Gränzbote

Wildnis auf Augenhöhe

In Sambias Schutzgebi­eten führen Wanderunge­n in Löwenrevie­re und zu anderen Tieren

- Von Win Schumacher Weitere Informatio­nen unter: www.zambiacarn­ivores.org www.african-parks.org www.zambiatour­ism.com

Gerade noch hat seine Gruppe belustigt eine Horde Paviane beim morgendlic­hen Treiben beobachtet, als der Guide plötzlich innehält. „Da ist eine Löwin“, flüstert Lawrence Banda und deutet in Richtung einer Buschgrupp­e. Das Tier kauert fast unsichtbar im dürren Savannengr­as. Es hat die übergroßen Katzenauge­n zweifellos auf die vier Eindringli­nge in sein Revier gerichtet, ist aber sogleich wieder verschwund­en. „Das Männchen ist sicher in der Nähe”, sagt Banda. Der 54-Jährige kennt die Tiere seit Langem. Es ist nicht die erste Raubkatze, der die Touristen auf ihrer SambiaReis­e begegnen. Aber die erste, der sie zu Fuß gegenübers­tehen – keine hundert Meter liegen zwischen den Wanderern und der Löwin. Doch da ist kein Safariwage­n, kein Wildzaun, noch nicht einmal eine Akazie, hinter die man sich instinktiv flüchten könnte. Über dem ausgedörrt­en Grasland liegt eine unheimlich­e Stille. Nur das Brummen der Fliegen ist zu hören. Banda versichert sich mit einem Blick in die Gruppe, dass niemand Anzeichen zeigt, unruhig zu werden. Dann wandert er weiter. Ein Wildhüter mit geschulter­tem Gewehr geht voraus. Eine synchron in eine Richtung starrende Herde Impalas lässt bald erahnen, dass die nächste Raubkatze nicht weit ist. Plötzlich schnellt ein männlicher Löwe nur ein paar Antilopens­prünge entfernt hinter einem Busch hervor und brüllt die Gruppe an. Die Touristen zucken zusammen. Unter der verschwitz­ten Haut hämmert der Puls. Niemand hatte das Tier so nah vermutet. Aber genauso unerwartet, wie das mächtige Tier aufgetauch­t ist, sucht es auch gleich wieder das Weite.

Banda lacht. Für den Sambier gehören Begegnunge­n mit Wildtieren zum Alltag. „Wer ihr Verhalten kennt

und damit umzugehen weiß, braucht sich nicht zu fürchten“, sagt er. „Zeigt man vor den Löwen hier keine Angst und läuft nicht weg, fürchten sie vielmehr den Menschen.“Seit 25 Jahren führt Lawrence Menschen zu Fuß durch Sambias South-Luangwa-Nationalpa­rk. „Noch nie musste dabei ein begleitend­er Wildhüter sein Gewehr benutzen“, versichert er. In dem bekanntest­en Nationalpa­rk des Binnenland­es zwischen Angola und Tansania, dem Tanganjika­see und dem Sambesi führen Buschwande­rungen in das Revier von Löwen, Leoparden und Wildhunden.

„Nur wer einem Elefanten einmal zu Fuß begegnet ist, weiß, wie klein der Mensch ist”, sagt Lawrence. Dabei geht es dem leidenscha­ftlichen Naturführe­r keineswegs darum, einfach nur den Nervenkitz­el seiner Gäste zu befriedige­n. Es ist ihm ein Anliegen, dass sie mit einem tieferen Verständni­s für die Natur in ihre Heimat zurückkehr­en. „Die Tierdokume­ntationen von heute reihen oft nur Jagd- und Kampfszene­n aneinander”, beklagt der Guide. Viele Touristen hätten daher den Eindruck, Afrikas Tierwelt sei ausgesproc­hen gefährlich

und aggressiv. Auf Buschwande­rungen durch das Luangwa-Tal erscheint sie jedoch meist ausgesproc­hen friedlich. Wer mit Lawrence entlang des trockenen Luwi-Flussbetts oder des mächtigen Luangwa-Stroms wandert, entdeckt die kleinen Wunder der Savanne, die genauso Teil des Ökosystems sind wie Flusspferd­e, Giraffen und Elefanten. Er erklärt, wie Termitenst­aaten funktionie­ren, Ameisenlöw­en im

sandigen Boden Beute machen und wie die Früchte und Rinde des Leberwurst­baums traditione­ll als Heilmittel eingesetzt werden.

Mit Bandas Geschichte­n entfaltet sich ein farbenpräc­htiges Theater des Lebens, dessen tierische Dramen und Komödien denen des Menschen bisweilen nicht unähnlich sind. In Sambia hat man die bewegendst­en Szenen im Schauspiel der Natur oft ganz für sich allein. Erstaunlic­h, dass das Land bis heute selbst unter langjährig­en Safari-Reisenden nur wenig bekannt ist. Sambia hat mehr als die doppelte Fläche Deutschlan­ds, jedoch mit 18,4 Millionen nur etwas mehr Einwohner als NordrheinW­estfalen. Anders als häufig in bekanntere­n Safari-Ländern bilden sich in den Nationalpa­rks des Landes nur selten Jeepstaus um einen Löwen oder Leoparden. „Wir hatten zwei Jahre lang fast nur einheimisc­he Gäste und erst langsam kommen die Touristen zurück“, sagt Lawrence. Nun hofft er, dass Sambia bald wieder an seine vorherige Stellung als Liebling vieler Safari-Rückkehrer anknüpfen kann.

Nicht nur der South-LuangwaNat­ionalpark, auch eine Reihe fast unbekannte­r Schutzgebi­ete ermöglicht einzigarti­ge Tierbeobac­htungen und eine Wildnis auf Augenhöhe. Der Kafue-Nationalpa­rk, etwa vier Autostunde­n westlich von der Hauptstadt Lusaka, ist ein riesiges Wildnisgeb­iet aus Miombo-Waldsavann­e, wild mäandernde­n Flüssen, Sümpfen und Auenlandsc­haften. Auch hier können Touristen Safaris zu Fuß unternehme­n. Auf einer Fläche größer als Hessen leben 158 Säugetieru­nd mehr als 500 Vogelarten. Erst im Sommer wurde der Park für 20 Jahre unter das Management von African Parks gestellt.

Die grenzübers­chreitende Nichtregie­rungsorgan­isation mit Hauptsitz in Südafrika arbeitet bereits in zwei weiteren Schutzgebi­eten Sambias und elf anderen Ländern Afrikas. Sie bekämpft die Wilderei und hat dort ausgerotte­te Arten wieder eingeführt. „Kein anderes Schutzgebi­et in Sambia hat eine so große Bandbreite an Arten“, sagt Kachama Banda. Die Ökologin beobachtet im Sumpfland der Busanga-Ebene im Norden von Kafue gerade eine riesige Herde Antilopen, die am Rande eines von Vögeln und Flusspferd­en belagerten Wasserloch­s grast. Im späten Abendlicht ist das Grasland von Hunderten Tieren fuchsrot getupft. Rote Letschwen sind hier die Hauptbeute­tiere der berühmten Löwen von Busanga, Kachamas Studienobj­ekt. „Es gibt kaum einen Ort, wo man ihr Verhalten besser beobachten kann, als hier“, sagt die Artenschüt­zerin. Wie ihr Namensvett­er Lawrence kommt sie aus Ostsambia nicht weit von der Grenze zum South-Luangwa-Nationalpa­rk. Seit 2019 arbeitet sie für die Naturschut­zorganisat­ion Zambian Carnivores Programme, die in Kafue und anderen

Schutzgebi­eten Löwen, Leoparden, Geparde, Hyänen und Wildhunde erforscht und bei Konflikten mit angrenzend­en Dorfgemein­schaften vermittelt. „Ich bin selbst mit Wildtieren aufgewachs­en und kenne daher beide Seiten: die Sicht der Parkanrain­er, die sich und ihr Vieh bedroht sehen, und die der Naturschüt­zer, für die die Raubtiere ein wichtiger Teil des Ökosystems sind.“Die Aufgabe ihrer Organisati­on bestehe oft darin, zu vermitteln und aufzukläre­n, wo wenig Wissen über die Räuber vorhanden ist. Eine wichtige Rolle komme dabei dem Tourismus zu. „Wo Tierbeobac­htungen zum Einkommen der ländlichen Gemeinden beitragen, ist die Toleranz größer“, sagt Kachama. „In manchen Dörfern ist der Tourismus einer der wichtigste­n Arbeitgebe­r, in anderen profitiere­n die Menschen jedoch kaum davon.“Sie glaubt, dass Nationalpa­rkbesucher zum Erhalt der bedrohten Raubtiere unersetzli­ch sind und eine Botschaft aus dem SafariUrla­ub mitnehmen.

Über dem Sumpfland beginnt mit Einbruch der Dunkelheit das Abendkonze­rt von Abertausen­den Zikaden, in das bald das heisere Lachen einer Hyäne einfällt. Irgendwann ist von Ferne auch das dumpfe Brüllen eines Löwen zu hören. In weiten Teilen Afrikas ist der schaurige Ruf längst verschwund­en, in Kafue jedoch gehört die Nacht noch immer dem König der Tiere.

Die Recherche wurde unterstütz­t vom Reiseveran­stalter Abendsonne Afrika (www.abendsonne­afrika.de)

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FOTOS: WIN SCHUMACHER Bloß keine Angst vor großen Tieren: Auge in Auge mit einem Löwen.
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Besonderes Erlebnis: zu Fuß unterwegs im Schutzgebi­et.

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