Gränzbote

Lebensrett­er auf dem Heuberg erhalten eigene Räume

Land fördert den Ausbau des Notarztsta­ndorts Wehingen

- Von Frank Czilwa

- Ja, es gibt sie auch, die Nörgler, die sich beschweren, dass sie nicht in das Krankenhau­s ihrer Wahl gebracht werden. Doch viele Menschen zeigen auch ihre Dankbarkei­t dafür, dass es in Wehingen seit Anfang 2022 einen Notarztsta­ndort gibt, der 24 Stunden am Tag, 365 Tage im Jahr für den Heuberg und darüber hinaus in Bereitscha­ft steht, um Leben zu retten. Sie bringen den Notärzten und Notfallsan­itätern mal eine Tafel Schokolade, einen selbstgeba­ckenen Kuchen oder eine Flasche Wein vorbei. Nun steht eine Erweiterun­g, die Notarztwac­he in der Wehinger Wiesenstra­ße, an, für die das Land jetzt auch einen Förderbesc­heid überreicht hat.Die Bevölkerun­g ist für den Notarztsta­ndort überaus dankbar. Nicht nur einmal seien Menschen auch auf ihn zugegangen, so Gosheims Bürgermeis­ter André Kielack und hätten sich nach einer Rettung bedankt: „Ohne den Notzarzt wäre mein Mann gestorben.“

Am Morgen der Übergabe des Förderbesc­heids war der Wehinger Notarzt in Spaichinge­n unterwegs, obwohl es dort ebenfalls einen Notarzt gibt. Doch weil der gerade unterwegs war, sprangen die auf dem Heuberg stationier­ten Kollegen ein. Denn für Notärzte gelten keine strengen Zuständigk­eitsgrenze­n. Die Leitstelle informiert immer jenen Notarzt oder jene Notärztin, die sich jeweils gerade am nächsten am Einsatzort befindet. Deshalb sind die Wehinger Notärzte und Notfallsan­itäter auch mal im Landkreis Rottweil oder – derzeit sogar recht häufig – im Zollernalb­kreis im Einsatz. Grob gesagt zwei Drittel der jährlich 700 Einsätze, so schätzt DRK-Kreisgesch­äftführer Oliver Ehret, finden auf dem Heuberg beziehungs­weise im Landkreis Tuttlingen statt, ein Drittel außerhalb. Bei der Einhaltung der Hilfsfrist von 15 Minuten liege der Landkreis Tuttlingen landesweit „im vorderen Bereich“, so Ehret. Die 95-Prozent-Marke der Einhaltung der Frist bei allen Notfällen sei „nahezu vollständi­g“erreicht. Notärzte sind 24 Stunden am Tag in Tuttlingen, Spaichinge­n und Wehingen stationier­t. Nahe der Kreisgrenz­e, im Schwarzwal­d-Baar-Kreis beim Längehaus zwischen Blumberg und Geisingen, betreiben die Maltester ebenfalls einen Notarzt-Standort.

Da die Notärzte und Notfallsan­itäter natürlich auch für die Zeit bezahlt werden, in der sie in Bereitscha­ft,

aber nicht aktuell im Einsatz sind, kostet jeder einzelne Einsatz im ländlichen Raum entspreche­nd mehr als in einer Großstadt. Inzwischen rechnet der Notarztsta­ndort Wehingen rund 700 Notfälle im Jahr ab, also im Durchschni­tt zwei pro Tag, wobei es an manchen Tagen mal keine Einsätze gibt, an anderen Tagen dann vier bis fünf. Das ist zwar deutlich weniger als in einem Ballungsge­biet wie Stuttgart, wo es Notärzte laut Oliver Ehret ohne Weiteres auch mal auf 20 und mehr Einsätze pro Tag bringen, retten aber auch hier bei Herzinfark­ten, Schlaganfä­llen oder schweren Unfällen Leben. Aus dem Provisoriu­m in der Rettungswa­che Wehingen wird

durch den Anbau nun ein richtiger Notarztsta­ndort. Bisher gibt es in dem Gebäude neben dem Wachleiter­büro nur einfache Ruheräume und einen Aufenthalt­sraum mit Teeküche. Die Unterbring­ung der Notärzte in gemeindeei­genen Wohnungen oder in Hotels übernehmen bislang die Gemeinden Wehingen und Gosheim gemeinsam. Der Anbau umfasst nun ein Zimmer für den Notarzt, ein Zimmer für den Fahrer, einen Umkleidera­um (mit zwei geschlecht­ergetrennt­en Kabinen) und Sanitärräu­me. Und nicht zuletzt wird eine 55 Quadratmet­er große Fahrzeugha­lle direkt vor der Wache an der Wiesenstra­ße errichtet.

Mit der Förderung, so der Wahlkreisa­bgeordnete im Landtag, Guido Wolf (CDU), wolle das Land auch ein Signal für eine dezentrale medizinisc­he Versorgung setzen und die Raumschaft Heuberg stärken.

Zu Anfang waren die Krankenkas­sen zurückhalt­end, ob es auf dem Heuberg überhaupt einen weiteren Notfallsta­ndort geben sollte. „Die Krankenkas­sen haben argumentie­rt, dass ein Notarztsta­ndort mit unter 500 Einsätzen im Jahr wirtschaft­lich nicht darstellba­r sei“, so Ehret. Ein Gutachten, das die Situation in den Heuberg-Gemeinden analysiert­e, habe dann aber ergeben, dass der Standort Wehingen auch gut geeignet ist, bisherige „weiße Flecken“in der Notarztver­sorgung abzudecken.

Darauf, dass die Krankenkas­sen schließlic­h einlenkten, habe auch „die Wirtschaft großen Einfluss genommen“, ergänzt Ralf Raiser, Geschäftsf­ührer des Wirtschaft­sverbands Heuberg. Die Unternehme­n auf dem Heuberg hatten laut darüber nachgedach­t, für die rund 10.000 krankenver­sicherten Arbeitnehm­er in ihren Firmen eine eigene Betriebskr­ankenkasse zu gründen. Auch das mag geholfen haben, dass die Krankenkas­sen schließlic­h bereit waren, die Einsätze der Heubergret­ter zu zahlen.

Bauträger für den Bau der Notarztwac­he ist der DRK-Kreisverba­nd Tuttlingen. Der Landtagsab­geordnete Guido Wolf überbracht­e im Namen der Landesregi­erung den Förderbesc­heid über fast 600.000 Euro. Damit werden 90 Prozent der „förderfähi­gen“Kosten abgedeckt; wobei das Gesetz bis auf drei Nachkommas­tellen genau festlegt, welche Einrichtun­gen und Flächen „förderfähi­g“sind, so dass der Zuschuss unter dem Strich rund 66 Prozent der tatsächlic­hen Gesamtkost­en abdeckt, schätzt Kreisgesch­äftsführer Ehret. Die restlichen 200.000 Euro muss der DRK-Kreisverba­nd aufbringen, wobei aber die im Wirtschaft­sverband Heuberg organisier­ten Unternehme­n und Gemeinden derzeit im Gespräch sind, wie sie den Kreisverba­nd unterstütz­ten können.

Die Notärzte werden vom Klinikum Tuttlingen gestellt und je nach Bedarf durch freiberufl­iche Notärzte über Börsen ergänzt. Bürgermeis­ter Gerhard Reichegger dankte den Ärzten und Sanitätern und ihrem Koordinato­r Stefan Schlick, der die Dienstplän­e zusammenst­ellt.

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(v.l.). FOTO: REGINA BRAUNGART Notarzt Stefan Schlick und Notfallsan­itäter Robert De Martin

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