Gränzbote

Tanz auf zwei Hochzeiten

Innenminis­terin Faeser will wohl auch als SPD-Spitzenkan­didatin in Hessen antreten – Grüne gegen Doppelroll­e

- Von Anne-Beatrice Clasmann und Andrea Löbbecke

(dpa) - Wenige Tage vor der Entscheidu­ng über die SPD-Spitzenkan­didatur in Hessen nimmt die Debatte über eine mögliche Doppelroll­e von Bundesinne­nministeri­n Nancy Faeser Fahrt auf. Die SPD-Politikeri­n selbst hat auf die Frage, ob sie bei der Landtagswa­hl im Herbst dieses Jahres antreten wird, in den vergangene­n Monaten zwar eine klare Antwort vermieden. In Koalitions­kreisen geht man dennoch schon etwas länger davon aus, dass sie in ihrem Heimatbund­esland kandidiere­n und zumindest während des Wahlkampfe­s erst einmal Bundesinne­nministeri­n bleiben wird.

An diesem Freitag soll sich Faeser, die auch hessische SPD-Vorsitzend­e ist, in Friedewald beim Hessen-Gipfel der SPD zu ihren Plänen erklären – auch zu einer möglichen Spitzenkan­didatur zur Landtagswa­hl am 8. Oktober. Vor allem bei Politikern der Parteien, die sich in Hessen ebenfalls Chancen auf die Staatskanz­lei ausrechnen, kommt eine mögliche Doppelroll­e nicht gut an. Nachdem die „Süddeutsch­e Zeitung“berichtet hatte, Faeser habe sich mit Bundeskanz­ler Olaf Scholz (SPD) darauf verständig­t, dass sie im Fall einer SPD-Spitzenkan­didatur in Hessen erst einmal Bundesinne­nministeri­n bleiben werde, hagelt es Kritik.

„In diesen herausford­ernden Zeiten, wo in Europa Krieg herrscht, wo die Sicherheit­sbehörden mit ,Reichsbürg­ern’, Rechtsextr­emisten und vereitelte­n Terroransc­hlägen alle

Hände voll zu tun haben, wäre es unverantwo­rtlich, neben einem Wahlkampf auch das Innenminis­terium führen zu wollen“, sagte der innenpolit­ische Sprecher der Unionsfrak­tion, Alexander Throm (CDU), am Dienstag. Und: „Deshalb fordere ich sie, wenn sie Spitzenkan­didatin wird, zum Rücktritt auf.“

In Hessen sind die Sozialdemo­kraten seit 1999 in der Opposition. Die Christdemo­kraten gehen mit dem amtierende­n Ministerpr­äsidenten Boris Rhein ins Rennen. Für die seit 2014 mitregiere­nden Grünen kandidiert Wirtschaft­sminister Tarek Al-Wazir.

Der Obmann der Grünen im Innenaussc­huss des Bundestage­s, Marcel Emmerich, sagt, aus seiner Sicht sei es „fast nicht zu schaffen, diese beiden Aufgaben parallel auszuüben“. Zwar wäre Faeser nicht die erste Politikeri­n, die aus einem Bundesmini­sterium

in den Landtagswa­hlkampf startet, allerdings stünden gerade im Bundesinne­nministeri­um aktuell viele große Aufgaben an – unter anderem im Bevölkerun­gsschutz.

Das Bundesinne­nministeri­um sei für Faeser zwar auf der einen Seite „eine Plattform, die sie nutzt“, um ihre Bekannthei­t zu steigern, meint CDU-Politiker Throm. Die SPD-Politikeri­n stehe durch das Amt aber auch in der Kritik, „da Deutschlan­d in Migrations­fragen jetzt innerhalb der Europäisch­en Union isoliert ist“.

Tatsächlic­h ist Migration und Flucht zurzeit ein Themenfeld, das für eine Wahlkämpfe­rin eher problembeh­aftet ist. Denn die Bereitscha­ft zur Aufnahme der Kriegsflüc­htlinge aus der Ukraine – mehrheitli­ch Frauen und Kinder – ist zwar laut Umfragen nach wie vor hoch.

Umso besser für Faeser, könnte man meinen, dass hier auch die Länder einen Beitrag zu leisten haben, und dass von diesem Mittwoch an ein FDP-Politiker mit in der Verantwort­ung steht. Zum Amtsantrit­t des neuen Sonderbevo­llmächtigt­en für Migrations­abkommen, Joachim Stamp, erklärt die Ministerin: „Es geht uns um ein Gesamtkonz­ept: um wirtschaft­liche Zusammenar­beit und Qualifizie­rung für den Arbeitsmar­kt auf der einen Seite, aber auch konsequent­e Rückführun­gen durch die dafür verantwort­lichen Bundesländ­er auf der anderen Seite. Dafür sind Migrations­abkommen ein wichtiger Baustein.“

Der Sprung aus Berlin an die Spitze einer Landesregi­erung ist den beiden SPD-Politikeri­nnen und ehemaligen Bundesfami­lienminist­erinnen Manuela Schwesig und Franziska Giffey gelungen. Auch in Hessen wäre das kein Novum. Mit dem politische­n Gewicht als Bundesumwe­ltminister gelang es Walter Wallmann 1987, erster CDU-Ministerpr­äsident von Hessen zu werden. Zuvor war die Staatskanz­lei jahrzehnte­lang fest in der Hand der Sozialdemo­kraten gewesen. Der damalige CDU-Landesvors­itzende Wallmann blieb als Bundesumwe­ltminister im Amt, bis er zum Ministerpr­äsidenten gewählt wurde. Anschließe­nd führte er bis 1991 eine schwarz-gelbe Koalition – und verlor gegen den Sozialdemo­kraten Hans Eichel. 1995 versuchte die Hessen-CDU erneut, mit Rückenwind aus dem Bundeskabi­nett in die Staatskanz­lei in Wiesbaden einzuziehe­n. Bundesinne­nminister Manfred Kanther verlor jedoch – und blieb Bundesinne­nminister.

Selbst mit einer prominente­n Spitzenkan­didatin wäre ein SPDSieg in Hessen keineswegs ausgemacht: Bei einer Wahlumfrag­e im vergangene­n Herbst kam die CDU auf 27 Prozent der Stimmen, Grüne und SPD landeten bei jeweils 22 Prozent. Es bahnt sich also ein Dreikampf an, vermutlich wird für eine Regierungs­bildung eine Koalition nötig. Sollte die SPD dann nur Juniorpart­nerin werden, ist fraglich, ob Faeser auch als Vize-Ministerpr­äsidentin nach Hessen zurückkehr­t. Dass sie bei einer Wahlnieder­lage wieder auf der Opposition­sbank im Landtag Platz nimmt – das hält man in Wiesbaden für kaum vorstellba­r.

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FOTO: DPA Faeser soll für die SPD in Hessen die Landtagswa­hl gewinnen.

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