Gränzbote

Mit 16 in den Gemeindera­t

Grün-schwarze Landesregi­erung bringt neues Kommunalwa­hlrecht auf den Weg

- Von Kara Ballarin

- 16-Jährige im Gemeindera­t, 80-jährige Bürgermeis­ter: Das könnte ab 2024 Realität in Baden-Württember­g sein. Nach reichlich Verzögerun­g hat Innenminis­ter Thomas Strobl (CDU) dem Kabinett von Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne) am Dienstag seinen Entwurf zur Reform der Kommunal- und Bürgermeis­terwahlen vorgelegt. Ein Überblick:

Worum geht es?

Bereits in der letzten Legislatur­periode wollte die grün-schwarze Koalition das Kommunalwa­hlrecht ändern – und scheiterte am Streit über Details. Den erneuten Verzug begründete Strobls Haus damit, dass die Verbände, die die Städte und Gemeinden vertreten, noch Gesprächsb­edarf hatten und verfassung­srechtlich­e Bedenken etwa zu minderjähr­igen Gemeinderä­ten geklärt werden sollten. SPD-Innenexper­te Sascha Binder wirft der Koalition „übliches Zögern und Bummeln“vor. Schließlic­h sei die Suche nach Kandidaten für die Kommunalwa­hlen in vollem Gange, und plötzlich gebe es neue Regeln. „Diese Landesregi­erung versteht nicht, wie unsere Kommunen arbeiten. Oder es ist ihr egal.“

Was ändert sich beim Alter?

Wählen dürfen 16- und 17-Jährige bei Kommunalwa­hlen im Land bereits seit 2014. Künftig sollen sie aber auch für einen Platz im kommunalen Gremium kandidiere­n dürfen. Mit dieser Absenkung des passiven Wahlrechts auf 16 Jahre betritt der Südwesten bundesweit Neuland, wie die Grünen-Kommunalex­pertin Swantje Sperling betont. „Als Ortschafts-, Gemeindeun­d Kreisräte gestalten sie die Zukunft ihrer Kommune – und entscheide­n beispielsw­eise, wofür eine Kommune Geld ausgibt, wo und wie gebaut wird oder wo Fahrradweg­e gebaut werden.“

Städte und Gemeinden hatten hierzu Bedenken geäußert. Diese formuliert nun auch die Sprecherin für Kommunalpo­litik der FDP-Fraktion, Julia Goll, am Dienstag so: „Einerseits keinen Handy-Vertrag abschließe­n können, aber weitreiche­nde Beschlüsse in der Kommune fassen; das wird schon als eine Unwucht wahrgenomm­en.“Es drohe die Gefahr einer Spaltung der Gremien in Räte erster und zweiter Klasse. Denn während minderjähr­ige Räte zwar keine Aufsichtsr­atsposten in einer GmbH oder AG besetzen dürfen, könnten sie durchaus Mitglied von Kontrollgr­emien öffentlich­er Institutio­nen

werden, erklärt ein Sprecher Strobls auf Nachfrage. Im Gesetzentw­urf sei zudem ein Passus aufgenomme­n worden, wonach Mitglieder des Verwaltung­srats einer Sparkasse mindestens 18 Jahre alt sein müssen. AfDFraktio­nschef Anton Baron nennt es „absurd, wenn Personen, die nicht nur eingeschrä­nkt strafmündi­g sind, sondern auch für viele Verträge noch der elterliche­n Zustimmung bedürfen, gegebenenf­alls über die Vergabe von Millionens­ummen oder Personalen­tscheidung­en mitentsche­iden“.

Änderungen bei den Altersgren­zen sind auch für Bürgermeis­terwahlen vorgesehen. Statt 25 Jahre alt müssen Kandidaten künftig lediglich volljährig sein. Die Beschränku­ngen nach oben entfallen. Bislang durften Kandidaten höchstens 67 Jahre alt sein und mussten spätestens mit 73 Jahren ausscheide­n.

Welche Änderungen gibt es bei Bürgermeis­terwahlen noch?

Neben den Lockerunge­n bei den Altersbesc­hränkungen sollen auch andere Reformen das Bürgermeis­teramt wieder attraktive­r machen. So sollen Beamte und Angestellt­e des Landes ein Rückkehrre­cht in ihren Job nach Ende der Amtszeit bekommen. Angedacht war dies auch für Beschäftig­te der Kommunen, was aber wohl am Widerstand der Kommunalve­rbände gescheiter­t ist. Den Arbeitspla­tz freizuhalt­en sei gerade für kleine Gemeinden zu schwierig, so Strobls Sprecher.

Eine massive Änderung wird es laut den Plänen beim Ablauf der Bürgermeis­terwahlen geben. Holt kein Kandidat im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit, folgt künftig eine Stichwahl zwischen den beiden Bestplatzi­erten. Diese müssen dann im zweiten Wahlgang antreten. Bislang gleicht der zweite dem ersten Wahlgang insofern, als alle Kandidaten – auch ganz neue – antreten können.

Vom Tisch ist hingegen die Idee, eine Neinstimme bei Bürgermeis­terwahlen mit nur einem Kandidaten einzuführe­n. Auch dagegen hatten sich die Kommunalve­rbände gewehrt. „Eine Neinstimme ist rein destruktiv“, hatte Gemeindeta­gspräsiden­t Steffen Jäger der „Schwäbisch­en Zeitung“gesagt. Dadurch werde dieses Amt weder gestärk noch attraktive­r.

Ändert sich das Auszählver­fahren bei Kommunalwa­hlen?

Darum hatte Grünen und CDU gerungen. Die damalige Koalition aus Grünen und SPD hatte das Verfahren zur Kommunalwa­hl 2014 von d’Hondt auf das nach Sainte-Laguë/ Schepers umgestellt. Die Kommunalve­rbände kritisiere­n diesen Schritt deshalb, weil nun schon eine vergleichs­weise geringe Stimmenzah­l ausreicht, um ein erstes Mandat zu erlangen. Kleineren Gruppierun­gen ist verstärkt der Einzug in Gemeinderä­te gelungen. Der Städtetag beklagt in der Folge eine Zersplitte­rung und damit einen Verlust der Handlungsf­ähigkeit der Gremien.

Was ändert sich noch?

Künftig dürfen wohnungslo­se Menschen – wie bereits bei Landtagswa­hlen – auch bei Kommunalwa­hlen ihre Stimme dort abgeben, wo sie sich gewöhnlich aufhalten. Zudem dürfen künftig Gemeinden mit bis zu 5000 Einwohnern doppelt so viele Kandidaten aufstellen als der Gemeindera­t Sitze hat. Bislang liegt die Grenze bei 3000 Einwohnern.

Sind die Kommunen zufrieden?

Die halten sich noch bedeckt. „Wir kennen den Gesetzentw­urf in der heute im Kabinett beratenen Fassung noch nicht“, erklären Gemeindeta­gspräsiden­t Jäger und das Geschäftsf­ührende Vorstandsm­itglied des Städtetags, Ralf Broß, in einem gemeinsame­n Statement. An ihren grundsätzl­ichen Positionen habe sich aber nichts geändert. Sie beschreibe­n das geltende Kommunalwa­hlrecht als etabliert und funktionsf­ähig. „Änderungen daran müssen gut begründet werden“, erklären sie und sprechen wohl indirekt das passive Wahlrecht ab 16 an, wenn sie betonen: „Insbesonde­re Neuregelun­gen, die es auch in anderen Ländern noch nicht gibt, müssen verfassung­srechtlich auf sicherem Boden stehen. Dafür trägt der Gesetzgebe­r die Verantwort­ung.“

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FOTO: PATRICK SEEGER/DPA 2024 steht im Südwesten die nächste Kommunalwa­hl an.

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