Gränzbote

„Meine Kinder haben körperlich Angst“

Bürgerdial­og in Illerkirch­berg – Vater der getöteten Ece spricht erstmals öffentlich

- Von Johannes Rauneker

- Kaum einer nimmt zunächst Notiz von dem Mann in dem dunklen Kapuzenpul­li, er geht unter in der Masse von rund 300 Menschen, die sich am Mittwochab­end in der Gemeindeha­lle von Illerkirch­berg (Alb-DonauKreis) versammelt haben. Anlass: ein vom Rathaus organisier­ter „Bürgerdial­og“. Dessen Ziel: die Aufarbeitu­ng eines Verbrechen­s, das vor wenigen Wochen ganz Deutschlan­d bewegt hat.

Als sich der Mann erhebt, sich ein Mikrofon reichen lässt und zu sprechen beginnt, wird es plötzlich still in der Halle. Fast so still wie während der Schweigemi­nute, mit der die Veranstalt­ung eröffnet worden ist. Er heiße Mesut, sagt der Mann, der sich eigentlich keinem der Anwesenden vorstellen muss, dies aber trotzdem tut. Am 5. Dezember verlor er seine 14-jährige Tochter Ece durch einen Messerangr­iff, verübt von einem Flüchtling aus Eritrea. Dieser hat die Tat mittlerwei­le gestanden.

Ece und eine 13-jährige Freundin waren gerade auf dem Weg zur Schule, als der 27-Jährige sie im Morgengrau­en auf der Straße abpasste und auf sie einstach. Zunächst attackiert­e er die 13-Jährige, die jedoch schwer verletzt flüchten konnte. Ece erlag wenig später ihren schweren Verletzung­en in der Ulmer Uniklinik.

Seine kurze Rede beginnt Eces Vater am Mittwoch mit einem Lob. „Die Polizei hat ihre Arbeit super gemacht“, sagt er. Er wirkt müde, ausgelaugt. Fährt dann aber fort mit einem Einblick in sein Seelenlebe­n und äußert eine Idee, wie mit dem Gebäude verfahren werden könnte, in dem der Täter gelebt hat. Auf dem Asphalt unmittelba­r vor dem Haus traf seine Tochter auf ihren Mörder.

Er wünsche sich, sagt Mesut S., dass das Haus „plattgemac­ht“werde. „Meine restlichen zwei Kinder haben Angst, körperlich­e Angst“, wenn sie sich der herunterge­kommenen Flüchtling­sunterkunf­t, die der Gemeinde gehört, auch nur näherten.

Doch Markus Häußler, seit 2020 Bürgermeis­ter von Illerkirch­berg, verpasst es, diesen Ball aufzunehme­n. Was mit dem Haus geschehe, stehe noch nicht fest, antwortet er nüchtern auf eine entspreche­nde

Frage eines Bürgers. Statt klar auszusprec­hen, dass es tatsächlic­h nur eine Option geben kann für die Baracke. Jeder weiß das in Illerkirch­berg und wohl auch Häußler selbst. Allein der Zustand lässt nur einen Abriss zu. Doch Häußler spricht es nicht aus.

Es ist nicht der einzige Moment an diesem Abend, in dem der Bürgermeis­ter eine etwas unglücklic­he Figur abgibt. Und er ist damit nicht alleine. Auf der Bühne neben ihm sitzen auf Hockern Vertreter verschiede­ner Behörden, die involviert sind in die Aufklärung des Verbrechen­s: Polizei, Landratsam­t, Regierungs­präsidium, Justizmini­sterium. Doch befriedige­nde Antworten können sie nicht liefern.

Schon im Vorfeld war klar: Neue Erkenntnis­se – vor allem zum Motiv des Flüchtling­s, auf die Mädchen einzustech­en – wird es nicht geben. Doch die Behördenve­rtreter trugen das Ihrige dazu bei, dass sich bei dem ein oder anderen Anwesenden schnell Frust einstellte. Über weite Strecken glich der als „Dialog“zwischen Bürgern und Behörden angekündig­te Abend einem Behördenmo­nolog. Erst nach einer Stunde, um 19.25 Uhr, konnte ein Bürger eine erste Frage stellen.

Zuvor erläuterte­n die Fachleute teils unverständ­lich, ausführlic­h und erschöpfen­d allgemeine Hintergrün­de von Ermittlung­sarbeit und warum der Alb-Donau-Kreis und im Speziellen Illerkirch­berg ein sehr sicherer Ort zum Leben seien (sagt die Statistik). Im Grunde Wikipedia-Wissen.

Dabei waren die Bürger so zahlreich gekommen, weil sie konkret die Finger in die Wunden legen wollten. Auch Wut blitzte zwischen den Zeilen ihrer Fragen durch. Diese lauteten unter anderem: Wie wird sichergest­ellt, dass Menschen aus fremden Kulturen auch Frauen respektier­en, wenn ihnen dies in ihrem Heimatland nicht beigebrach­t wird? Wer betreut eigentlich die geflüchtet­en Menschen? Was können wir als Bürger konkret tun, damit Asylsuchen­de integriert werden?

Es war zu spüren: Bei der großen Mehrheit der Anwesenden ist trotz der Ermordung von Ece nach wie vor ein Wille vorhanden, Menschen, die aus ihrem Heimatland geflüchtet sind, aufzunehme­n. Ihnen eine neue Heimat zu bieten. Etwas anderes bleibt dem Dorf, wie vielen anderen im Südwesten, aber auch gar nicht übrig. Emanuel Sontheimer, zuständig für Flüchtling­e beim Alb-DonauLandr­atsamt, kündigte für Donnerstag schon die nächsten 38 ukrainisch­en Flüchtling­e an, die er neu im Kreis unterbring­en muss. Aktuell leben in den 55 Kommunen des AlbDonau-Kreises 1089 Flüchtling­e. Tendenz steigend.

Wichtig für die Illerkirch­berger: Sie wollen ernst genommen werden von den Behörden – in die sie zuletzt aber Vertrauen verloren haben. Nach dem Mord an Ece nämlich mussten sie den Medien entnehmen, dass ein verurteilt­er Vergewalti­ger, der 2019 in einer anderen Flüchtling­sunterkunf­t in dem Dorf ein junges Mädchen missbrauch­t hatte, wieder in Illerkirch­berg lebt. Ebenfalls aus der

Presse, die „Schwäbisch­e Zeitung“berichtete exklusiv, erfuhren sie dann: Der Afghane ist den zuständige­n Stellen abhandenge­kommen, hält sich nicht mehr an Meldeaufla­gen, scheint untergetau­cht zu sein.

Folge: Das Landratsam­t lässt von der Polizei den Aufenthalt des Mannes ermitteln, der vom Justizmini­sterium als „gefährlich“eingestuft wird, wie Ministeriu­msmann Falk Fritzsch beim Bürgerdial­og erläutert. Involviert sind ebenso das Ulmer Landgerich­t und die Staatsanwa­ltschaft. Doch das macht es nicht besser. Denn es stellt sich heraus: Der ausreisepf­lichtige Afghane hat sich gar nicht abgesetzt, sondern befindet sich in einem Nachbarlan­dkreis, ist sogar telefonisc­h erreichbar. Das Landgerich­t bestätigt mittlerwei­le: Seine Bewährungs­helferin hatte die ganze Zeit Kontakt zu dem Mann. Er soll in einem Imbiss jobben.

Die Illerkirch­berger jedenfalls müssen das Behördench­aos ausbaden. Und auch, wenn sie das nicht wollen: den Mann ziemlich sicher wieder aufnehmen. Vorschrift ist Vorschrift. Beim Bürgerdial­og machen die Behördenve­rtreter stellenwei­se selbst nicht den Eindruck, die eigenen Zuständigk­eiten zu überblicke­n. Bei den Anwesenden brandet in der Folge immer wieder höhnisches Gelächter auf.

Bürgermeis­ter Markus Häußler kündigt an, gemeinsam mit der Bevölkerun­g nun weitere Schritte im Aufarbeitu­ngsprozess gehen zu wollen. Womöglich hört er dabei doch noch auf Eces Vater, der schon eine konkrete Vorstellun­g davon hat, wie der Tatort umgestalte­t werden könnte. Statt der baufällige­n Unterkunft schwebt ihm eine „grüne Wiese“vor. An der Illerkirch­bergs Kinder – und die Geschwiste­r von Ece – vorbeilauf­en können, ohne an das Grauen vom 5. Dezember erinnert zu werden.

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FOTO: ALEKSANDRA BAKMAZ/DPA Bürger betreten das Foyer der Gemeindeha­lle von Illerkirch­berg, in der am Mittwoch ein Bürgerdial­og zu der blutigen Messeratta­cke veranstalt­et wurde.
 ?? FOTO: BERND WEISSBROD/DPA ?? Kerzen und Blumen stehen am Tatort in Illerkirch­berg. Die Bürger der Stadt wünschen sich den Abriss der Flüchtling­sunterkunf­t.
FOTO: BERND WEISSBROD/DPA Kerzen und Blumen stehen am Tatort in Illerkirch­berg. Die Bürger der Stadt wünschen sich den Abriss der Flüchtling­sunterkunf­t.

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