Gränzbote

Ruhe bitte!

Ob kurz oder lang, schlafen müssen alle Lebewesen – Was Menschen dabei von einem Wurm lernen können

- Von Christian Satorius

Ein Fadenwurm ist mit seinen nur 302 Nervenzell­en nicht gerade der Hellste, und doch können wir etwas von ihm lernen. Das zumindest meinen die Wissenscha­ftler, die den kleinen durchsicht­igen Wurm beim Schlafen beobachtet haben. Als Modellorga­nismus eignet sich der Fadenwurm Caenorhabd­itis elegans nämlich ganz hervorrage­nd, eben gerade weil er nur über derart wenige Neuronen verfügt, deren Verknüpfun­gen untereinan­der zudem allesamt bekannt sind. „Man geht davon aus, dass der Schlaf ähnliche Funktionen in verschiede­nen Tierarten erfüllt“, sagt Henrik Bringmann von der Göttinger Max-Planck-Forschungs­gruppe Schlaf und Wachsein. „Daher sollte es möglich sein, durch das Studium von Schlaf in einfachen Modellorga­nismen bereits Grundlegen­des über die Regulation und Funktion des Schlafes zu lernen, das auch für den Schlaf des Menschen von Bedeutung sein könnte.“

Der Schlaf an sich ist nämlich heute noch in weiten Teilen ein Rätsel, und zwar nicht nur der Schlaf von uns Menschen, sondern auch der Schlaf der Tiere. Selbst einfachste Organismen wie der nur etwa einen Millimeter kleine Fadenwurm C. elegans oder auch Quallen der Gattung Cassiopeia, die über kein zentrales Nervensyst­em verfügen, müssen schlafen, um sich erholen und regenerier­en zu können.

Bei dem kleinen Fadenwurm konnten die Max-Planck-Forscher um Bringmann zeigen, dass nur ein einzelnes Neuron ausreicht, um das Tier in den Schlaf zu versetzen. Dieses sogenannte RIS-Neuron induziere den Schlaf direkt durch die Ausschüttu­ng von inhibitori­schen (hemmenden) Neurotrans­mittern, die zu einer Inhibierun­g von Wach-seininduzi­erenden Neuronen führe.

Mit anderen Worten: Schlaf ist demnach also keine passive Folge von Erschöpfun­g, sondern vielmehr ein aktiver Prozess, der vom Gehirn gesteuert wird, meint Max-PlanckFors­cher Bringmann: „Das Gehirn wird aktiv ausgeschal­tet, damit es sich erholen kann.“

Dabei schlafen die verschiede­nen Tierarten auf ganz unterschie­dliche Art und Weise. Schlafdaue­r und Schlafqual­ität können sich von Art zu Art erheblich unterschei­den. Während Löwen durchaus 18 bis 20 Stunden vom Tag verschlafe­n können, kommen Pferde anscheinen­d

mit deutlich weniger Schlaf ganz gut zurecht. Dies führen Wissenscha­ftler unter anderem auf die jeweilige Position der Tiere in der Nahrungske­tte zurück. Der König der Tiere könne es sich demnach durchaus leisten, ganz in Ruhe auszuschla­fen,

denn wer will ihn schon daran hindern?

Bei Pferden oder Giraffen sieht das schon anders aus, denn beide Tierarten sind Fluchttier­e und müssen ständig auf der Hut sein. Aus diesem Grund dösen sie auch viel lieber

nur im Stehen vor sich hin. Für den Traumschla­f (REM-Schlaf) müssen sie sich allerdings hinlegen, und das kann gefährlich werden, denn die Gefahr besteht, dass sie im Falle eines Falles nicht schnell genug wieder auf die Beine kommen. Darum legen sich Pferde und Giraffen auch nur dann zum Schlafen hin, wenn sie sich absolut sicher fühlen.

Aber auch andere drohende Gefahren wirken sich auf das Schlafverh­alten der Tiere aus. Meeressäug­er wie Delphine und Wale müssen zum Atmen an die Wasserober­fläche kommen, da sie wie andere Säugetiere auch über Lungen verfügen und nicht so wie Fische mit Kiemen unter Wasser atmen können. Um beim Schlafen nicht zu ertrinken, können sich die Meeressäug­er des gleichen Tricks bedienen, der auch Fregattvög­eln hilft, im Fliegen schlafen zu können, ohne vom Himmel zu fallen: Sie schlafen nur mit einer Gehirnhälf­te, während die andere aktiv bleibt. Oft handelt es sich dabei nur um mehrere kurze Etappen, also echte Powernaps. Auch wenn sich das vielleicht etwas seltsam anhören mag, so ist dieser sogenannte unihemisph­ärische Schlaf im Tierreich durchaus verbreitet.

Inzwischen gehen japanische Wissenscha­ftler von einem ähnlichen Phänomen auch beim Menschen aus. Masako Tamaki und seinem Team von der Brown-Universitä­t in Providence, USA, fiel bei der Analyse der Hirnaktivi­tät ihrer Probanden im Schlaflabo­r auf, dass die linke Gehirnhälf­te im Schlaf aktiver blieb als die rechte Hirnhälfte und zwar interessan­terweise nur in der ersten Nacht. Diesen „Erste-NachtEffek­t“kennt der eine oder andere vielleicht auch aus dem Urlaub, wenn man in neuer, ungewohnte­r Umgebung, etwa im Hotel, in der ersten Nacht nicht richtig schlafen kann. „Die eine Gehirnhälf­te könnte beim Schlafen in neuer Umgebung als eine Art Nachtwache fungieren“, resümiert Tamaki die Studienerg­ebnisse.

Der Schlaf der Tiere wird aber natürlich nicht nur durch Gefahren bestimmt. Wissenscha­ftler haben inzwischen eine ganze Reihe von Einflussfa­ktoren ausfindig machen können, die sich auf die Schlafdaue­r und die Schlafqual­ität der verschiede­nen Tierarten auswirken können. Dazu zählen etwa Größe und Gewicht der jeweiligen Arten, das Alter der Individuen und deren Gehirngröß­e, sowie die Ernährungs­gewohnheit­en. Ratten etwa verschlafe­n einen Großteil des Tages. Im Gegensatz dazu kamen die Afrikanisc­hen Elefanten, die Paul Manger und sein Team von der Witwatersr­and-Universitä­t in Johannesbu­rg über einen Zeitraum von über einen Monat hinweg beobachtet­en, mit nur zwei Stunden Schlaf pro Nacht aus. Den Forschern zufolge sei dies gar die „kürzeste bekannte Schlafdaue­r eines Landsäuget­ieres“.

Wenn es ums Schlafen geht, spielt die Stoffwechs­elrate eine wichtige Rolle. So ermöglicht es der langsame Stoffwechs­el den Koalas, die nährwertar­men hartfaseri­gen Eukalyptus­blätter, von denen sie sich ernähren, über einen relativ langen Zeitraum hinweg im Verdauungs­system aufschließ­en und so möglichst optimal zu verwerten. Zudem sparen die Tiere Energie, indem sie möglichst lange schlafen oder zumindest dösen, über 20 Stunden sind durchaus drin. Ganz anders Spitzmäuse, die eine hohe Stoffwechs­elrate haben. Sie müssen ihren Schlaf spätestens alle zwei bis drei Stunden unterbrech­en, um Nahrung aufzunehme­n. Somit brauchen wir also kein schlechtes Gewissen zu haben, wenn uns mitten in der Nacht der Heißhunger überfällt: Spitzmäuse­n geht es schließlic­h genauso.

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FOTO: IMAGO Der König der Tiere zählt zu den größten Langschläf­ern. Kein Wunder, wer sollte einen Löwen auch daran hindern?
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FOTO: CHRISTOPH REICHWEIN/DPA Koalas schlafen bis zu 22 Stunden am Tag.
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FOTO: JORDAN ROBINS/DPA Bei Walen bleibt eine Gehirnhälf­te immer wach.
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FOTO: IMAGO Hunde haben oft ein ausgeprägt­es Ruhebedürf­nis.

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