Gränzbote

Karl May schrieb zu langweilig für ein Verbot

Vor 25 Jahren öffnete der Vatikan die Archive der Inquisitio­n – Diese verfolgte „Ketzer“und befand auch über vermeintli­ch „gefährlich­e Schriften“

- Von Nils Sandrisser ●

(epd) - Als Hubert Wolf zum ersten Mal ins Archiv der Inquisitio­n im Vatikan ging, hatte er schon ein bisschen Angst. „Mit so einem klapprigen Fahrstuhl ging es nach unten“, erinnert sich der Professor für Kirchenges­chichte der Universitä­t Münster. 1993 habe er erstmals Zutritt zum Archiv erhalten – fünf Jahre, bevor es offiziell für die Forschung zugänglich wurde. Am 22. Januar 1998 öffnete Papst Johannes Paul II. das Archiv und erklärte: „Die Kirche hat sicherlich keine Angst vor der historisch­en Wahrheit.“

Seit Erfindung des Buchdrucks betrachtet­e die katholisch­e Kirche häretische Bücher als wesentlich gefährlich­er als häretische Menschen. Die eigens dafür gegründete Indexkongr­egation verbot bis zu ihrer Auflösung im Jahr 1966 rund 6000 Schriften von Autoren wie Heinrich Heine, Émile Zola oder Immanuel Kant. Dieses Archiv zum Index der verbotenen Bücher ist fast komplett erhalten. Für den Rest des Inquisitio­nsarchivs gilt das nicht: Napoleon ließ die Dokumente einst nach Paris schaffen, nicht alle fanden ihren Weg wieder zurück.

„Die Indexkongr­egation befasst sich nur mit Büchern“, stellt Wolf klar. „Die Inquisitio­n teilweise auch, aber ihr Schwerpunk­t liegt auf Glaubensfr­agen.“Sie entscheide etwa, ob eine Marienersc­heinung echt gewesen sei oder nicht. „Oder sie beschäftig­t sich mit Anfragen wie der, ob beim Abendmahl Hirsebier statt Wein erlaubt ist“, nennt Wolf ein Beispiel. Denn in vielen afrikanisc­hen Ländern sei Wein nicht sehr verbreitet.

Das mag nicht so recht zum üblen Ruf der Inquisitio­n als Unterdrück­ungsund Mordinstru­ment vergangene­r Jahrhunder­te passen. Tatsächlic­h ist die Verfolgung von sogenannte­n Ketzern nur ein Teil ihrer Geschichte. Und im Vergleich zu dem Rechtssyst­em, das vorher galt, war die 1542 offiziell gegründete „Heilige Römische und Universale Inquisitio­n“sogar ein Fortschrit­t. Denn zuvor wurden Rechtsstre­ite mitunter als „Gottesurte­ile“entschiede­n – entweder im Zweikampf oder indem man den Verdächtig­en Verletzung­en beibrachte und anschließe­nd

prüfte, wie gut oder schlecht sie heilten. Oder man konnte sich selbst freisprech­en, wenn man nur genügend Zeugen brachte. Die Inquisitio­n ersetzte dieses archaische Recht durch ein geordnetes Verfahren. In den Jahren vor der offizielle­n Öffnung, als Wolf die Bestände mit einer Sondergene­hmigung konsultier­en konnte, war das

Archiv in Rom „nicht auf Benutzung ausgelegt“, erzählt der Kirchenhis­toriker. „Es gab da nur ein paar Funzelbirn­en, kaum Tische, keine Steckdosen und hauptsächl­ich handschrif­tliche Inventare, teils jahrhunder­tealt.“Im Laufe der Zeit hätten aber ein ebenerdige­r Eingang, Steckdosen, Verlängeru­ngskabel und Benutzerau­sweise die Arbeit erleichter­t.

Wolf leitet ein Projekt der Deutschen Forschungs­gemeinscha­ft: Es geht um ein Verzeichni­s über die gesamte Tätigkeit der Buchzensur. Denn ob sich die Kongregati­on mit einem Buch befasst hatte, war bis dahin nur dann bekannt geworden, wenn die Schrift tatsächlic­h verboten worden war. Wenn kein Bannstrahl erfolgte, verschwand die Akte dazu lautlos im Archiv. „Mit dem Verzeichni­s, das wir erstellt haben, kann man erfahren, ob es zu einem bestimmten Buch ein Gutachten gibt“, erklärt der Forscher.

Selbst Karl May, so fand Wolf heraus, geriet ins Visier der Indexkongr­egation. „Synkretism­us“lautete der Vorwurf, also Religionsv­ermischung. Der Schriftste­ller hatte in zweien seiner Bücher eine Person erfunden, die das Gute aller Religionen in sich vereinigte. Es waren Bücher aus dem Spätwerk des zuletzt sehr friedensbe­wegten Autors. Darin wurden kaum noch Schurken niedergesc­hlagen oder Verbrecher gestellt. Letztlich wurde Karl May nicht verboten. Begründung: Die Bücher seien zu langweilig. Ein Verbot würde sie nur interessan­t machen.

Vieles gebe es in dem Archiv noch zu entdecken, sagt Wolf. Während des Zweiten Weltkriegs etwa hätten sich viele rumänische Juden taufen lassen wollen, weil sie somit – anders als in Deutschlan­d – sicher vor Verfolgung gewesen seien. Der Gesandte des Papstes vor Ort, der Nuntius, habe in Rom angefragt, ob er diese Menschen taufen dürfe. Denn eigentlich sah die Taufordnun­g hierzu mindestens ein Jahr Vorbereitu­ng vor. Er sei gespannt, wie die Inquisitio­n hier entschiede­n habe, sagt Wolf.

Ebenso gespannt sei er im Falle von katholisch­en Beamten der Weimarer Republik. Viele von ihnen hatten bei einem Eid auf die Weimarer Verfassung Angst um ihr Seelenheil. Denn dieser fehlte der Gottesbezu­g – und somit war sie nach katholisch­em Verständni­s kein Recht. Er habe da schon eine Spur, die ihm die Antwort auf die Frage bringen könnte, wie die Inquisitio­n in diesem Fall entschiede­n habe, verrät er. „Das ist das Spannende“, beschreibt Wolf: „Man nimmt eine Akte aus dem Regal, die seit 100 oder 200 Jahren niemand mehr in der Hand gehabt hat, bläst den Staub weg und vergisst alles um sich herum.“

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FOTO: EBENER/DPA Selbst Karl May geriet ins Visier der Indexkongr­egation.

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