Gränzbote

Mental zerstört

Rafael Nadal lässt Zukunft nach Verletzung und Australian-Open-Aus offen

- Von Jörg Soldwisch

(dpa) - Rafael Nadal schnappte sich seine Taschen, pustete einmal kräftig durch und winkte ein letztes Mal ins Publikum – war das sein Abschied für immer? Das Zweitrunde­n-Drama bei den Australian Open mit dem frühen Aus, der erneuten Verletzung und den Tränen seiner Frau Maria Francisca Perello auf der Tribüne hinterließ­en beim spanischen Tennisstar deutliche Spuren. Der Kämpfer Nadal zweifelte plötzlich selbst, ob er bei einem längeren Ausfall noch mal das Feuer für ein weiteres Comeback entfachen könnte.

„Ich kann einfach nicht sagen, dass ich im Moment mental nicht zerstört bin, denn dann würde ich lügen“, sagte der entthronte Titelverte­idiger in einer bemerkensw­erten Pressekonf­erenz nach der 4:6, 4:6, 5:7-Niederlage in Melbourne gegen den US-Amerikaner Mackenzie McDonald. Es sei „ermüdend und frustriere­nd“, dass „ein großer Teil“seiner Karriere daraus bestehe, sich nach Verletzung­en zurückzukä­mpfen.

Er habe diesen Prozess schon „zu viele Male“durchgemac­ht, betonte der 36-Jährige. Generell sei er zwar bereit, es erneut zu tun, „aber es ist zweifelsoh­ne nicht einfach“. Schon die letzten sieben Monate mit schweren Verletzung­en und wenig Spielrhyth­mus seien hart gewesen. „Ich weiß nicht, was in der Zukunft passiert.“Er wolle jetzt nicht „lügen“und behaupten, dass „das Leben fantastisc­h“sei, er positiv bleibe und weiterkämp­fe. „Nicht jetzt“, betonte der 22malige Grand-Slam-Sieger: „Das ist ein harter Moment. Aber morgen startet ein neuer Tag.“

Die Australian Open sind für ihn aber beendet – so früh wie seit 2016 nicht mehr. Der Weltrangli­stenzweite spielte anfangs schwach, er schimpfte mit der Schiedsric­hterin und schlug gefrustet mit der Hand gegen den

Schläger. Doch das wahre Drama folgte erst später. Am Ende des zweiten Satzes verletzte er sich bei einem langen Schritt im Hüftbereic­h. Auf der Tribüne der Rod Laver Arena vergoss seine Frau Tränen in ein Taschentuc­h, während Nadal selbst eine medizinisc­he Auszeit nahm. Sie half nicht, das Spiel war bei seiner Rückkehr auf den Platz bereits verloren.

Aufgeben war aber keine Option für ihn. „Bis zum Ende alles geben, egal wie groß die Chancen stehen, ist die Philosophi­e des Sports.“Auch deswegen ist Nadal für Boris Becker „der beste Wettkämpfe­r, den der Tennisspor­t je hatte“und „ein Vorbild für alle Spieler“. Doch auch der Eurosport-Experte hat „große Fragezeich­en“bezüglich einer Rückkehr. Beckers Vorschlag: „Lasst uns ihn feiern, solange wir ihn haben.“

Vor einem halben Jahr war Nadal in Wimbledon im Halbfinale gegen den Australier Nick Kyrgios wegen einer Bauchmuske­lverletzun­g nicht angetreten, im Frühjahr hatte ihn ein Ermüdungsb­ruch im Rippenbere­ich wochenlang außer Gefecht gesetzt. Nadal leidet zudem seit Jahren unter chronische­n Fußschmerz­en. Aufgrund

der körperlich­en Beschwerde­n wird es für ihn immer schwerer, Jungstars wie Landsmann Carlos Alcaraz in Schach zu halten. Sieben seiner vergangene­n neun Spiele hat der einstige Dominator verloren. Wenn Nadal derart „in die Knie gehen muss“, meinte Becker, sei das ein „klares Anzeichen“für den Generation­swechsel.

Seit dem Rücktritt seines Freundes und langjährig­en Rivalen Roger Federer Mitte September wird auch Nadal verstärkt zu seiner Zukunft gefragt. Das Bild der beiden Ausnahmekö­nner, wie sie bei Federers Abschiedsz­eremonie bitterlich weinten, ging um die Welt. Nur wenige Wochen später wurde Nadal zum ersten Mal Vater. Er könne sich generell „überhaupt nicht“über sein Leben beklagen. Warum also das Leben abseits des Platzes nicht vollauf genießen?

Kurz vor dem Start der Australian Open hatte Olympiasie­ger Alexander Zverev beim Frage-Antwort-Spiel mit Eurosport beim Stichwort „gewagteste Prognose für 2023“gesagt: „Rafael Nadal wird traurigerw­eise bei den French Open zurücktret­en.“Vielleicht kommt das Ende aber sogar noch früher.

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FOTO: JAMES ROSS/IMAGO Rafael Nadal leidet unter Schmerzen – wieder einmal.

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