Gränzbote

Marquardt baut 87 Stellen in der Produktion ab

Jobabbau fällt doppelt so hoch wie angekündig­t aus – Mitarbeite­r sollen an andere Firmen vermittelt werden

- Von Matthias Jansen

- Die Firma Marquardt will bis Ende des Jahres 87 Mitarbeite­r loswerden. Das sind deutlich mehr als zunächst angekündig­t. Die Gründe für den Personalab­bau in den Werken in Rietheim und Böttingen sind zum einen der anhaltende Auftragsrü­ckgang. Zum anderen verlagert der Mechatroni­k-Spezialist die Produktion eines Autoschlüs­sels ins Ausland. Kurios: Von Betriebsra­t und Gewerkscha­ft gibt es für die Unternehme­nsführung auch lobende Worte.

Dass sich die Marquardt-Gruppe von Mitarbeite­rn in diesem Jahr trennen würde, stand schon länger fest. Im November 2022 hatte das Unternehme­n von bis zu 40 Mitarbeite­rn gesprochen, die in der Produktion nicht weiter beschäftig­t werden sollen. Es gebe, so erklärte Unternehme­nssprecher Ulrich Schumacher, bei den Kunden zwar einen hohen Bedarf nach den Marquardt-Produkten. Diese würden aber nicht abgerufen. „Mit Blick auf die Auslastung in den Werken Rietheim und Böttingen müssen wir von einem reduzierte­n Kundenbeda­rf ausgehen.“Dabei handele es sich nicht um einen vorübergeh­enden Nachfrager­ückgang. „Unsere mittelund langfristi­gen Vertriebsp­rognosen zeigen, dass die Stückzahle­n an den beiden Standorten von 2023 an insgesamt zurückgehe­n werden“, hatte Schumacher damals erklärt.

Antonio Piovano, Betriebsra­tsvorsitze­nder bei Marquardt, „tut der Personalab­bau weh“. Über den Abbau von Überstunde­n, Schließtag­en und Kurzarbeit habe man versucht, die Entscheidu­ng so lange wie möglich hinauszuzi­ehen. Damit habe man aber „nur einen kurzfristi­gen Effekt bei bestehende­n Überkapazi­täten in der Personalst­ruktur bewirkt“,

erklärt Schumacher. Letztlich hat Piovano durchaus Verständni­s für den Abbau – wenigstens aufgrund der wirtschaft­lichen Situation an den Standorten im Landkreis.

Kritische Worte findet er für die Entscheidu­ng, den Schlüssel für einen Mercedes in Rumänien produziere­n zu lassen. „Es ist richtig, dass sich die Marquardt-Gruppe weltweit gut aufstellt. Trotzdem finde ich die Entscheidu­ng sehr schade.“Klaus-Peter Manz, Zweiter Bevollmäch­tigter der IG Metall Albstadt, geht sogar davon aus, dass der Standort in Rietheim zwar erhalten bleibe, es dort aber irgendwann keine Produktion mehr gebe.

Immerhin: Für die Mitarbeite­r, die Marquardt verlassen sollen, scheinen Gewerkscha­ft und Betriebsra­t mit der Firma eine gute Lösung ausgehande­lt zu haben. „Das ist schon fair“, meint Piovano. Und auch Manz stellt klar: „Der Sozialplan ist in Ordnung.“Der Personalab­bau richtet sich dabei an zwei Gruppen von Mitarbeite­rn. Zum einen jene, die das Unternehme­n „freiwillig“verlassen. Zum anderen die, die älter als 63 sind und kurz vor dem Renteneint­ritt stehen.

Alle, die ihren Arbeitsver­trag mit Marquardt auflösen, bekommen eine Abfindung mit dem Faktor 0,7 – das bedeutet 70 Prozent eines Buttomonat­sverdienst­es

pro Beschäftig­ungsjahr. Manz hätte sich zwar den Faktor zwei oder drei gewünscht. Dies sei aber in der wirtschaft­lichen Lage nicht realistisc­h. Das Besondere an der Lösung ist: Wer das Angebot annimmt, wird ab Februar mit Bezügen freigestel­lt. In der Zeit könnte der Beschäftig­te bereits eine neue Stelle annehmen. „Sie hätten einen Job, würden verdienen und hätten die Abfindung“, sagt Manz. „Es ist ihnen nicht verboten, zu arbeiten.“Dies sei aufgrund des Mangels an Arbeitnehm­ern in der Region eine gute Lösung.

Wer 63 Jahre oder älter ist, kann bei dem Jobabbau früher in Rente gehen und hat zunächst einmal keine Einbußen. Denn, so Piovano, die Marquardt-Gruppe stockt das Arbeitslos­engeld bis zum bisherigen Lohn auf. Zudem wird es auch bei der Rente keine Einbußen geben. Bis zum Erreichen des jeweiligen Durchschni­ttsalters werde der Rietheimer Mechatroni­kspezialis­t die nicht eingezahlt­en Beiträge bei der Rentenvers­icherung ausgleiche­n. Piovano hofft, dass mehr Mitarbeite­r den vorzeitige­n Renteneint­ritt annehmen. „Ansonsten müssen mehr Mitarbeite­r freiwillig gehen“, sagt Piovano. Man sei aber bestrebt, eher die jüngeren Kollegen in der Firma zu halten.

Wer das Angebot annimmt, künftig nicht mehr für Marquardt in Böttingen und Rietheim zu arbeiten, ist noch nicht klar. Bis Ende nächster Woche laufen die Gespräche noch, meint der Betriebsra­tschef. Man habe sich aber bemüht, für die Mitarbeite­r eine Lösung zu finden. In dieser Woche gab es eine „Jobmesse“bei Marquardt, an der die Tuttlinger Unternehme­n Henke-Sass, Wolf, Binder und Karl Storz sowie ETO Magnetic aus Stockach teilgenomm­en haben. „Die Mitarbeite­r konnten zu den Unternehme­n gehen und sich erkundigen. Das kam bei den Kollegen gut an. Es freut mich besonders, dass jetzt auch ungelernte Monteure gesucht werden“, sagt Piovano.

Neue Arbeitskrä­fte sucht auch die Firma Marquardt. Allein am Standort in Rietheim gibt es mehr als 200 unbesetzte Stellen. Diese sollen aber nicht in der Produktion besetzt werden. Man wolle, so erklärte es Schumacher, am Stammsitz in die Zukunft investiere­n und sucht Ingenieure in der Entwicklun­g und angrenzend­en Bereichen. Im Landkreis Tuttlingen sind 2000 Personen bei Marquardt beschäftig­t, davon 350 in der Produktion, teilt das Unternehme­n mit.

 ?? FOTO: MARQUARDT ?? Unternehme­n im Wandel: Weil die Firma Marquardt am Stammsitz in Rietheim-Weilheim (oben) und in Böttingen auch künftig von zurückgehe­nden Stückzahle­n ausgehen muss, sollen 87 Mitarbeite­r, vornehmlic­h in der Produktion, entlassen werden.
FOTO: MARQUARDT Unternehme­n im Wandel: Weil die Firma Marquardt am Stammsitz in Rietheim-Weilheim (oben) und in Böttingen auch künftig von zurückgehe­nden Stückzahle­n ausgehen muss, sollen 87 Mitarbeite­r, vornehmlic­h in der Produktion, entlassen werden.

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