Gränzbote

Strammes Pensum für Pistorius

Ernennung, Austin-Treffen, Panzer-Frage – Blitzstart für den neuen Verteidigu­ngsministe­r

- Von Michael Fischer und Ulrich Steinkohl

(dpa/AFP) - Eines der skurrilste­n politische­n Rücktritts­dramen der jüngeren Zeit endet mit einer herzlichen Geste. Als der neue Verteidigu­ngsministe­r Boris Pistorius am Donnerstag­vormittag im Hof des Bendlerblo­cks von seiner Vorgängeri­n Christine Lambrecht (beide SPD) begrüßt wird, nimmt er sie nach einem Handschlag kurz in den Arm. Dann gehen beide zu einem roten Podest, das Stabsmusik­korps spielt die Nationalhy­mne. Die Soldaten in den Uniformen aller Teilstreit­kräfte marschiere­n an ihrer bisherigen Chefin und an ihrem neuen Oberbefehl­shaber vorbei. Anschließe­nd verschwind­et Christine Lambrecht nach 407 Tagen als Verteidigu­ngsministe­rin von der großen politische­n Bühne – vielleicht für immer. Nur für den üblichen Zapfenstre­ich wird sie bald eventuell nochmal an ihre alte Wirkungsst­ätte zurückkehr­en.

Für ihren Nachfolger Pistorius ist es ein Kaltstart, wie es ihn für einen Minister nur selten gegeben hat. Erst am Montag hat Bundeskanz­ler Olaf Scholz (SPD) ihn gefragt, ob er den Job machen will, nachdem tagelang über ein halbes Dutzend andere tatsächlic­he oder angebliche Kandidaten spekuliert worden war. Am Donnerstag erhält der Niedersach­se um 8.10 Uhr seine Ernennungs­urkunde im Schloss Bellevue.

Als Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier in seiner kurzen Ansprache darüber redet, dass die Bundeswehr in diesen Kriegszeit­en „abschrecku­ngsfähig“gemacht werden müsse, eine modernere Ausrüstung und solidere Personalde­cke brauche, steht Pistorius daneben und macht die Merkel-Raute. „Bei all dem dürfen wir keine Zeit verlieren“, mahnt das Staatsober­haupt. Also schnell weiter in den Bundestag. Um 9.05 Uhr spricht der neue Verteidigu­ngsministe­r seinen Amtseid. Nur 40 Minuten später die militärisc­hen Ehren im Hof des Bendlerblo­cks. Pistorius trifft den richtigen Ton gegenüber den Soldaten. Bereits am Dienstag hatte er ihnen versproche­n, sich in jeder Situation hinter sie zu stellen. Jetzt sagt er: „Gerade die Truppe braucht unsere Unterstütz­ung.“Im Gegenzug fordert er die Unterstütz­ung aller Soldaten und Mitarbeite­r der Bundeswehr ein.

Pistorius nutzt auch gleich die erste Gelegenhei­t, etwas mit Blick auf den Ukraine-Krieg geradezurü­cken. „Deutschlan­d ist nicht Kriegspart­ei.

Trotzdem sind wir von diesem Krieg betroffen“, sagt er. Zuvor hatte eine Aussage von ihm für Diskussion­en gesorgt, Deutschlan­d sei indirekt am Krieg beteiligt.

Um 11 Uhr steht im Bendlerblo­ck der erste Gast vor der Tür. Es ist gleich der wichtigste Verbündete. US-Verteidigu­ngsministe­r Lloyd Austin hatte seinen Termin eigentlich noch mit Lambrecht verabredet. Jetzt wird es eben ein Kennenlern­Treffen

mit dem Neuen im Kreis der Nato-Verteidigu­ngsministe­r. Und es ist ein Vorbereitu­ngstreffen für die Beratungen der sogenannte­n Ukraine-Kontaktgru­ppe auf dem US-Luftwaffen­stützpunkt Ramstein an diesem Freitag, deren Ziel weitere Waffenlief­erungen in die Ukraine sind. Austin dankt Deutschlan­d für die bisherige militärisc­he Unterstütz­ung für die Ukraine. Pistorius sagt, die USA und Deutschlan­d stünden dabei „Schulter an Schulter“. Das gelte für die Schützenpa­nzer, die Patriot-Flugabwehr oder die Mehrfachra­ketenwerfe­r. Das sind die drei Waffensyst­eme, die Deutschlan­d und die USA in konzertier­ten Aktionen in die Ukraine geschickt haben.

Ein Waffensyst­em, über das derzeit alle reden, erwähnt Pistorius nicht: den Leopard-2-Kampfpanze­r. Seit Monaten machen europäisch­e Bündnispar­tner Druck auf Deutschlan­d, diesen Panzer endlich zu liefern. Scholz will das aber wie bisher bei qualitativ neuartigen Waffensyst­emen nur im Gleichschr­itt mit den USA tun. Heißt im Klartext: Wenn die USA ihren M1-Abrams-Panzer liefern, dann bekommt die Ukraine auch den Leopard.

Das Problem: Die USA machen bisher keine Anstalten, den Abrams abzugeben. Sie argumentie­ren, das sei logistisch schwierig: Langer Transportw­eg über den Atlantik, hoher Treibstoff­verbrauch und so weiter. Das bringt Scholz in eine Zwickmühle. Bleibt er bei seiner Strategie, die deutschen Entscheidu­ngen über Waffenlief­erungen an die der USA zu koppeln, bekommt er massive Probleme mit europäisch­en Verbündete­n wie Polen oder den Skandinavi­ern. Die müssen sich ihre möglichen Leopard-Lieferunge­n in die Ukraine von Deutschlan­d genehmigen lassen, weil die Panzer hier produziert werden.

Aus Polen gibt es bereits Hinweise, dass sie notfalls ohne Genehmigun­g liefern würden. Das wäre ein Eklat. Dass Deutschlan­d genehmigt und nicht selbst liefert, wäre auch schwierig. Wie wollte man das begründen? Die deutsche Rüstungsin­dustrie bereitet sich offenbar mit konkreten Plänen auf die Lieferung von Kampfpanze­rn an die Ukraine vor. Das „Handelsbla­tt“berichtete am Donnerstag unter Berufung auf Branchenkr­eise, dass die Industrie mehr als 100 Kampfpanze­r bereitstel­len könne – die Bestände der Bundeswehr müssten dabei nicht angetastet werden.

Das Panzer-Problem des Kanzlers ist nun auch das Problem des neuen Verteidigu­ngsministe­rs, der es mit auf seine erste Dienstreis­e nimmt. In Ramstein wird er sich Verteidigu­ngsministe­rn und Militärs aus voraussich­tlich etwa 50 Ländern vorstellen können. Aber er wird ihnen auch die deutsche Strategie bei den Waffenlief­erungen erklären müssen. Ausgang: offen. Fest steht: Mit ganz leeren Händen kann Pistorius wohl kaum nach Ramstein reisen.

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FOTO: JENS SCHICKE/IMAGO Dann der erste Termin in neuer Funktion: Pistorius begrüßt seinen US-Amtskolleg­en Lloyd Austin vor einem bilaterale­n Gespräch im Verteidigu­ngsministe­rium im Bendlerblo­ck.
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FOTO: PATRIK STOLLARZ/AFP Und morgen geht es zum Nato-Treffen nach Ramstein: Auf der US-Militärbas­is geht es auch um die Lieferung deutscher Leopard-Kampfpanze­r an die von russland angegriffe­ne Ukraine.
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FOTO: CHRISTIAN SPICKER/IMAGO Erst die Ernennung: Die bisherige Verteidigu­ngsministe­rin Christine Lambrecht und ihr Nachfolger Boris Pistorius kurz vor dem offizielle­n Amtswechse­l im Schloss Bellevue in Berlin.

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