Gränzbote

Noch kein Marschbefe­hl für den Leopard

Trotz internatio­nalen Drucks keine Entscheidu­ng über deutsche Panzer-Lieferung

- Von Michael Fischer und Wolfgang Jung

(dpa) - Es ist eine erste Feuerprobe unter erschwerte­n Einsatzbed­ingungen für den neuen Verteidigu­ngsministe­r. Die 50 Journalist­en aus aller Welt, denen er auf dem USLuftwaff­enstützpun­kt Ramstein Rede und Antwort stehen muss, sind deutlich besser ausgerüste­t als er. „Sie stehen in Jacke da, ich nicht. Mein Mantel ist irgendwie abhandenge­kommen“, sagt er bei Temperatur­en um den Gefrierpun­kt. Das Jackett muss reichen.

Es ist die erste Pressekonf­erenz für Pistorius nach seiner Vereidigun­g im Bundestag vor nur 29 Stunden. Alle wollen nur eines wissen: Was ist nun mit den Leopard-2-Panzern? Das Problem für Pistorius: Er hat keine richtig gute Antwort. Deswegen zählt er erst auf, welche Waffenlief­erungen Deutschlan­d sonst so in der Pipeline hat: Patriot-Raketensys­teme, Gepard-Flakpanzer, Iris-TFlugabweh­r. Dann kommt Pistorius zu dem Thema, das alle interessie­rt.

Es werde nun geprüft, ob es in Deutschlan­d überhaupt lieferbare Leopard-2-Panzer gibt und wenn ja wie viele. Er habe am Freitagmor­gen Mitarbeite­rn den Auftrag erteilt, die Bestände der Bundeswehr und der Industrie zu überprüfen. Damit wolle man nun „vor die Lage“kommen, für den Fall, dass die politische Entscheidu­ng für eine Lieferung getroffen wird, sagt Pistorius. Wann wird das sein? „So bald wie möglich.“

Der Verteidigu­ngsministe­r beantworte­t tapfer die Fragen der verwundert­en Journalist­en, obwohl er nicht für das verantwort­lich ist, was er da erklären muss. Hätte man nicht vorher drauf kommen können, den Bestand zu prüfen? „Ich bin 24 Stunden im Amt, viel schneller kann man solche Entscheidu­ngen glaube ich nicht treffen“, sagt er nur.

Pistorius hat das Panzer-Problem geerbt – von seiner Vorgängeri­n Christine Lambrecht und vor allem von seinem Chef Olaf Scholz (beide SPD). Der Kanzler konnte sich noch nicht zu einer Entscheidu­ng durchringe­n. Und offenbar hat er sich – wie schon bei den Marder-Schützenpa­nzern – auch nicht darauf vorbereite­t, dass eine Entscheidu­ng fällig werden könnte. Und das, obwohl er mit der Frage schon vor fast einem Jahr das erste Mal konfrontie­rt wurde.

An Tag 8 des russischen Angriffskr­iegs, dem 3. März 2022, schickte die ukrainisch­e Botschaft eine sogenannte Verbalnote an das Kanzleramt, das Auswärtige Amt und das Verteidigu­ngsministe­rium, die eine Wunschlist­e mit fast 30 Waffensyst­emen enthielt. An erster Stelle: Kampfpanze­r. Die Bundesregi­erung hatte zu diesem Zeitpunkt Panzerfäus­te, Stinger-Raketen und gepanzerte Fahrzeuge zugesagt. An die Lieferung von schweren Waffen dachte damals aber noch niemand. Das änderte sich in den folgenden Monaten zwar radikal. Erst wurden GepardFlak­panzer zugesagt, dann die Panzerhaub­itze

2000, Mehrfachra­ketenwerfe­r und Flugabwehr­geschütze. Aber ein Waffensyst­em fehlt bis heute: Der Leopard 2, einer der schlagkräf­tigsten Kampfpanze­r der Welt.

In den vergangene­n Wochen stieg der Druck auf Scholz massiv. Vor dem Treffen in Ramstein flehte der ukrainisch­e Präsident Wolodymyr Selenskyj Bundeskanz­ler Scholz geradezu an, die Panzer zu liefern. „Ihr seid doch erwachsene Leute. Sie können gerne noch sechs Monate lang so reden, aber bei uns sterben Menschen – jeden Tag“, sagte er. „Im Klartext: Kannst du Leoparden liefern oder nicht? Dann gib' sie her!“

Die Ukraine benötigt die Kampfpanze­r dringender denn je, weil die Lage an der Front seit Wochen festgefahr­en ist. Panzer können der Ukraine helfen, weitere besetzte Gebiete zurückzuge­winnen. Außerdem gibt es Befürchtun­gen, dass der russische Präsident Wladimir Putin seinerseit­s im Frühjahr eine Großoffens­ive starten könnte, der die Ukraine etwas entgegense­tzen will.

Für den Kanzler gelten bei den Waffenlief­erungen drei Prinzipien. Erstens: Die Ukraine muss entschloss­en unterstütz­t werden. Zweitens: Deutschlan­d und die Nato dürfen nicht in den Krieg hineingezo­gen werden. Drittens: Es darf keine Alleingäng­e geben. Vor allem beim zweiten Kriterium sieht sich Scholz in Übereinsti­mmung mit der Mehrheit der deutschen Bevölkerun­g. Schon in einer frühen Phase des Krieges hat er vor einem Atomkrieg gewarnt. Anderersei­ts sieht Putin die Nato wegen der bisherigen Waffenlief­erungen ohnehin schon längst als Kriegspart­ei. Es stellt sich die Frage: Will man sich von russischen Drohungen einschücht­ern lassen? Fakt ist, dass die Lieferung von Leopard-Panzern Deutschlan­d und seine Verbündete­n völkerrech­tlich nicht zur Kriegspart­ei machen würde.

Das Argument „keine Alleingäng­e“zieht im Fall der Kampfpanze­r nicht mehr. Großbritan­nien hat bereits die Lieferung solcher Panzer vom Typ Challenger 2 angekündig­t. Polen und Finnland wollen Leopard-2-Panzer

in die Ukraine schicken. Auch andere europäisch­e Länder wie Schweden oder Spanien sympathisi­eren damit. Spätestens jetzt zeigt sich, dass für Scholz nur ein Verbündete­r entscheide­nd ist: die USA. Immer wenn es darum ging, bei den Waffenlief­erungen etwas qualitativ Neues zu machen, entschied Scholz nicht ohne die USA.

In der Frage der Kampfpanze­r ist US-Präsident Joe Biden ähnlich zögerlich wie Scholz. Die Amerikaner haben zwar grundsätzl­ich nichts gegen die Lieferung einzuwende­n, halten aber die Bereitstel­lung ihrer eigenen M1 Abrams aus praktische­n Gründen nicht für sinnvoll. Die USPanzer müssten erst über den Atlantik transporti­ert werden, die Instandhal­tung sei aufwendige­r und sie verbraucht­en zu viel Treibstoff.

Auch US-Verteidigu­ngsministe­r Lloyd Austin kündigte in Ramstein deswegen keine Kampfpanze­r-Lieferung an. Die Entscheidu­ng werden nun wohl Scholz und Biden unter sich ausmachen.

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FOTO: ANDRE PAIN/AFP Geerbte Probleme: Verteidigu­ngsministe­r Boris Pistorius (SPD)

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