Grillen mal anders
EU lässt die Hausgrille als Lebensmittel zu – Bald könnte das Pulver aus dem Insekt in zahlreichen Fertigprodukten zu finden sein
- Ein küchenfertiges Suppenhuhn, dazu eine große Zwiebel, Suppengemüse, ein Lorbeerblatt, Salz, Pfeffer und eine gute Prise Grillenpulver – natürlich nur artenrein von der thailändischen Hausgrille. So oder so ähnlich könnte schon bald die Zutatenliste für eine Hühnersuppe „made in Europe“lauten, zumindest wenn diese industriell hergestellt worden ist. Denn die Europäische Kommission in Brüssel hat nun eine Verordnung erlassen, die teilweise entfettetes Pulver aus der Hausgrille (Acheta domesticus) als „neuartiges Lebensmittel“in Europa zulässt.
Schon ab kommender Woche darf sich das eiweißhaltige Pulver aus dem Heimchen, wie das Heuschreckentier hierzulande auch genannt wird, in zahlreichen Lebensmitteln befinden: in Brot, Suppen und Schokolade, in Nudeln, Keksen und Soßen, in Fleisch- sowie Milchersatz, sogar in Biermischgetränken. Aber bereits heute sind ungewöhnliche Kleinsttiere als Lebensmittel zugelassen: etwa Mehlwürmer und Heuschrecken. Weitere Krabbeltiere wie der Getreideschimmelkäfer sollen folgen. Ein Speiseplan, bei dem nur den wenigsten Mitteleuropäern das Wasser im Munde zusammenlaufen dürfte.
„Bereits seit dem 1. Januar 2018 dürfen Insekten und daraus hergestellte Lebensmittel unionsweit in Verkehr gebracht werden“, reagiert Jonas Esterl, Pressesprecher des Ministeriums für Ernährung, Ländlichen Raum und Verbraucherschutz BadenWürttemberg, gelassen auf die Nachricht aus Brüssel. Diese Lebensmittel fallen in den Anwendungsbereich der sogenannten Novel-Food-Verordnung. „Gegen das Inverkehrbringen und den Verzehr von EU-weit zugelassenen Lebensmitteln aus Insekten bestehen keine Bedenken“, sagt Esterl auf Anfrage der „Schwäbischen Zeitung“. Denn die Regelungen des EU-Rechts zu Novel Food sähen eine umfassende Prüfung der Lebensmittelsicherheit vor einer Zulassung zwingend vor. „Daher sind Gefahren für Verbraucher so weit als möglich ausgeschlossen“, betont der Sprecher.
„In vielen Ländern gehören Insekten zum üblichen Speiseplan. In Europa sieht das anders aus. Daher ist es wichtig und richtig, neuartige Lebensmittel auf ihre Sicherheit zu prüfen und erst nach ihrer Zulassung auf den Markt zu bringen“, sagt Sabine Holzäpfel, Lebensmittel- und Ernährungsexpertin bei der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg. Die EU-Verordnung sei das Ergebnis dieser Zulassungsverfahren und bringe rechtliche Klarheit und Sicherheit, weil sie Qualität und Kennzeichnung gesetzlich regele. „Als es noch keine Zulassungen gab, haben wir rechtliche Regelungen ausdrücklich gefordert“, so die Expertin. Aber sie übt auch Kritik: „Bei Speiseinsekten,
die als Ganzes, getrocknet oder gefroren verkauft werden, halten wir konkrete Hinweise zur Verwendung für wichtig. Vor allem, ob vor dem Verzehr eine Hitzebehandlung erforderlich ist. Solche Hinweise fehlen jedoch oft“, bemängelt Holzäpfel.
Doch was genau können Verbraucher tun, die partout keine Insekten essen möchten – auch nicht in Pulverform? „Nach unserer Erfahrung sind Lebensmittel, die Insekten enthalten, noch kaum auf dem Markt zu finden und sehr teuer. Zudem werden enthaltene Insekten auf den Produkten meist ausdrücklich beworben“, berichtet die Expertin. Ob und welche Insekten enthalten seien, lasse sich auf jeden Fall an der Zutatenliste ablesen. Dazu gehöre auch die Bezeichnung und der Hinweis auf mögliche allergische Reaktionen in unmittelbarer Nähe der Zutatenliste.
Bei Lebensmitteln mit dem zugelassenen Pulver aus Grillen muss beispielsweise in der Zutatenliste „Teilweise entfettetes Pulver aus Acheta domesticus (Hausgrille)“stehen und in unmittelbarer Nähe zur Zutatenliste darauf hingewiesen werden, „dass diese Zutat bei Verbrauchern, die bekanntermaßen gegen Krebs- und Weichtiere und Erzeugnisse daraus sowie gegen Hausstaubmilben allergisch sind, allergische Reaktionen auslösen kann“. Man muss aber schon genauer hinsehen und Lateinkenntnisse können dabei auch nicht schaden: So heißt die Wanderheuschrecke Locusta migratoria, der Getreideschimmelkäfer wird Alphitobius diaperinus genannt und hinter der Bezeichnung Tenebrio molitor verbergen sich Mehlwürmer. Bei unverpackten Lebensmitteln rät Holzäpfel, im Zweifelsfall nachzufragen.
Ob die ersten Food-Konzerne bereits mit dem Grillenpulver planen und wann die Grillenprodukte tatsächlich in den Regalen stehen werden, ist zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht absehbar. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt indes schon seit vielen Jahren, mehr Insekten auf den Speiseplan zu setzen, um die Eiweißversorgung der Weltbevölkerung sicherzustellen.
Recht gelassen reagiert derweil die Landwirtschaft im Südwesten auf die neue Lebensmittelwelt: „Jeder soll und kann essen, was er mag“, sagt Ariane Amstutz, Pressesprecherin des Landesbauernverbands, und lässt zugleich durchblicken, dass das Grillenpulver für sie persönlich wohl eher nichts ist. Prinzipiell rate der Bauernverband natürlich dazu, vor allem die regionalen Produkte der hiesigen Landwirte zu verzehren. Unterdessen gibt es bereits die ersten Insektenprodukte aus heimischer Erzeugung. Die Firma Beneto Foods aus Albstadt hat mit ihrer Grillenpasta schon bei der Fernsehshow „Die Höhle der Löwen“überzeugt, nur baut Gründerin Lara Schuhwerk aus Singen eine eigene Grillenfarm in Albstadt-Tailfingen auf.