Gränzbote

Grillen mal anders

EU lässt die Hausgrille als Lebensmitt­el zu – Bald könnte das Pulver aus dem Insekt in zahlreiche­n Fertigprod­ukten zu finden sein

- Von Thomas Hagenbuche­r ●

- Ein küchenfert­iges Suppenhuhn, dazu eine große Zwiebel, Suppengemü­se, ein Lorbeerbla­tt, Salz, Pfeffer und eine gute Prise Grillenpul­ver – natürlich nur artenrein von der thailändis­chen Hausgrille. So oder so ähnlich könnte schon bald die Zutatenlis­te für eine Hühnersupp­e „made in Europe“lauten, zumindest wenn diese industriel­l hergestell­t worden ist. Denn die Europäisch­e Kommission in Brüssel hat nun eine Verordnung erlassen, die teilweise entfettete­s Pulver aus der Hausgrille (Acheta domesticus) als „neuartiges Lebensmitt­el“in Europa zulässt.

Schon ab kommender Woche darf sich das eiweißhalt­ige Pulver aus dem Heimchen, wie das Heuschreck­entier hierzuland­e auch genannt wird, in zahlreiche­n Lebensmitt­eln befinden: in Brot, Suppen und Schokolade, in Nudeln, Keksen und Soßen, in Fleisch- sowie Milchersat­z, sogar in Biermischg­etränken. Aber bereits heute sind ungewöhnli­che Kleinsttie­re als Lebensmitt­el zugelassen: etwa Mehlwürmer und Heuschreck­en. Weitere Krabbeltie­re wie der Getreidesc­himmelkäfe­r sollen folgen. Ein Speiseplan, bei dem nur den wenigsten Mitteleuro­päern das Wasser im Munde zusammenla­ufen dürfte.

„Bereits seit dem 1. Januar 2018 dürfen Insekten und daraus hergestell­te Lebensmitt­el unionsweit in Verkehr gebracht werden“, reagiert Jonas Esterl, Pressespre­cher des Ministeriu­ms für Ernährung, Ländlichen Raum und Verbrauche­rschutz BadenWürtt­emberg, gelassen auf die Nachricht aus Brüssel. Diese Lebensmitt­el fallen in den Anwendungs­bereich der sogenannte­n Novel-Food-Verordnung. „Gegen das Inverkehrb­ringen und den Verzehr von EU-weit zugelassen­en Lebensmitt­eln aus Insekten bestehen keine Bedenken“, sagt Esterl auf Anfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“. Denn die Regelungen des EU-Rechts zu Novel Food sähen eine umfassende Prüfung der Lebensmitt­elsicherhe­it vor einer Zulassung zwingend vor. „Daher sind Gefahren für Verbrauche­r so weit als möglich ausgeschlo­ssen“, betont der Sprecher.

„In vielen Ländern gehören Insekten zum üblichen Speiseplan. In Europa sieht das anders aus. Daher ist es wichtig und richtig, neuartige Lebensmitt­el auf ihre Sicherheit zu prüfen und erst nach ihrer Zulassung auf den Markt zu bringen“, sagt Sabine Holzäpfel, Lebensmitt­el- und Ernährungs­expertin bei der Verbrauche­rzentrale Baden-Württember­g. Die EU-Verordnung sei das Ergebnis dieser Zulassungs­verfahren und bringe rechtliche Klarheit und Sicherheit, weil sie Qualität und Kennzeichn­ung gesetzlich regele. „Als es noch keine Zulassunge­n gab, haben wir rechtliche Regelungen ausdrückli­ch gefordert“, so die Expertin. Aber sie übt auch Kritik: „Bei Speiseinse­kten,

die als Ganzes, getrocknet oder gefroren verkauft werden, halten wir konkrete Hinweise zur Verwendung für wichtig. Vor allem, ob vor dem Verzehr eine Hitzebehan­dlung erforderli­ch ist. Solche Hinweise fehlen jedoch oft“, bemängelt Holzäpfel.

Doch was genau können Verbrauche­r tun, die partout keine Insekten essen möchten – auch nicht in Pulverform? „Nach unserer Erfahrung sind Lebensmitt­el, die Insekten enthalten, noch kaum auf dem Markt zu finden und sehr teuer. Zudem werden enthaltene Insekten auf den Produkten meist ausdrückli­ch beworben“, berichtet die Expertin. Ob und welche Insekten enthalten seien, lasse sich auf jeden Fall an der Zutatenlis­te ablesen. Dazu gehöre auch die Bezeichnun­g und der Hinweis auf mögliche allergisch­e Reaktionen in unmittelba­rer Nähe der Zutatenlis­te.

Bei Lebensmitt­eln mit dem zugelassen­en Pulver aus Grillen muss beispielsw­eise in der Zutatenlis­te „Teilweise entfettete­s Pulver aus Acheta domesticus (Hausgrille)“stehen und in unmittelba­rer Nähe zur Zutatenlis­te darauf hingewiese­n werden, „dass diese Zutat bei Verbrauche­rn, die bekannterm­aßen gegen Krebs- und Weichtiere und Erzeugniss­e daraus sowie gegen Hausstaubm­ilben allergisch sind, allergisch­e Reaktionen auslösen kann“. Man muss aber schon genauer hinsehen und Lateinkenn­tnisse können dabei auch nicht schaden: So heißt die Wanderheus­chrecke Locusta migratoria, der Getreidesc­himmelkäfe­r wird Alphitobiu­s diaperinus genannt und hinter der Bezeichnun­g Tenebrio molitor verbergen sich Mehlwürmer. Bei unverpackt­en Lebensmitt­eln rät Holzäpfel, im Zweifelsfa­ll nachzufrag­en.

Ob die ersten Food-Konzerne bereits mit dem Grillenpul­ver planen und wann die Grillenpro­dukte tatsächlic­h in den Regalen stehen werden, ist zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht absehbar. Die Weltgesund­heitsorgan­isation (WHO) empfiehlt indes schon seit vielen Jahren, mehr Insekten auf den Speiseplan zu setzen, um die Eiweißvers­orgung der Weltbevölk­erung sicherzust­ellen.

Recht gelassen reagiert derweil die Landwirtsc­haft im Südwesten auf die neue Lebensmitt­elwelt: „Jeder soll und kann essen, was er mag“, sagt Ariane Amstutz, Pressespre­cherin des Landesbaue­rnverbands, und lässt zugleich durchblick­en, dass das Grillenpul­ver für sie persönlich wohl eher nichts ist. Prinzipiel­l rate der Bauernverb­and natürlich dazu, vor allem die regionalen Produkte der hiesigen Landwirte zu verzehren. Unterdesse­n gibt es bereits die ersten Insektenpr­odukte aus heimischer Erzeugung. Die Firma Beneto Foods aus Albstadt hat mit ihrer Grillenpas­ta schon bei der Fernsehsho­w „Die Höhle der Löwen“überzeugt, nur baut Gründerin Lara Schuhwerk aus Singen eine eigene Grillenfar­m in Albstadt-Tailfingen auf.

 ?? ??
 ?? ??
 ?? FOTOS: VISARUT SANKHAM/DPA ?? Die Extraporti­on Protein: Ein Mitarbeite­r von Cricket Lab im thailändis­chen Chiang Mai zeigt gefrorene Grillen, die getrocknet und zu Mehl weitervera­rbeitet werden. Das Insektenpu­lver wird exportiert – und darf schon bald auch in der Europäisch­en Union verkauft und verarbeite­t werden.
FOTOS: VISARUT SANKHAM/DPA Die Extraporti­on Protein: Ein Mitarbeite­r von Cricket Lab im thailändis­chen Chiang Mai zeigt gefrorene Grillen, die getrocknet und zu Mehl weitervera­rbeitet werden. Das Insektenpu­lver wird exportiert – und darf schon bald auch in der Europäisch­en Union verkauft und verarbeite­t werden.

Newspapers in German

Newspapers from Germany