„Globaler Erwärmungstrend wird sich etwas verlangsamen“
Ozeanforscher Johann Jungclaus erwartet eine zwischenzeitliche Abkühlung des Nordatlantiks – Keine Entwarnung beim Klimawandel
- Die Weltmeere haben einen enormen Einfluss auf das Weltklima – eine Erkenntnis, die es nicht erst seit gestern gibt. Die Temperatur steigt auf der Erde wie auch in den Ozeanen. Allerdings haben Wissenschaftler in einer im Fachmagazin „npj Climate and Atmospheric Science“veröffentlichten Studie nun gezeigt, dass der Nordatlantik vor einer Abkühlung stehen soll. Johann Jungclaus vom Max-Planck- Institut für Meteorologie in Hamburg hat die Studie gemeinsam mit mehreren renommierten Kollegen durchgeführt. Im Interview mit der „Schwäbischen Zeitung“erklärt er, wie es zu der Abkühlung des Nordatlantiks kommt und welche Auswirkungen das auf die Erderwärmung haben könnte.
Herr Jungclaus, in Ihrer Studie haben Sie untersucht, wie sich die Temperatur des Nordatlantiks entwickelt. Welche wissenschaftlichen Erkenntnisse konnten Sie gewinnen?
Wir haben uns angeschaut, wie sich das Klima in den letzten Dekaden im Nordatlantik entwickelt hat. Wenn wir die Temperaturentwicklungen betrachten, sehen wir für die vergangenen hundert Jahre einen eindeutigen Erwärmungstrend, den wir hauptsächlich auf den menschengemachten Klimawandel durch die Treibhausgase zurückführen. Dem überlagert sind aber immer Temperaturschwankungen von mehreren Dekaden – gerade im Nordatlantik. Wir nennen das „Atlantische Multidekade Variabilität“. Die Temperatur war beispielsweise in den 1960erund 1970er-Jahren im Nordatlantik eindeutig kühler. Danach folgte in den letzten Jahrzehnten eine deutlich wärmere Phase. Wenn man dieses Modell in die Zukunft fortschreibt, dann würde man davon ausgehen, dass wir in den nächsten Jahrzehnten in eine Phase gehen, in der der Nordatlantik wieder etwas kühler ist.
Wie kommt es überhaupt zu diesen Temperaturschwankungen?
Im Grunde genommen wird im Nordatlantik Wärme umverteilt, weil der Ozean mal etwas schneller und dann wieder weniger schnell fließt. Im Atlantik haben wir die Besonderheit, dass wir den Golfstrom haben, der viel Wärme von niederen Breiten in höhere Breiten transporim
tiert. Neu an unserer Studie ist, dass wir eine Kopplung sehen vom Ozean auf die Atmosphäre, die dann wieder auf den Ozean zurückwirkt. Wir erkennen dann auf einer Zeitskala von einigen Dekaden eine Art Oszillation – also eine periodische Schwankung – der Temperatur. Wir konnten in Simulationen über die letzten 1000 Jahre eine stabile Schwankung in der Temperatur über dem Nordatlantik, der großskaligen Ozeanzirkulation und in Luftdruckmustern feststellen. Wir nehmen an, dass diese Schwankung auch in Zukunft einen Einfluss auf das Klimasystem des nordatlantischen Raums haben wird.
Ihren Erkenntnissen zufolge würde das also bedeuten, dass sich das Klima in den vergangenen Jahren auch deswegen so stark erwärmt hat, weil wir in den zurückliegenden Dekaden in einer wärmeren Phase des Atlantik waren?
Durchaus. In den letzten Jahrzehnten war zumindest der Nordatlantik in einer deutlich wärmeren Phase – das hat sich auch auf die Atmosphäre ausgewirkt.
Welche Rolle spielen die Weltmeere denn fürs Klima?
Zum einen ist der Ozean ein riesiges Wärmereservoir. Der größte Teil der Wärme, die wir durch den Treibhausgaseffekt bekommen haben, ist
Ozean gelandet. Deswegen kann man die Erderwärmung auch am stärksten an der Erwärmung der Ozeane und dem Meeresspiegelanstieg wiedererkennen. Zum anderen sind Ozeane im Zusammenspiel mit der Atmosphäre ständig dabei, Wärme auf dem Planeten umzuverteilen, wie das der Golfstrom im Atlantik tut, der eine bedeutende Rolle für die Temperatur in Westeuropa hat.
Was bedeutet die Abkühlung des Nordatlantiks für das Schmelzen der Pole?
Unsere Prognose zeigt, dass sich in einer etwas kälteren Phase des Nordatlantiks der Rückgang des arktischen Meereises verlangsamt.
Wenn der Nordatlantik nun in eine kältere Phase kommt, sinkt dann die Temperatur auch wieder auf das Niveau von vor 50 Jahren?
Auf das Niveau von vor 50 Jahren werden wir sicher nicht kommen. Denn die Temperaturschwankungen im Nordatlantik sind immer überlagert vom allgemeinen globalen Erwärmungstrend. Die Schwankungen, die wir hier betrachten, sind deutlich kleiner als der Temperaturanstieg, den wir durch die Erderwärmung haben.
Sie können also keine Entwarnung beim Klimawandel geben?
Nein, absolut nicht. Wir sehen in unserer Studie, dass sich der globale Erwärmungstrend für einige Zeit etwas verlangsamen wird wegen der kühleren Phase des Nordatlantiks. Aber in den vergangenen 20 Jahren – in den wärmeren Dekaden – haben wir ja gesehen, wie schnell die globale Erwärmung voranschreitet. Ein temporäres Abschwächen der Erderwärmung hilft uns nicht aus der Patsche.
Aber haben wir durch die Abkühlung immerhin mehr Zeit gewonnen?
Auch das empfinde ich nicht so. Ich sehe sogar eher die Gefahr, wenn die Temperaturzunahme oder das Schmelzen der Pole wegen der kühleren Phase des Nordatlantiks in den kommenden Jahren vielleicht nicht mehr so stark ist, dass dann wieder Diskussionen über den menschengemachten Klimawandel stattfinden. Das wäre fatal. Deswegen ist das Ziel unserer Studie, genau dann einen Erklärungsansatz für diese kühlere Phase zu haben.
Ihre Publikationen wurden bislang kaum in anderen Medien veröffentlicht. Hat Ihre Studie etwa keinen Erkenntniswert?
Die Temperatur des Nordatlantiks hat Auswirkungen auf unser Klima, das war schon lange bekannt. Ich se
he den Wert unserer Studie vor allem darin, dass wir erklären, welche Mechanismen im Nordatlantik im Gange sind und damit Beobachtungen interpretieren können. Was die zukünftige Entwicklung angeht, sprechen wir auch bewusst von einer Projektion dieser Mechanismen und erheben nicht den Anspruch einer konkreten Vorhersage.
Halten Sie den allgemeinen Alarmismus bezüglich des Klimawandels in der Medienlandschaft für gerechtfertigt?
Gerechtfertigt finde ich, den politischen Entscheidern Druck zu machen, damit tatsächlich endlich etwas passiert. An Alarmismus will ich mich persönlich nicht beteiligen oder ihn zumindest nicht fördern. Als Forscher muss ich alles immer nüchtern prüfen – dazu verpflichtet mich meine wissenschaftliche Solidität.
Wie wird sich also die Temperatur des Nordatlantiks in den nächsten Jahren und Jahrzehnten weiter entwickeln?
Wir erwarten, dass es in den nächsten zehn Jahren im Nordatlantik keine größere Erwärmung im Vergleich zu heute geben wird. In dem Moment, wo sich diese Schwingung dann wieder in die wärmere Phase bewegt – das erwarten wir ungefähr ab dem Jahr 2040 – werden wir aber einen gewissen Aufholeffekt haben und erwarten eine ziemlich starke Erwärmung des Nordatlantiks. Jetzt bremsen wir etwas, aber wenn wir in die wärmere Phase übergehen, beschleunigen wir umso mehr. Das ist auch der Grund, warum ich sage, wir sollten diese Studie nicht als Entwarnung für die Klimaproblematik verstehen.