Noch kein Marschbefehl für den Leopard
Trotz internationalen Drucks keine Entscheidung über deutsche Panzer-Lieferung
(dpa) - Es ist eine erste Feuerprobe unter erschwerten Einsatzbedingungen für den neuen Verteidigungsminister. Die 50 Journalisten aus aller Welt, denen er auf dem USLuftwaffenstützpunkt Ramstein Rede und Antwort stehen muss, sind deutlich besser ausgerüstet als er. „Sie stehen in Jacke da, ich nicht. Mein Mantel ist irgendwie abhandengekommen“, sagt er bei Temperaturen um den Gefrierpunkt. Das Jackett muss reichen.
Es ist die erste Pressekonferenz für Pistorius nach seiner Vereidigung im Bundestag vor nur 29 Stunden. Alle wollen nur eines wissen: Was ist nun mit den Leopard-2-Panzern? Das Problem für Pistorius: Er hat keine richtig gute Antwort. Deswegen zählt er erst auf, welche Waffenlieferungen Deutschland sonst so in der Pipeline hat: Patriot-Raketensysteme, Gepard-Flakpanzer, Iris-TFlugabwehr. Dann kommt Pistorius zu dem Thema, das alle interessiert.
Es werde nun geprüft, ob es in Deutschland überhaupt lieferbare Leopard-2-Panzer gibt und wenn ja wie viele. Er habe am Freitagmorgen Mitarbeitern den Auftrag erteilt, die Bestände der Bundeswehr und der Industrie zu überprüfen. Damit wolle man nun „vor die Lage“kommen, für den Fall, dass die politische Entscheidung für eine Lieferung getroffen wird, sagt Pistorius. Wann wird das sein? „So bald wie möglich.“
Der Verteidigungsminister beantwortet tapfer die Fragen der verwunderten Journalisten, obwohl er nicht für das verantwortlich ist, was er da erklären muss. Hätte man nicht vorher drauf kommen können, den Bestand zu prüfen? „Ich bin 24 Stunden im Amt, viel schneller kann man solche Entscheidungen glaube ich nicht treffen“, sagt er nur.
Pistorius hat das Panzer-Problem geerbt – von seiner Vorgängerin Christine Lambrecht und vor allem von seinem Chef Olaf Scholz (beide SPD). Der Kanzler konnte sich noch nicht zu einer Entscheidung durchringen. Und offenbar hat er sich – wie schon bei den Marder-Schützenpanzern – auch nicht darauf vorbereitet, dass eine Entscheidung fällig werden könnte. Und das, obwohl er mit der Frage schon vor fast einem Jahr das erste Mal konfrontiert wurde.
An Tag 8 des russischen Angriffskriegs, dem 3. März 2022, schickte die ukrainische Botschaft eine sogenannte Verbalnote an das Kanzleramt, das Auswärtige Amt und das Verteidigungsministerium, die eine Wunschliste mit fast 30 Waffensystemen enthielt. An erster Stelle: Kampfpanzer. Die Bundesregierung hatte zu diesem Zeitpunkt Panzerfäuste, Stinger-Raketen und gepanzerte Fahrzeuge zugesagt. An die Lieferung von schweren Waffen dachte damals aber noch niemand. Das änderte sich in den folgenden Monaten zwar radikal. Erst wurden GepardFlakpanzer zugesagt, dann die Panzerhaubitze
2000, Mehrfachraketenwerfer und Flugabwehrgeschütze. Aber ein Waffensystem fehlt bis heute: Der Leopard 2, einer der schlagkräftigsten Kampfpanzer der Welt.
In den vergangenen Wochen stieg der Druck auf Scholz massiv. Vor dem Treffen in Ramstein flehte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj Bundeskanzler Scholz geradezu an, die Panzer zu liefern. „Ihr seid doch erwachsene Leute. Sie können gerne noch sechs Monate lang so reden, aber bei uns sterben Menschen – jeden Tag“, sagte er. „Im Klartext: Kannst du Leoparden liefern oder nicht? Dann gib' sie her!“
Die Ukraine benötigt die Kampfpanzer dringender denn je, weil die Lage an der Front seit Wochen festgefahren ist. Panzer können der Ukraine helfen, weitere besetzte Gebiete zurückzugewinnen. Außerdem gibt es Befürchtungen, dass der russische Präsident Wladimir Putin seinerseits im Frühjahr eine Großoffensive starten könnte, der die Ukraine etwas entgegensetzen will.
Für den Kanzler gelten bei den Waffenlieferungen drei Prinzipien. Erstens: Die Ukraine muss entschlossen unterstützt werden. Zweitens: Deutschland und die Nato dürfen nicht in den Krieg hineingezogen werden. Drittens: Es darf keine Alleingänge geben. Vor allem beim zweiten Kriterium sieht sich Scholz in Übereinstimmung mit der Mehrheit der deutschen Bevölkerung. Schon in einer frühen Phase des Krieges hat er vor einem Atomkrieg gewarnt. Andererseits sieht Putin die Nato wegen der bisherigen Waffenlieferungen ohnehin schon längst als Kriegspartei. Es stellt sich die Frage: Will man sich von russischen Drohungen einschüchtern lassen? Fakt ist, dass die Lieferung von Leopard-Panzern Deutschland und seine Verbündeten völkerrechtlich nicht zur Kriegspartei machen würde.
Das Argument „keine Alleingänge“zieht im Fall der Kampfpanzer nicht mehr. Großbritannien hat bereits die Lieferung solcher Panzer vom Typ Challenger 2 angekündigt. Polen und Finnland wollen Leopard-2-Panzer
in die Ukraine schicken. Auch andere europäische Länder wie Schweden oder Spanien sympathisieren damit. Spätestens jetzt zeigt sich, dass für Scholz nur ein Verbündeter entscheidend ist: die USA. Immer wenn es darum ging, bei den Waffenlieferungen etwas qualitativ Neues zu machen, entschied Scholz nicht ohne die USA.
In der Frage der Kampfpanzer ist US-Präsident Joe Biden ähnlich zögerlich wie Scholz. Die Amerikaner haben zwar grundsätzlich nichts gegen die Lieferung einzuwenden, halten aber die Bereitstellung ihrer eigenen M1 Abrams aus praktischen Gründen nicht für sinnvoll. Die USPanzer müssten erst über den Atlantik transportiert werden, die Instandhaltung sei aufwendiger und sie verbrauchten zu viel Treibstoff.
Auch US-Verteidigungsminister Lloyd Austin kündigte in Ramstein deswegen keine Kampfpanzer-Lieferung an. Die Entscheidung werden nun wohl Scholz und Biden unter sich ausmachen.