Bewährung, die zweite
In seinem zweiten Jahr als Bayern-Trainer steht Julian Nagelsmann vor einer wegweisenden Saisonhälfte
- Es fühlt sich an wie der Rückrundenstart, ist es aber nicht. Wir schreiben – mit Beginn an diesem Freitag – Spieltag 16. Alles wegen Katar und dieser WM. Also gibt es offiziell auch noch keinen – stets natürlich inoffiziellen – Herbstmeister, der dann spätestens nächste Woche, eine sogenannte englische, feststehen wird. Verwirrt? Darf’s noch etwas mehr sein? Der FC Bayern hat bereits im Sommer ein Pflichtspiel bei RB Leipzig absolviert. Mit einem hüben wie drüben entfesselten 5:3 gewannen die Münchner den DFLSupercup, das Titelchen zur SaisonOuvertüre. Nun also wieder auswärts in Leipzig, auf exponiertem Sendeplatz, übertragen im Free-TV (Sat.1) wie im Pay-TV (DAZN). Der Anstoß zum Amuse-Gueule des neuen Pflichtspieljahres 2023 erfolgt um 20.30 Uhr.
Und sie wissen nicht, wo sie stehen. Sagt man immer so schön im Kicker-Jargon. Okay, Yann Sommer, der Winter-Neuzugang, wird wohl im Tor der Bayern stehen. Nach erfolgreichem Medizincheck und Vertragsunterzeichnung bis 2025 nahm der 34-Jährige am Donnerstag bereits am Abschlusstraining teil und reiste danach voller Zuversicht („Ich bin stolz, jetzt ein Teil des FC Bayern zu sein. Es ist ein großer Club mit Power – ich weiß um die enorme Qualität und Strahlkraft dieses Vereins. Es kommen große Aufgaben auf uns zu.“) mit nach Leipzig. Nach dem Unterschenkelbruch von Kapitän und DFB-Nationaltorwart Manuel Neuer soll der erfahrene Sommer, mit 80
Einsätzen Rekordnationalkeeper der Schweiz, mithelfen, Bayerns Traum vom Triple am Leben zu halten. Bayerns Vorstandsboss Oliver Kahn, einer der legendärsten Torhüter des Vereins, sprach von einer „wertvollen Verstärkung“. Welche die Münchner acht Millionen Euro Ablöse plus Boni in Höhe von 1,5 Millionen wert war. Beinahe ein Schnäppchen für „einen der besten europäischen Torhüter“, wie ihn Sportvorstand Hasan Salihamidzic einstufte.
Im aktuellen Winter besagt der Gradmesser Tabelle: RB gegen FCB ist das Duell Dritter gegen Erster, ein hübsches Kräftemessen. Aber nach der XXL-Winterpause der Bundesliga, sprich zehn Wochen nach dem 15. Spieltag (wer weiß es noch? Bayern gewann 2:0 auf Schalke), herrscht Ungewissheit allerorten. Wie hat man die ungewöhnliche Unterbrechung
der Saison durch die WM überstanden, wer hat Katar besser verdaut? Die zumeist enttäuschten Teilnehmer des DFB und von Finalteilnehmer Frankreich? Oder die daheimgebliebenen Langzeit-Urlauber? Welcher Trainer konnte die Zeit inhaltlich besser nutzen? Julian Nagelsmann oder Leipzigs Marco Rose?
Die Leipziger sind seit 13 Pflichtspielen ungeschlagen, gewannen davon sechs Partien hintereinander, hatten also (Betonung auf Vergangenheit!) einen Lauf. Die Bayern aber auch. Von ihren ungeschlagenen 13 Spielen gewannen sie zuletzt sogar zehn. In der Tabelle trennen beide Teams sechs Punkte. Was das für den Kracher am Freitag bedeutet, weiß Mathematik-Profi Nagelsmann: „Neun Punkte Vorsprung wäre ein gutes Polster. Wenn wir verlieren sollten, ist es wieder sehr spannend und dann sind wir auch in der Bundesliga mehr unter Zugzwang als wenn wir gewinnen würden.“Kann man so sagen. Bei einer Pleite und nur noch drei Punkten Vorsprung ginge die Saison, sprich das Rennen um die Schale, erst so richtig los. Nach zehn Meisterschaften hintereinander möchte der 35-Jährige nicht als „Serienkiller“in die Vereinsgeschichte eingehen.
„Als Trainer wirst du sehr am Tagesgeschäft gemessen. Mein Job ist es, die Rückrunde so zu gestalten, dass ich im Sommer fest im Sattel sitze“, sagte Nagelsmann mit der nötigen Portion Realismus trotz seines im Sommer 2021 nach dem Wechsel von RB Leipzig unterschriebenen Fünfjahresvertrages. Und im Wissen darum, dass ein erneutes Jahr mit einem einzigen Titel ziemlich mau wäre. Das blamable Viertelfinal-Aus in der Champions League im Frühjahr 2022 gegen den spanischen Underdog FC Villarreal könnte nur durch ein Achtelfinal-Adieu gegen Paris St.Germain im negativen Sinne noch getoppt werden. Obwohl dann, je nach Verlauf der Duelle im Februar und März, auch mildernde Umstände gelten dürften gegen Weltmeister Messi, WM-Torschützenkönig Mbappé und den Rest der ChampsÉlysées-Globetrotter. In einem Wort zusammengefasst: Druck.
Kennt Nagelsmann. Sein Ziel ist es, auch diese pikante Rückrunde ohne die beiden Langzeit-Verletzten Manuel Neuer sowie Lucas Hernández bestmöglich zu überstehen. Es ist des Jung-Trainers zweite Rückrunden-Feuerprobe. Untertitel: Bewährung, die zweite.