutrale Neubau nur begrenzt“, so Klein.
Das sieht auch die Bundesregierung so. Die Fördermittel der KfWBank werden von diesem Jahr an auf Sanierungen konzentriert, während für Neubauten deutlich weniger Geld fließt.
Bis Ende 2021 gab es noch Fördergeld der KfW-Bank für neue Wohnungen mit dem Standard EH 55. Das setzte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck in einer „Nacht-undNebel-Aktion“(Möller) einfach aus – was viele Häuslebauer verunsicherte. Jetzt wurde das Programm neu aufgelegt, jedoch für Neubauten deutlich geschrumpft. Standen in den vergangenen Jahren dafür noch zehn Milliarden Euro jährlich bereit, sind es ab 2023 gerade noch eine Milliarde Euro. Gefördert werden zudem ausschließlich EH-40-Häuser mit verschärften Standards. Für Sanierungen stehen dagegen dieses Jahr zwölf Milliarden Euro bereit.
Ohne einen massiven Hochlauf ist der Wohnraumengpass laut Experten nicht zu bewältigen. Und nicht nur das Ziel, bezahlbare Wohnungen zu schaffen, steht infrage. Auch die Vorgaben zum Klimaschutz halten einem Praxischeck kaum Stand. Bis 2030 soll bereits jede zweite Immobilie klimaneutral sein. „Dafür müssten jedes Jahr doppelt so viele Gebäude saniert werden wie zuletzt“, sagt Bausparkassenchef Klein.
„Um die Häuser in Deutschland klimaneutral zu machen, müssten wir laut einer Studie etwa 2500 Gebäude am Tag sanieren“, sagt auf Anfrage Joachim Krimmer, Präsident der Handwerkskammer Ulm. „Dazu braucht es die Hände unserer qualifizierten Handwerkerinnen und Handwerker. Es braucht aber auch einen verlässlichen Kurs der Politik.“Ständige Änderungen würden Kunden verunsichern. Auch die Handwerksbetriebe bräuchten verlässliche Rahmenbedingungen und realistische Vorgaben. „Die Realität sieht derzeit leider anders aus“, kritisiert Krimmer.
Nicht nur der Traum vom Eigenheim sei angesichts der Preise in weite Ferne gerückt. Auch viele Sanierungen würden jetzt auf Eis gelegt, weil sie für viele finanziell nicht machbar seien. „Wichtig ist auch, dass Sanierungskonzepte nicht zu ambitioniert sind oder sie zu viel bürokratischen Aufwand für Bauherren und Handwerksbetriebe mit sich bringen“, sagt Krimmer, der einen Sanitär- und Heizungsbaubetrieb in Leutkirch führt.
Matthias Bauer, verantwortlich für Bauen, Wohnen und Energie bei der Verbraucherzentrale BadenWürttemberg, verzeichnet etwa doppelt so viele Anfragen zu Sanierungen als noch vor einem Jahr. Wer eine Wärmepumpe oder eine Photovoltaikanlage bestellt, brauche neben dem nötigen Kleingeld auch „Geduld und starke Nerven“.
„Wir müssten 2500 Gebäude am Tag sanieren.“Handwerkspräsident Joachim Krimmer zu den Klimaschutzzielen der Bundesregierung.