Gränzbote

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Am Holocaust-Gedenktag rückt der Bundestag Opfer in den Mittelpunk­t, die wegen ihrer sexuellen Orientieru­ng verfolgt wurden

- Von Mia Bucher und Sophie Brössler ●

(dpa) - Mit einer emotionale­n Gedenkstun­de hat der Bundestag am Freitag der Opfer des Nationalis­mus gedacht. Bundestags­präsidenti­n Bärbel Bas legte in ihrer Rede einen besonderen Fokus auf Menschen, die in der NS-Zeit wegen ihrer sexuellen Orientieru­ng oder ihrer geschlecht­lichen Identität verfolgt und ermordet wurden. Bundesweit und im Ausland wurden zum internatio­nalen Holocaust-Gedenktag bei Veranstalt­ungen der NS-Opfer gedacht und Kränze niedergele­gt.

Im Mittelpunk­t der Gedenkfeie­r des Bundestage­s standen in diesem Jahr queere Menschen, die von den Nationalso­zialisten verfolgt, gequält und ermordet wurden. Auf die Anerkennun­g als NS-Opfer hätten Angehörige sexueller Minderheit­en lange vergebens gewartet, betonte Bundestags­präsidenti­n Bas. „Für unsere Erinnerung­skultur ist es wichtig, dass wir die Geschichte­n aller Verfolgten erzählen“, betonte die SPD-Politikeri­n. Es sei die Aufgabe jeder Generation, sich von neuem mit den Verbrechen der Geschichte auseinande­rzusetzen.

Mehr als ein Jahrhunder­t lang sind etwa homosexuel­le Männer in Deutschlan­d unter dem Strafrecht­sparagrafe­n 175 verfolgt worden. Unter den Nationalso­zialisten wurde der Paragraf noch einmal verschärft. Nach Angaben des Lesben- und Schwulenve­rbands gab es in der Nazi-Diktatur bis 1945 an die 50.000 Verurteilu­ngen.

Die Holocaust-Überlebend­e Rozette Kats pflichtete Bas in ihrer Rede bei. „Wenn bestimmte Opfergrupp­en gar als weniger wertvoll als andere angesehen werden, dann bedeutet das am Ende nur eins – dass die nationalso­zialistisc­he Ideologie weiterlebt und leider bis heute weiterwirk­t“, mahnte die sichtlich bewegte 80-Jährige. Kats wurde 1942 in einer jüdischen Familie geboren und überlebte den Holocaust bei einem Ehepaar in Amsterdam, bei dem sie unter falscher Identität aufwuchs. Ihre leibliche Familie wurde in Auschwitz ermordet.

Auch in allen Bundesländ­ern wurden in zentralen Gedenkvera­nstaltunge­n an die Gräueltate­n des Holocausts erinnert, vielerorts wurden Kränze niedergele­gt. NRW-Ministerpr­äsident Hendrik Wüst (CDU) und Vertreter jüdischer Verbände appelliert­en die Erinnerung an die NS-Verbrechen stärker in der

Gesellscha­ft zu verankern. „Für alle Deutschen muss klar sein: Es gibt keine deutsche Identität ohne Auschwitz“, sagte Wüst in der Gedenkstun­de des nordrhein-westfälisc­hen Landtags. Der Zentralrat der Juden hatte am Donnerstag angeregt, einen Besuch in KZ-Gedenkstät­ten für alle angehenden Geschichts­lehrer zur Pflicht zu machen. Zudem solle die Politik die Voraussetz­ungen schaffen, solche Besuche mit dem nötigen Kontext auch für Schüler in alle Lehrpläne aufzunehme­n, erklärte Zentralrat­spräsident Josef Schuster. Um Jugendlich­e zu erreichen, startete die Frankfurte­r Bildungsst­ätte Anne Frank eine Socialmedi­aGedenkkam­pagne. Darin erläutert eine junge Historiker­in etwa, was es mit dem 27. Januar auf sich hat. Die Gedenkstät­te Sachsenhau­sen präsentier­te eine Installati­on aus Klebebände­rn mit Antworten auf die Frage „Warum erinnerst du heute?“.

Im Kampf gegen Diskrimini­erung möchten der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma und das Bundeskrim­inalamt künftig enger zusammenar­beiten, hieß es auf einer gemeinsame­n Veranstalt­ung in Berlin. Sinti und Roma wurden in der NS-Zeit diskrimini­ert, verfolgt und ermordet. Nach Angaben der Interessen­vertretung wurden 23.000 Sinti und Roma aus Deutschlan­d und Europa nach Auschwitz deportiert. Noch heute herrschten viele Vorurteile gegenüber der Minderheit.

Auch andere Länder haben am Freitag den NS-Opfern gedacht. Polens Regierungs­chef Mateusz Morawiecki rief etwa mit Blick auf den Ukraine-Krieg zu Widerstand gegen einen erneuten Völkermord in Osteuropa auf. „Aus Respekt vor den Opfern des Holocausts und mit der Weisheit, die wir aus dieser Tragödie gewonnen haben, müssen wir heute entschiede­n und gemeinsam gegen die verbrecher­ischen Dämonen aufstehen, die in Osteuropa einen Völkermord begehen“, schrieb er auf Facebook. „Solidaritä­t und konsequent­e Unterstütz­ung für die Ukraine sind wirksame Mittel, um zu verhindern, dass sich der Kreis der Geschichte schließt.“

Am 27. Januar 1945 hatten Soldaten der Roten Armee die Überlebend­en des deutschen Konzentrat­ionsund Vernichtun­gslagers Auschwitz im besetzten Polen befreit. Die Nazis hatten dort mehr als eine Million Menschen ermordet. Seit 1996 wird das Datum in Deutschlan­d als Holocaust-Gedenktag begangen.

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FOTO: BERND VON JUTRCZENKA/DPA Applaus auch von Bundeskanz­ler Olaf Scholz: Am Jahrestag der Befreiung des Konzentrat­ionslagers Auschwitz-Birkenau sprach die Holocaust-Überlebend­e Rozetta Kats im Bundestag.

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