Heizen als Nebenprodukt
Industrielle Abwärme soll besser genutzt werden – Zehn Prozent der Haushalte könnten nach Schätzungen davon profitieren
- Auch im Winter gilt: Wer nicht will, dass die eigenen vier Wände ein Eigenleben entwickeln, muss lüften und heizen. Wer jedoch beides auf einmal macht, muss sich den Vorwurf gefallen lassen, wertvolle Energie zu verschwenden. Gilt das im Privaten als vermeidbares Missgeschick, ist es in der Industrie bislang Alltag. Denn Abwärme entsteht bei fast jedem industriellen Prozess – und wird doch nur in den seltensten Fällen genutzt. Der Grund: Die Nutzung galt bislang als aufwendig und unwirtschaftlich. Doch angesichts der gegenwärtigen Energiekrise hat das Thema eine neue Relevanz erhalten. Durch die Nutzung industrieller Abwärme könnte laut Landesenergieagentur KEA jeder zehnte private Haushalte mit Raumwärme und Warmwasser versorgt werden – und Deutschland seine Energiewende voranbringen.
Doch zunächst gilt: Die beste Abwärme ist die, die erst gar nicht entsteht. So betonen die Autoren einer aktuellen Studie des Fraunhofer Instituts, dass die Abwärmenutzung erst in Betracht gezogen werden sollte, „nachdem die Ursachen der Abwärmeentwicklung so weit wie möglich reduziert wurden“. Es gibt aber auch Abwärme, die nicht vermeidbar ist. Diese entsteht vor allem in energieintensiven Branchen wie der Metall-, Automobil- oder Papierindustrie. Mit dieser Abwärme können auch andere Energieformen wie Strom oder Kälte erzeugt werden. Doch für die Nutzung sind Apparate wie Wärmetauscher, -speicher oder -pumpen erforderlich. Je nach Einsatzort und Art der Abwärme müssen Unternehmen dafür zum Teil tief in die Tasche greifen.
Doch die Investition trägt dazu bei, sowohl Betriebskosten als auch den CO2-Ausstoß zu reduzieren – und ganz nebenbei das Image des Unternehmens zu verbessern. Deswegen ist die interne Nutzung industrieller Abwärme für viele Unternehmen bereits bewährte Praxis. So nutzt der Messund Prüftechnikhersteller Blum-Novotest aus Grünkraut (Landkreis Ravensburg) bereits seit 2008 verschiedene Abwärmequellen, um die eigenen Büro- und Fertigungsbereiche zu heizen. Insgesamt werden am Standort Grünkraut durch die Nutzung industrieller Abwärme bis zu 800 Kilowatt Leistung rückgewonnen. Diese wird, je nach Bedarf, flexibel eingesetzt.
Diese Flexibilität ist auch notwendig, denn die Menge der Abwärme ist von einer Vielzahl von Faktoren abhängig – und variiert oftmals mehrmals pro Tag. Deshalb raten die Autoren des Fraunhofer Instituts auch dazu, immer eine Reserveinfrastruktur bereitzuhalten. Außerdem müssten Abhängigkeiten zwischen miteinander energetisch verknüpften Anlagen bedacht werden. So werden etwa bei Blum-Novotest die Fertigungs- und
Bürogebäude durch die Abwärme der Drucklufterzeugungsmaschinen und Gebäudelüftungsgeräte beheizt. Sind diese Geräte außer Betrieb, müssen die Räume durch andere Wärmequellen beheizt werden. Blum-Novotest besitzt in den meisten Gebäuden mit Strom und Gas sogar zwei Backups.
Jedoch kann es auch vorkommen, dass die Abwärme, die in einem Betrieb oder Werk anfällt, so hoch ist, dass sie den eigenen Bedarf vor Ort übersteigt. In diesem Fall ist ein Anschluss an ein regionales Wärmenetz sinnvoll. So könnten beispielsweise nahegelegene Schulen oder Schwimmbäder beheizt werden.
Für die Einspeisung industrieller Abwärme in ein solches regionales Wärmenetz müsse die Regierung aber „weitere Anreize zur Beschaffung von Geräten zur Nutzung und Speicherung von Abwärme schaffen“, meint der kaufmännische Leiter von BlumNovotest, Frank Latzko, auf Anfrage der „Schwäbischen Zeitung“. Außerdem solle der Aufbau einer Infrastruktur zur Speicherung und Verkauf vorhandener Energien gefördert werden.
Die IHK bezeichnet die bisherig geschaffenen Rahmenbedingungen der Landesregierung indes als „gut“und verweist auf Förderprogramme für Städte und Unternehmen. Das Klimaschutzgesetz in Baden-Württemberg nehme hier eine „Vorbildfunktion“ein, so ein Sprecher auf Anfrage. Während der Bund durch die KfWBank konkrete Energieeinsparmaßnahmen subventioniert, will das Land in einem vorgelagerten Schritt Unternehmen die Scheu vor diesen Maßnahmen nehmen. Hierfür bezuschusst es die Kosten für die Erstberatung und Projektanbahnung von Abwärmeprojekten mit 75 Prozent.
Eine solche Beratung benötigt der Maschinenhersteller Voith nicht mehr, denn er nutzt bereits industrielle Abwärme. Das Heidenheimer Unternehmen strebt nach eigener Aussage die Steigerung der Energieeffizienz in allen Bereichen und Prozessen an. Hierbei spiele auch die Nutzung industrieller Abwärme eine große Rolle. Wo dies nicht möglich sei, werde die Abwärme für eigene Prozesse genutzt. So wird beispielsweise am Hauptsitz in Heidenheim Wärme aus Prüfständen zur Beheizung der Gebäude genutzt. Auch durch diese Maßnahme konnte Voith seit dem Geschäftsjahr 2011/12 seinen Energieverbrauch um rund 30 Prozent senken. Seit 2022 arbeitet Voith weltweit an allen Standorten netto-klimaneutral.
Abwärmevermeidung spielt auch für den Automobilzulieferer ZF eine große Rolle. Energieintensive Bereiche wie etwa die Härterei hätten aber nur einen untergeordneten Anteil an den Produktionsanlagen. Die entstehende Abwärme wird bisher nicht quantitativ erfasst. Dennoch rüste ZF seine Energietechnik sukzessive um, um so mit Abwärme Gebäude heizen zu können, teilt ein Unternehmenssprecher mit.