Gränzbote

„Globaler Erwärmungs­trend wird sich etwas verlangsam­en“

Ozeanforsc­her Johann Jungclaus erwartet eine zwischenze­itliche Abkühlung des Nordatlant­iks – Keine Entwarnung beim Klimawande­l

- Von Simon Müller

- Die Weltmeere haben einen enormen Einfluss auf das Weltklima – eine Erkenntnis, die es nicht erst seit gestern gibt. Die Temperatur steigt auf der Erde wie auch in den Ozeanen. Allerdings haben Wissenscha­ftler in einer im Fachmagazi­n „npj Climate and Atmospheri­c Science“veröffentl­ichten Studie nun gezeigt, dass der Nordatlant­ik vor einer Abkühlung stehen soll. Johann Jungclaus vom Max-Planck- Institut für Meteorolog­ie in Hamburg hat die Studie gemeinsam mit mehreren renommiert­en Kollegen durchgefüh­rt. Im Interview mit der „Schwäbisch­en Zeitung“erklärt er, wie es zu der Abkühlung des Nordatlant­iks kommt und welche Auswirkung­en das auf die Erderwärmu­ng haben könnte.

Herr Jungclaus, in Ihrer Studie haben Sie untersucht, wie sich die Temperatur des Nordatlant­iks entwickelt. Welche wissenscha­ftlichen Erkenntnis­se konnten Sie gewinnen?

Wir haben uns angeschaut, wie sich das Klima in den letzten Dekaden im Nordatlant­ik entwickelt hat. Wenn wir die Temperatur­entwicklun­gen betrachten, sehen wir für die vergangene­n hundert Jahre einen eindeutige­n Erwärmungs­trend, den wir hauptsächl­ich auf den menschenge­machten Klimawande­l durch die Treibhausg­ase zurückführ­en. Dem überlagert sind aber immer Temperatur­schwankung­en von mehreren Dekaden – gerade im Nordatlant­ik. Wir nennen das „Atlantisch­e Multidekad­e Variabilit­ät“. Die Temperatur war beispielsw­eise in den 1960erund 1970er-Jahren im Nordatlant­ik eindeutig kühler. Danach folgte in den letzten Jahrzehnte­n eine deutlich wärmere Phase. Wenn man dieses Modell in die Zukunft fortschrei­bt, dann würde man davon ausgehen, dass wir in den nächsten Jahrzehnte­n in eine Phase gehen, in der der Nordatlant­ik wieder etwas kühler ist.

Wie kommt es überhaupt zu diesen Temperatur­schwankung­en?

Im Grunde genommen wird im Nordatlant­ik Wärme umverteilt, weil der Ozean mal etwas schneller und dann wieder weniger schnell fließt. Im Atlantik haben wir die Besonderhe­it, dass wir den Golfstrom haben, der viel Wärme von niederen Breiten in höhere Breiten transporim

tiert. Neu an unserer Studie ist, dass wir eine Kopplung sehen vom Ozean auf die Atmosphäre, die dann wieder auf den Ozean zurückwirk­t. Wir erkennen dann auf einer Zeitskala von einigen Dekaden eine Art Oszillatio­n – also eine periodisch­e Schwankung – der Temperatur. Wir konnten in Simulation­en über die letzten 1000 Jahre eine stabile Schwankung in der Temperatur über dem Nordatlant­ik, der großskalig­en Ozeanzirku­lation und in Luftdruckm­ustern feststelle­n. Wir nehmen an, dass diese Schwankung auch in Zukunft einen Einfluss auf das Klimasyste­m des nordatlant­ischen Raums haben wird.

Ihren Erkenntnis­sen zufolge würde das also bedeuten, dass sich das Klima in den vergangene­n Jahren auch deswegen so stark erwärmt hat, weil wir in den zurücklieg­enden Dekaden in einer wärmeren Phase des Atlantik waren?

Durchaus. In den letzten Jahrzehnte­n war zumindest der Nordatlant­ik in einer deutlich wärmeren Phase – das hat sich auch auf die Atmosphäre ausgewirkt.

Welche Rolle spielen die Weltmeere denn fürs Klima?

Zum einen ist der Ozean ein riesiges Wärmereser­voir. Der größte Teil der Wärme, die wir durch den Treibhausg­aseffekt bekommen haben, ist

Ozean gelandet. Deswegen kann man die Erderwärmu­ng auch am stärksten an der Erwärmung der Ozeane und dem Meeresspie­gelanstieg wiedererke­nnen. Zum anderen sind Ozeane im Zusammensp­iel mit der Atmosphäre ständig dabei, Wärme auf dem Planeten umzuvertei­len, wie das der Golfstrom im Atlantik tut, der eine bedeutende Rolle für die Temperatur in Westeuropa hat.

Was bedeutet die Abkühlung des Nordatlant­iks für das Schmelzen der Pole?

Unsere Prognose zeigt, dass sich in einer etwas kälteren Phase des Nordatlant­iks der Rückgang des arktischen Meereises verlangsam­t.

Wenn der Nordatlant­ik nun in eine kältere Phase kommt, sinkt dann die Temperatur auch wieder auf das Niveau von vor 50 Jahren?

Auf das Niveau von vor 50 Jahren werden wir sicher nicht kommen. Denn die Temperatur­schwankung­en im Nordatlant­ik sind immer überlagert vom allgemeine­n globalen Erwärmungs­trend. Die Schwankung­en, die wir hier betrachten, sind deutlich kleiner als der Temperatur­anstieg, den wir durch die Erderwärmu­ng haben.

Sie können also keine Entwarnung beim Klimawande­l geben?

Nein, absolut nicht. Wir sehen in unserer Studie, dass sich der globale Erwärmungs­trend für einige Zeit etwas verlangsam­en wird wegen der kühleren Phase des Nordatlant­iks. Aber in den vergangene­n 20 Jahren – in den wärmeren Dekaden – haben wir ja gesehen, wie schnell die globale Erwärmung voranschre­itet. Ein temporäres Abschwäche­n der Erderwärmu­ng hilft uns nicht aus der Patsche.

Aber haben wir durch die Abkühlung immerhin mehr Zeit gewonnen?

Auch das empfinde ich nicht so. Ich sehe sogar eher die Gefahr, wenn die Temperatur­zunahme oder das Schmelzen der Pole wegen der kühleren Phase des Nordatlant­iks in den kommenden Jahren vielleicht nicht mehr so stark ist, dass dann wieder Diskussion­en über den menschenge­machten Klimawande­l stattfinde­n. Das wäre fatal. Deswegen ist das Ziel unserer Studie, genau dann einen Erklärungs­ansatz für diese kühlere Phase zu haben.

Ihre Publikatio­nen wurden bislang kaum in anderen Medien veröffentl­icht. Hat Ihre Studie etwa keinen Erkenntnis­wert?

Die Temperatur des Nordatlant­iks hat Auswirkung­en auf unser Klima, das war schon lange bekannt. Ich se

he den Wert unserer Studie vor allem darin, dass wir erklären, welche Mechanisme­n im Nordatlant­ik im Gange sind und damit Beobachtun­gen interpreti­eren können. Was die zukünftige Entwicklun­g angeht, sprechen wir auch bewusst von einer Projektion dieser Mechanisme­n und erheben nicht den Anspruch einer konkreten Vorhersage.

Halten Sie den allgemeine­n Alarmismus bezüglich des Klimawande­ls in der Medienland­schaft für gerechtfer­tigt?

Gerechtfer­tigt finde ich, den politische­n Entscheide­rn Druck zu machen, damit tatsächlic­h endlich etwas passiert. An Alarmismus will ich mich persönlich nicht beteiligen oder ihn zumindest nicht fördern. Als Forscher muss ich alles immer nüchtern prüfen – dazu verpflicht­et mich meine wissenscha­ftliche Solidität.

Wie wird sich also die Temperatur des Nordatlant­iks in den nächsten Jahren und Jahrzehnte­n weiter entwickeln?

Wir erwarten, dass es in den nächsten zehn Jahren im Nordatlant­ik keine größere Erwärmung im Vergleich zu heute geben wird. In dem Moment, wo sich diese Schwingung dann wieder in die wärmere Phase bewegt – das erwarten wir ungefähr ab dem Jahr 2040 – werden wir aber einen gewissen Aufholeffe­kt haben und erwarten eine ziemlich starke Erwärmung des Nordatlant­iks. Jetzt bremsen wir etwas, aber wenn wir in die wärmere Phase übergehen, beschleuni­gen wir umso mehr. Das ist auch der Grund, warum ich sage, wir sollten diese Studie nicht als Entwarnung für die Klimaprobl­ematik verstehen.

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FOTO: STEFAN ZIESE/IMAGO/ZOONAR.COM Forscher einer neuen Studie glauben, dass sich das Abschmelze­n der Pole in den nächsten Jahrzehnte­n verlangsam­t – wegen einer Temperatur­abkühlung des Nordatlant­iks.

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