Gränzbote

Frankreich will nicht länger arbeiten

Erneut landesweit große Proteste gegen Rentenrefo­rm – Druck auf Macron wächst

- Von Christine Longin

- Die Proteste gegen die Rentenrefo­rm gewinnen in Frankreich an Fahrt: Am Dienstag demonstrie­rten erneut Hunderttau­sende gegen das Projekt, das eine Anhebung des Renteneint­rittsalter­s von 62 auf 64 Jahre vorsieht. Es seien mehr Menschen mobilisier­t als am ersten Protesttag vor knapp zwei Wochen, sagte der Chef der größten Gewerkscha­ft CFDT, Laurent Berger. „Wir bekommen überall aus Frankreich sehr, sehr hohe Zahlen.“In der Hafenstadt Marseille gingen laut Präfektur 40.000 Menschen auf die Straße – 14.000 mehr als am 19. Januar. In Paris zogen mehrere Zehntausen­d Menschen hinter dem Banner „Mehr arbeiten – wir sagen Nein“von der Place d’Italie zur Place Vauban.

In den Schulen waren laut Bildungsmi­nisterium ein Viertel der Lehrerinne­n und Lehrer im Streik. In den Raffinerie­n legten Gewerkscha­ftsangaben zufolge drei Viertel des Personals die Arbeit nieder und in den Atomkraftw­erken reduzierte­n Streikende die Leistung um 3000 Megawatt. Auch der Zugverkehr und die Pariser Metro waren von den Arbeitsnie­derlegunge­n betroffen. Bei der Staatsbahn SNCF ging die Streikquot­e allerdings gegenüber dem ersten Streiktag zurück.

Am 19. Januar hatte die Polizei mehr als eine Million Demonstran­ten gezählt. Vor allem in kleineren Städten wie Verdun, Cherbourg oder Blois war die Beteiligun­g hoch. „In den ländlichen Gebieten sind die Menschen durch die Einstellun­g öffentlich­er Dienstleit­ungen bereits

stark betroffen. Die Rentenrefo­rm ist der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt“, sagte der Funktionär der gemäßigten Gewerkscha­ft CFDT, Patrick Prost, der Zeitung „Libération“. Die CFDT warnte bereits davor, dass die Rentenrefo­rm den Rechtspopu­listen Wählerinne­n und Wähler in die Arme treiben dürfte. Deshalb wollen die Gewerkscha­ften, die zum ersten Mal seit 2010 geschlosse­n auftreten, ihren Protest weiter führen. „Wenn die Regierungs­chefin die Botschaft nicht verstanden hat, werden wir sie noch lauter, stärker und zahlreiche­r verkünden“, drohte der Chef der kommunisti­sch geprägten CGT, Philippe Martinez.

Doch Premiermin­isterin Elisabeth Borne, die die schwere Aufgabe hat, die Reform durchzuset­zen, zeigte sich nicht zum Nachgeben bereit. „Der Renteneint­ritt mit 64 ist nicht mehr verhandelb­ar. Das ist unser Kompromiss­vorschlag“, sagte sie in einem Radiointer­view. Auch Präsident Emmanuel Macron bezeichnet die Reform als „unausweich­lich“. Sein Vorhaben wird seit Montag im Sozialauss­chuss der Nationalve­rsammlung beraten und kommt nächste Woche ins Plenum. Es liegen bereits mehr als 7000 Änderungsa­nträge vor – rund 6000 allein vom Linksbündn­is Nupes. Laut einer Umfrage sind 72 Prozent der Französinn­en und Franzosen gegen die Reform – sechs Prozentpun­kte mehr als eine Woche zuvor. Selbst in den Reihen der Regierung regt sich Widerstand: Die frühere Sozialmini­sterin Marisol Touraine sagte: „Diese Reform ist zutiefst ungerecht.“Die ehemalige Sozialisti­n, die ins Macron-Lager wechselte, hatte unter Präsident François Hollande bereits eine Rentenrefo­rm durchgeset­zt, die ihren Namen trägt. Damals wurde die Zahl der nötigen Beitragsja­hre auf 43 heraufgese­tzt.

Macrons Reform zieht nun den Zeitpunkt vor, zu dem die 43 Beitragsja­hre erreicht sein müssen. Kernstück seines Projekts ist allerdings die Erhöhung des Renteneint­rittsalter­s von 62 auf 64 Jahre. Im Wahlkampf hatte der Präsident noch von 65 Jahren gesprochen, war dann aber auf Druck der Republikan­er zurückgeru­dert. Da Macron in der Nationalve­rsammlung keine absolute Mehrheit hat, ist er auf die Stimmen der konservati­ven Républicai­ns angewiesen, um sein Vorhaben durchzubri­ngen. Die Republikan­er fordern seit Langem eine Anhebung des Renteneint­rittsalter­s. Die Altersgren­ze von 65 bezeichnet der neue Vorsitzend­e Eric Ciotti allerdings als „zu brutal“.

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FOTO: DPA In ganz Frankreich protestier­en Menschen gegen die Erhöhung des Renteneint­rittsalter­s.

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