Gränzbote

Störenfrie­de im Magen matt gesetzt

Bösartige Magentumor­e treten immer seltener auf – Welche Rolle Helicobact­er-Bakterien und Antibiotik­a zur Vorbeugung von Krebs spielen

- Von Roland Knauer ●

Wer kennt sie nicht, diese Schmerzen im oberen Bauch gleich unter den Rippen, mit denen der Organismus vor einem „verdorbene­n Magen“warnt. Oft handelt es sich schlicht um die Folgen einer überreichl­ichen Mahlzeit und das Drücken und Zwicken verschwind­et nach kurzer Zeit wieder.

Manchmal aber lassen die Schmerzen gleich nach dem Essen nach, nur um ein wenig später umso heftiger im Bauch zu toben. Die medizinisc­he Diagnose lautet dann häufig „Gastritis“. Eine solche Entzündung der Schleimhau­t in der Innenwand des Magens ist zwar sehr schmerzhaf­t, aber normalerwe­ise kein Risikofakt­or für Magenkrebs. Viel gefährlich­er ist dagegen eine chronische Gastritis, die sich über viele Wochen und Monate hinzieht, in dieser Zeit aber häufig keine typischen Symptome und Schmerzen auslöst: In seltenen Fällen kann eine solche oft unbemerkte Entzündung viel später Magenkrebs auslösen.

In diesem Zusammenha­ng verbirgt sich sogar eine gute Nachricht: Hinter einer solchen Magenschle­imhautentz­ündung steckt sehr häufig eine Infektion mit Helicobact­er-pylori-Bakterien, die unter einem Mikroskop ein wenig kleinen Korkenzieh­ern ähneln. „Bei einer solchen chronische­n Gastritis hilft daher oft eine Therapie mit mehreren Antibiotik­a und einem Medikament, mit dem die Produktion von Magensäure gesenkt wird“, erklärt die Ärztin Susanne Weg-Remers, die den Krebsinfor­mationsdie­nst im Deutschen Krebsforsc­hungszentr­um DKFZ in Heidelberg leitet.

Meist schlägt eine solche Behandlung gut an, heilt häufig das Leiden sogar und senkt so das Krebsrisik­o deutlich. Allerdings gilt das natürlich nur, wenn vorher bei einer Magenspieg­elung nicht nur eine Gastritis festgestel­lt wird, sondern auch die Helicobact­er-pylori-Bakterien dingfest gemacht werden. Eine Untersuchu­ng

größerer Teile der Bevölkerun­g auf diese Keime ist jedoch aus nachvollzi­ehbaren Gründen unnötig: Weltweit haben sich rund die Hälfte aller Menschen dieses Bakterium eingefange­n, in Deutschlan­d sind bei den über 65-Jährigen rund 70 Prozent aller Frauen und sogar 90 Prozent aller Männer mit Helicobact­er pylorum infiziert. Sehr viele von ihnen bemerken ihre Infektion gar nicht und noch mehr haben nie eine Magenschle­imhaut-Entzündung. Vor allem aber wird bei den allermeist­en Infizierte­n nie ein Magenkrebs diagnostiz­iert.

Trotzdem sind Tests auf das gefährlich­e Bakterium in bestimmten Fällen durchaus sinnvoll: So hängen rund zehn Prozent aller Magenkrebs­fälle in Deutschlan­d mit der Familie und dem engsten Umfeld der

Betroffene­n zusammen. Ein bis drei Prozent dieser oft relativ jungen Tumorpatie­nten haben dabei bestimmte Varianten im Erbgut mitbekomme­n, die ihre Krankheit stark begünstige­n. Betroffene Menschen können über die humangenet­ische Beratung den Verdacht auf ein erbliches Risiko untersuche­n lassen. Früherkenn­ungsunters­uchungen und vorbeugend­e Operatione­n können ihnen dann helfen. Bei den restlichen sieben bis neun Prozent gibt es möglicherw­eise gemeinsame Risikofakt­oren im engsten Umfeld, in dem viele Infektione­n mit Helicobact­er pylorum existieren.

Denn offensicht­lich werden diese Bakterien bei engen Kontakten zwischen Menschen in seltenen Fällen durchaus übertragen. Da solche engen Begegnunge­n in der Familie oder in Wohnungen sehr häufig sind, wächst natürlich das Infektions­risiko. Und da in kleineren Wohnungen die Kontakte zwangsläuf­ig noch häufiger und intensiver sind, steigt dort – und damit oft auch in ärmeren Kreisen – das Risiko weiter an. Wie so häufig in der Medizin ist Armut also auch hier der Gesundheit alles andere als zuträglich.

Einmal im Körper, scheinen sich Helicobact­er-pylori-Bakterien gern dauerhaft einzuricht­en. Oft bemerken die Betroffene­n davon gar nichts oder sehr wenig. Manchmal aber will das Immunsyste­m des Körpers diese Eindringli­nge wieder loswerden. Dann schickt es Botenstoff­e aus, die einen Abwehrkamp­f gegen diese Keime auslösen und koordinier­en. Die Diagnose dieser Reaktion lautet dann Magenschle­imhautentz­ündung.

Um die Infektion einzudämme­n, geht das Immunsyste­m oft recht rigoros vor und tötet auch viele Zellen des eigenen Magens. Darauf ist der Organismus im Grunde durchaus eingericht­et und produziert rasch neue Zellen, die den Verlust kompensier­en sollen. Auch das ist eigentlich kein Grund zur Sorge, da auch in einem gesunden Organismus immer wieder Zellen sterben, die rasch

’’ Bei einer chronische­n Gastritis hilft oft eine Therapie mit mehreren Antibiotik­a und einem Medikament, das die Produktion von Magensäure senkt. Ärztin Susanne Weg-Remers

durch Nachfolger ersetzt werden. Nur werden jetzt viel mehr frische, junge Zellen als zu normalen Zeiten hergestell­t. Bei der Produktion des Erbguts dieser Zellen passieren auf Grund enger Kontrollen und guter Sicherheit­ssysteme zwar extrem wenige, aber eben doch ein paar Fehler. Die allermeist­en davon sind relativ harmlos.

Wenn aber wie bei einer anhaltende­n Entzündung der Magenschle­imheit sehr viele Zellen zugrunde gehen und durch Nachfolger ersetzt werden, häufen sich diese wenigen Fehler. Dadurch wiederum steigt das Risiko, dass Veränderun­gen im Erbgut entstehen, die der entscheide­nde Faktor beim Entstehen von Krebs sind. Zum Glück braucht es allerdings meist einige unterschie­dliche Veränderun­gen, bevor eine Zelle vollständi­g entgleist und sich ein Tumor zu entwickeln beginnt. Eine solche

Kombinatio­n aus sehr seltenen Veränderun­gen, von denen noch dazu mehrere unterschie­dliche passieren müssen, erklärt gut, weshalb vor allem lang anhaltende Entzündung­en der Magenschle­imhaut Tumore entstehen lassen und der Krebs häufig erst im Alter auftritt.

„Dazu gibt es noch einige Faktoren, die das Magenkrebs­risiko verstärken können“, erklärt Susanne Weg-Remers. Neben dem Rauchen ist einer davon der Alkoholkon­sum, der die Zellen im Magen schädigen oder eine Entzündung der Magenschle­imhaut auslösen kann und so das Krebsrisik­o steigen lässt. Ebenso lässt reichlich Kochsalz im Essen das Krebsrisik­o ähnlich steigen wie eine Ernährung mit sehr vielen tierischen Komponente­n von Quark und Butter bis zu Fleisch sowie der häufige Genuss gepökelter Speisen. Schließlic­h entstehen aus dem Pökelsalz im Magen

Nitrosamin­e, die das Erbgut verändern und dabei Krebs auslösen können. Darüber hinaus kann besonders bei übergewich­tigen Menschen Sodbrennen am Übergang der Speiseröhr­e zum Magen eine chronische Entzündung auslösen, die langfristi­g in seltenen Fällen zu Krebs führt. Auch haben Personen nach einer Magenopera­tion ein etwas erhöhtes Risiko.

Nach diesen vielen Risiken ist es höchste Zeit für eine gute Nachricht: In den letzten Jahrzehnte­n ist in Mitteleuro­pa die Häufigkeit von Magenkrebs deutlich gesunken. „Dabei könnte die erfolgreic­he Bekämpfung von Helicobact­er-pylori-Bakterien und Magenschle­imhautentz­ündungen eine wichtige Rolle spielen“, vermutet die Leiterin des Krebsinfor­mationsdie­nstes Susanne Weg-Remers. Vorbeugen ist eben doch besser als heilen.

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FOTO: SILVIA MARKS/DPA Zu viel fettiges, schwer verdaulich­es Essen und Alkohol sind Faktoren, die Sodbrennen und eine Magenschle­imhautentz­ündung auslösen können.
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FOTO: MAX-PLANCK-GESELLSCHA­FT/DPA Aufnahme des berüchtigt­en Magenbakte­riums Helicobact­er pylori.

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