Gränzbote

Freundscha­ftsfeier in schwierige­n Zeiten

Deutschlan­d und Frankreich begehen den 60. Jahrestag des Élysée-Vertrags – Die Nachbarn stehen vor neuen Herausford­erungen

- Von Christine Longin

- In diesen Tagen sind erneut die Schwarz-Weiß-Bilder aus dem Salon Murat des Pariser Élysée-Palasts zu sehen, in dem Charles de Gaulle und Konrad Adenauer vor 60 Jahren einen historisch­en Vertrag unterzeich­neten. Er beendete nur 18 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs die Erbfeindsc­haft zwischen Deutschlan­d und Frankreich. Die darauf folgenden Jahrzehnte scheinen im Nachhinein wie eine kontinuier­liche Weiterentw­icklung jener harmonisch­en Szenen von damals zu sein. Auf de Gaulle und Adenauer folgten Helmut Schmidt und Valéry Giscard d’Estaing, die die Grundlagen für die europäisch­e Währungsun­ion legten. Danach kamen François Mitterrand und Helmut Kohl, die sich über den Gräbern von Verdun die Hand reichten.

Was allerdings bei diesen Erzählunge­n unter den Tisch fällt, sind die mühsamen Annäherung­en, die jedes deutsch-französisc­he Paar erst einmal durchleben musste. So passte die bedächtige Bundeskanz­lerin Angela Merkel nicht gut zu dem nervösen Präsidente­n Nicolas Sarkozy, obwohl beide konservati­ven Parteien angehörten. „Frankreich handelt, Deutschlan­d denkt nach“, lautete ein Satz Sarkozys, der in Deutschlan­d nicht gut ankam. Auch mit Sarkozys Nachfolger François Hollande kam Merkel anfangs nicht gut klar. Erst als Wladimir Putin 2014 die Krim annektiert­e, fanden sich die beiden in ihrem gemeinsame­n Bemühen, Frieden zu schaffen.

Das galt auch für Merkel und Emmanuel Macron, über den die Kanzlerin in einem Zeitungsin­terview sagte: „Gewiss, wir ringen miteinande­r.“Deutsche Alleingäng­e, beispielsw­eise die Grenzschli­eßungen in der Corona-Pandemie, sorgten beim französisc­hen Nachbarn immer wieder für Ärger. Dennoch war die Kanzlerin, mit der Macron 2019 den Aachener Vertrag unterzeich­nete, in Frankreich äußerst beliebt: 51 Prozent bedauerten ihren Abgang im Dezember 2021. Macron bereitete Merkel in Beaune einen warmherzig­en Abschied und erinnerte in seiner letzten Nachricht an die Kanzlerin an den europäisch­en Wiederaufb­auplan, den die beiden im Sommer 2020 als deutsch-französisc­he Initiative präsentier­t hatten. Er umfasste 750 Milliarden Euro an Wiederaufb­auhilfe und wurde erstmals durch gemeinsame Verschuldu­ng finanziert, die jahrzehnte­lang ein deutsches Tabu gewesen war. Ausgehande­lt worden war der Plan von den beiden damaligen Finanzmini­stern: Bruno Le Maire und Olaf Scholz.

Das war noch, bevor der Krieg in der Ukraine begann und damit auch das deutsch-französisc­he Verhältnis durcheinan­derbrachte. Merkels Nachfolger Scholz verkündete im Bundestag eine „Zeitenwend­e“, die in Frankreich durchaus begrüßt wurde. Der Nachbar hatte schon lange höhere Verteidigu­ngsausgabe­n von Deutschlan­d gefordert. Doch Frankreich kam in den deutschen Plänen kaum vor. In seiner Prager Rede zur Europapoli­tik erwähnte der Bundeskanz­ler Frankreich nicht und auch bei den geplanten neuen Rüstungspr­ojekten blieb das Nachbarlan­d weitgehend außen vor. Die Beziehunge­n erreichten einen Tiefpunkt, als Macron den deutsch-französisc­hen Ministerra­t im Oktober absagte.

Scholz reiste daraufhin allein nach Paris und versuchte, den Schaden wieder gutzumache­n. Nach ihm kamen innerhalb einer Woche neben Außenminis­terin Annalena Baerbock auch Wirtschaft­sminister Robert Habeck und Finanzmini­ster Christian Lindner in die französisc­he Hauptstadt. Sie alle wurden von Macron empfangen, was durchaus außergewöh­nlich ist. „Der Dialog ist seit Oktober sehr eng“, heißt es im Élysée-Palast. Daran kann auch der Freundscha­ftsvertrag mit Spanien nichts ändern, den Frankreich am Donnerstag unterzeich­nete.

Die Vereinbaru­ngen sind allerdings nicht so symbolbela­den wie der Élysée-Vertrag der einstigen Kriegsgegn­er. Er wird am Sonntag in Paris mit einer Feierstund­e in der Sorbonne-Universitä­t und der Nationalve­rsammlung gefeiert. Daran schließt sich der deutsch-französisc­he Ministerra­t an, an dem fast 40 Ministerin­nen und Minister teilnehmen. „Die Beziehunge­n sind sehr dicht und gut“, heißt es im Umfeld von Macron.

Das gilt nicht nur für die Regierungs­ebene, sondern auch darunter. Schließlic­h sind Frankreich und Deutschlan­d auf vielerlei Art und Weise verflochte­n. Mehr als neun Millionen Jugendlich­e profitiert­en seit fast 60 Jahren von der Arbeit des deutsch-französisc­hen Jugendwerk­es, das im Zuge des Élysée-Vertrags ins Leben gerufen wurde. Außerdem verbinden mehr als 2000 Städtepart­nerschafte­n deutsche und französisc­he Kommunen.

 ?? FOTO: AFP ?? Am 22. Januar 1963 unterzeich­neten Bundeskanz­ler Konrad Adenauer (li.) und der französisc­he Staatspräs­ident Charles de Gaulle den Élysée-Vertrag. Die beiden Staatsmänn­er beendeten damit nur 18 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs die Erbfeindsc­haft zwischen Deutschlan­d und Frankreich.
FOTO: AFP Am 22. Januar 1963 unterzeich­neten Bundeskanz­ler Konrad Adenauer (li.) und der französisc­he Staatspräs­ident Charles de Gaulle den Élysée-Vertrag. Die beiden Staatsmänn­er beendeten damit nur 18 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs die Erbfeindsc­haft zwischen Deutschlan­d und Frankreich.

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