Ruhe bitte!
Ob kurz oder lang, schlafen müssen alle Lebewesen – Was Menschen dabei von einem Wurm lernen können
Ein Fadenwurm ist mit seinen nur 302 Nervenzellen nicht gerade der Hellste, und doch können wir etwas von ihm lernen. Das zumindest meinen die Wissenschaftler, die den kleinen durchsichtigen Wurm beim Schlafen beobachtet haben. Als Modellorganismus eignet sich der Fadenwurm Caenorhabditis elegans nämlich ganz hervorragend, eben gerade weil er nur über derart wenige Neuronen verfügt, deren Verknüpfungen untereinander zudem allesamt bekannt sind. „Man geht davon aus, dass der Schlaf ähnliche Funktionen in verschiedenen Tierarten erfüllt“, sagt Henrik Bringmann von der Göttinger Max-Planck-Forschungsgruppe Schlaf und Wachsein. „Daher sollte es möglich sein, durch das Studium von Schlaf in einfachen Modellorganismen bereits Grundlegendes über die Regulation und Funktion des Schlafes zu lernen, das auch für den Schlaf des Menschen von Bedeutung sein könnte.“
Der Schlaf an sich ist nämlich heute noch in weiten Teilen ein Rätsel, und zwar nicht nur der Schlaf von uns Menschen, sondern auch der Schlaf der Tiere. Selbst einfachste Organismen wie der nur etwa einen Millimeter kleine Fadenwurm C. elegans oder auch Quallen der Gattung Cassiopeia, die über kein zentrales Nervensystem verfügen, müssen schlafen, um sich erholen und regenerieren zu können.
Bei dem kleinen Fadenwurm konnten die Max-Planck-Forscher um Bringmann zeigen, dass nur ein einzelnes Neuron ausreicht, um das Tier in den Schlaf zu versetzen. Dieses sogenannte RIS-Neuron induziere den Schlaf direkt durch die Ausschüttung von inhibitorischen (hemmenden) Neurotransmittern, die zu einer Inhibierung von Wach-seininduzierenden Neuronen führe.
Mit anderen Worten: Schlaf ist demnach also keine passive Folge von Erschöpfung, sondern vielmehr ein aktiver Prozess, der vom Gehirn gesteuert wird, meint Max-PlanckForscher Bringmann: „Das Gehirn wird aktiv ausgeschaltet, damit es sich erholen kann.“
Dabei schlafen die verschiedenen Tierarten auf ganz unterschiedliche Art und Weise. Schlafdauer und Schlafqualität können sich von Art zu Art erheblich unterscheiden. Während Löwen durchaus 18 bis 20 Stunden vom Tag verschlafen können, kommen Pferde anscheinend
mit deutlich weniger Schlaf ganz gut zurecht. Dies führen Wissenschaftler unter anderem auf die jeweilige Position der Tiere in der Nahrungskette zurück. Der König der Tiere könne es sich demnach durchaus leisten, ganz in Ruhe auszuschlafen,
denn wer will ihn schon daran hindern?
Bei Pferden oder Giraffen sieht das schon anders aus, denn beide Tierarten sind Fluchttiere und müssen ständig auf der Hut sein. Aus diesem Grund dösen sie auch viel lieber
nur im Stehen vor sich hin. Für den Traumschlaf (REM-Schlaf) müssen sie sich allerdings hinlegen, und das kann gefährlich werden, denn die Gefahr besteht, dass sie im Falle eines Falles nicht schnell genug wieder auf die Beine kommen. Darum legen sich Pferde und Giraffen auch nur dann zum Schlafen hin, wenn sie sich absolut sicher fühlen.
Aber auch andere drohende Gefahren wirken sich auf das Schlafverhalten der Tiere aus. Meeressäuger wie Delphine und Wale müssen zum Atmen an die Wasseroberfläche kommen, da sie wie andere Säugetiere auch über Lungen verfügen und nicht so wie Fische mit Kiemen unter Wasser atmen können. Um beim Schlafen nicht zu ertrinken, können sich die Meeressäuger des gleichen Tricks bedienen, der auch Fregattvögeln hilft, im Fliegen schlafen zu können, ohne vom Himmel zu fallen: Sie schlafen nur mit einer Gehirnhälfte, während die andere aktiv bleibt. Oft handelt es sich dabei nur um mehrere kurze Etappen, also echte Powernaps. Auch wenn sich das vielleicht etwas seltsam anhören mag, so ist dieser sogenannte unihemisphärische Schlaf im Tierreich durchaus verbreitet.
Inzwischen gehen japanische Wissenschaftler von einem ähnlichen Phänomen auch beim Menschen aus. Masako Tamaki und seinem Team von der Brown-Universität in Providence, USA, fiel bei der Analyse der Hirnaktivität ihrer Probanden im Schlaflabor auf, dass die linke Gehirnhälfte im Schlaf aktiver blieb als die rechte Hirnhälfte und zwar interessanterweise nur in der ersten Nacht. Diesen „Erste-NachtEffekt“kennt der eine oder andere vielleicht auch aus dem Urlaub, wenn man in neuer, ungewohnter Umgebung, etwa im Hotel, in der ersten Nacht nicht richtig schlafen kann. „Die eine Gehirnhälfte könnte beim Schlafen in neuer Umgebung als eine Art Nachtwache fungieren“, resümiert Tamaki die Studienergebnisse.
Der Schlaf der Tiere wird aber natürlich nicht nur durch Gefahren bestimmt. Wissenschaftler haben inzwischen eine ganze Reihe von Einflussfaktoren ausfindig machen können, die sich auf die Schlafdauer und die Schlafqualität der verschiedenen Tierarten auswirken können. Dazu zählen etwa Größe und Gewicht der jeweiligen Arten, das Alter der Individuen und deren Gehirngröße, sowie die Ernährungsgewohnheiten. Ratten etwa verschlafen einen Großteil des Tages. Im Gegensatz dazu kamen die Afrikanischen Elefanten, die Paul Manger und sein Team von der Witwatersrand-Universität in Johannesburg über einen Zeitraum von über einen Monat hinweg beobachteten, mit nur zwei Stunden Schlaf pro Nacht aus. Den Forschern zufolge sei dies gar die „kürzeste bekannte Schlafdauer eines Landsäugetieres“.
Wenn es ums Schlafen geht, spielt die Stoffwechselrate eine wichtige Rolle. So ermöglicht es der langsame Stoffwechsel den Koalas, die nährwertarmen hartfaserigen Eukalyptusblätter, von denen sie sich ernähren, über einen relativ langen Zeitraum hinweg im Verdauungssystem aufschließen und so möglichst optimal zu verwerten. Zudem sparen die Tiere Energie, indem sie möglichst lange schlafen oder zumindest dösen, über 20 Stunden sind durchaus drin. Ganz anders Spitzmäuse, die eine hohe Stoffwechselrate haben. Sie müssen ihren Schlaf spätestens alle zwei bis drei Stunden unterbrechen, um Nahrung aufzunehmen. Somit brauchen wir also kein schlechtes Gewissen zu haben, wenn uns mitten in der Nacht der Heißhunger überfällt: Spitzmäusen geht es schließlich genauso.