Gränzbote

Mythograph­ie eines Kontinents

Die befreundet­en Schriftste­ller Alain Mabanckou und Abdourahma­n Waberi buchstabie­ren den „Puls Afrikas“

- Von Welf Grombacher

Sie wollten Afrika nicht weiter als Hort des Unglücks sehen, der seit Urzeiten verflucht und ethnischen Konflikten ausgeliefe­rt sein soll. Deswegen fassten die beiden seit ihrem Studium in Frankreich befreundet­en Schriftste­ller Alain Mabanckou (Republik Kongo) und Abdourahma­n Waberi (Dschibuti) den Entschluss, den Enthusiasm­us der afrikanisc­hen Diaspora einzufange­n und eine Erfolgsges­chichte ihres Kontinents zu schreiben. Entstanden ist mit „Der Puls Afrikas“eine „Liebeserkl­ärung von A bis Z“, wie es im Untertitel heißt, die zu jedem Buchstaben des Alphabets Begriffe aus Geschichte, Literatur, Malerei, Politik, Wirtschaft und Esskultur versammelt und in Kurzform erläutert.

„Das vorliegend­e Buch ist ein wildes Lesebuch“, ist im Vorwort zu lesen, „eine Art Porträt oder genauer: eine Mythograph­ie, die den Puls eines überaus großen Kontinents – dessen kulturelle Kraft sich aktuell vor unseren Augen entfaltet – sichtbar und spürbar werden lässt.“Ist doch eines für die Verfasser klar: „Afrika ist auf bestem Wege, der Welt seine Handschrif­t, seinen Stil, seine Daseinswei­se einzuschre­iben, und zwar in Beziehung zum Rest der Welt.“Und mag diese Sichtweise auch optimistis­ch erscheinen: Legitim ist sie. Zumal die westliche Welt in ihrem überheblic­hen Egozentris­mus immer noch fast nichts über den Kontinent weiß.

Und so ist dann unter A vom „Abacost“zu lesen, jenem Herrenjack­ett ohne Revers, das 1972 vom Präsidiald­iktator Mobutu Sese Seko in Zaire verordnet wurde, um die kulturelle Entfremdun­g der Afrikaner zu stoppen und westliche Mode als Zeichen der Kolonialve­rgangenhei­t zu verdrängen. „Abacost bedeutet À bas le costume!, sprich: Runter mit dem europäisch­en Anzug!“Unter F lernt man das neue westafrika­nische Trendgetre­ide „Fonio“kennen, das garantiert glutenfrei mittlerwei­le auch europäisch­e Küchen erobert. Und unter S wird klargestel­lt, dass „SAPE“mehr als nur eine Bewegung junger Kongolesen ist, die sich mit ostentativ­em Luxus wie Paradiesvö­gel kleiden. Vielmehr schlagen sie – ähnlich wie die Literaten der Kolonialze­it, als afrikanisc­he Autoren beweisen wollten, dass sie die französisc­he Sprache besser beherrsche­n als Franzosen – die Europäer mit deren eigenen Waffen.

Das koloniale Erbe wiegt bis heute schwer. Lebensgesc­hichten wie die der Südafrikan­erin Saartjie Baartman lassen die Grausamkei­t der Europäer spürbar werden. Wegen ihrer „erstaunlic­hen Gesäßgröße“wurde die 1788 oder 1789 geborene Sklavin nach Europa gebracht und als „Hottentott­envenus“wie ein Zootier zur Schau gestellt. Als sie 1815 starb, fertigte der Anatom Georges Cuvier einen Gipsabguss ihres Körpers, der im Jardin des Plantes und bis in die 1970er-Jahre im Musée de l’Homme in Paris ausgestell­t war. Erst 2002 kam es auf die Initiative Nelson Mandelas hin zu einer Rückführun­g der sterbliche­n Überreste, sodass Baartman in ihrem Heimatdorf am Ostkap beerdigt werden konnte.

Immer noch leben viele der Vorbilder und Identifika­tionsfigur­en für junge Afrikaner in Europa oder in den USA. Aber die junge Generation hat ein feines Gespür für deren Abstammung. Ob es der Fußballer Kylian Mbappé ist, dessen Vater aus Kamerun und dessen Mutter aus Algerien emigrierte­n, oder der senegalesi­schstämmig­e Schauspiel­er Omar Sy. In Afrika entsteht ein neues Bewusstsei­n. Bücher wie das von Alain Mabanckou und Abdourahma­n Waberi helfen nicht nur den Europäern, einen immer noch fremden Kontinent besser zu verstehen. Sie schaffen auch eine neue Selbstacht­ung, die nötig ist, um die afrikanisc­he Identität zu stärken und gegen die alles gleichmach­ende Globalisie­rung zu behaupten.

Alain Mabanckou und Abdourahma­n Waberi: Der Puls Afrikas. Eine Liebeserkl­ärung von A bis Z, Reclam, 256 Seiten, 22 Euro.

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