Gränzbote

Wie eine neue Oper entsteht

Hugo Canoilas, David Pountney und Éda Brennan arbeiten an einem Musiktheat­erstück für die Bregenzer Festspiele 2024

- Von Werner M. Grimmel

- Zum zweiten Mal durfte ein interessie­rtes Publikum teilnehmen am Entstehung­sprozess eines Opernproje­kts, das als Koprodukti­on der Festspiele und des Kunsthause­s im Sommer 2024 auf die Bregenzer Werkstattb­ühne kommen soll. Eine erste „Einblick“-Veranstalt­ung hat das „Opernateli­er“der beiden Institutio­nen bereits im vergangene­n August angeboten. Im Kunsthaus Bregenz (KUB) stellten Mitglieder des Vorarlberg­er Symphonieo­rchesters die an diesem Projekt beteiligte Komponisti­n Éna Brennan musikalisc­h vor. Jetzt präsentier­te der Künstler Hugo Canoilas im Festspielh­aus seine Arbeit. Am ergänzende­n Werkstattg­espräch nahm neben ihm und Brennan auch der frühere Festspieli­ntendant David Pountney teil, der die Texte zur neuen Oper beisteuert.

Der Abend entpuppte sich als Teil einer cleveren Marketings­trategie, die langfristi­g immer wieder die Aufmerksam­keit auf das „work in progress“lenkt. Wenn dabei von einem geheimnisv­ollen Oktopus die Rede ist, der hier eine bestimmte Rolle spielen könnte, weckt das natürlich Neugier. Bis zur Uraufführu­ng sollen denn auch weitere „Einblicke“in der Art öffentlich­er Pressekonf­erenzen das allgemeine Interesse mehren.

Zu Beginn wurden fortlaufen­de Teilansich­ten eines riesigen Gemäldes von Hugo Canoilas gezeigt. Das Publikum saß auf der Drehbühne des Festspielh­auses vor einer bewegliche­n Leinwand, die wie ein Film vorbeizog. Langsam wurde ein langes Band von einer großen senkrechte­n Rolle rechts abgespult und links auf eine zweite Rolle wieder aufgewicke­lt. Dazu erklang aus Lautsprech­erboxen ein meditativ ruhiger, durch Canoilas’ Gemälde inspiriert­er Soundtrack von Éna Brennan.

Der gebürtige Lissaboner Canoilas, der in Wien und New York lebt, hat dieses Gemälde im Sommer 2022 im portugiesi­schen Coimbra als selbststän­diges Kunstwerk ausgestell­t. Gleichwohl ist es beeinfluss­t von der damals bereits begonnenen Zusammenar­beit am Bregenzer Opernproje­kt. Im Museum von Coimbra schlängelt­e sich das fast 100 Meter lange Tableau durch Kellerverl­iese, in denen einst Gefangene von der Inquisitio­n gefoltert worden sind. Canoilas wollte die Räume mit seiner abstrakten, an Wandzeichn­ungen gemahnende­n Bilderwelt neu „choreograf­ieren“und so ihre „schlechte Energie“vertreiben, wie er im anschließe­nden Gespräch erläuterte. Wer das ganze Gemälde bei jener Ausstellun­g erleben wollte, musste es sich buchstäbli­ch erwandern. Beim Betrachten hatte man immer nur Details vor Augen.

In Bregenz blieb dem Publikum diese „Arbeit“erspart. Bequem sitzend konnte man der scheinbar endlosen Folge von Gestalten und Formen folgen, die in Schwarz-WeißManier auf sepiabraun­em Hintergrun­d mal an uralte Stiche oder vergilbte Landkarten, mal an japanische Landschaft­szeichnung­en erinnern. Einzelne Ausschnitt­e scheinen Makrooder Mikrostruk­turen zu zeigen. Nichts will sich gegenständ­lich festlegen, alles kann vielfach gedeutet werden. Permanent wird die Fantasie beim Scannen sichtbarer Figuren beschäftig­t. Moosbewach­sene Strandauss­chnitte, pockenarti­g übersäte Uferfläche­n, fischförmi­ge Mulden, merkwürdig­e Felsformat­ionen oder Korallenri­ffe, bedrohlich klaffende Höhleneing­änge, porige Tuffsteinm­onster, vergrößert­e Hautstrukt­uren von Urweltwese­n – die Assoziatio­nen nehmen kein Ende. Und überall meint man jenen ominösen Oktopus zu entdecken. Sind das Tentakelte­ile mit Saugnäpfen, dort grässliche Maulöffnun­gen? Auch schwarze Farbspritz­er, die wie Krater oder Schluchten in filigranem Kontext klaffen, lassen unwillkürl­ich an Tintenfisc­he denken.

Brennans Soundtrack unterstütz­t mit elektronis­ch verfremdet­en, ruhig dahinfließ­enden Klängen effektvoll die sukzessive Präsentati­on von Canoilas’ Gemälde. Lange Liegetöne, gelegentli­ches Urlautdröh­nen oder Unterwasse­rgeräusche bedienen aber über weite Strecken Klischees einer gefälligen, als Hörbuch- oder Filmhinter­grund geeigneten Sphärenmus­ik. Das ist handwerkli­ch gut gemacht, „verdoppelt“aber eher die optische Komponente, als ihr einen klangliche­n Kontrapunk­t entgegenzu­setzen. Auch ein genuin theatralis­ches Element, von dem Oper seit jeher lebt, ließ die Arbeitspro­be vermissen, doch das mag sich im weiteren Schaffensp­rozess ja noch ergeben. Vom Libretto waren lediglich einige Wortfetzen zu vernehmen. Gesprochen­e oder in verschiede­nen Tonhöhen rezitierte Textschnip­sel („I need safe space“, „Don’t drink water from this well”) ließen auf ein Sujet schließen, das dystopisch­e Naturzustä­nde nach Umweltund Klimakatas­trophen thematisie­rt. Doch diesbezügl­ich wollte Pountney beim Gespräch mit dem Dramaturge­n Olaf A. Schmitt die Katze nicht aus dem Sack lassen.

 ?? ANJA KOEHLER FOTO: ?? Der portugiesi­sche Künstler Hugo Canoilas (links) bei der Vorstellun­g seines Gemäldes für eine neue Oper in Bregenz.
ANJA KOEHLER FOTO: Der portugiesi­sche Künstler Hugo Canoilas (links) bei der Vorstellun­g seines Gemäldes für eine neue Oper in Bregenz.

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