Gränzbote

Erster weiblicher Wolf nachgewies­en

Die Fähe könnte Baden-Württember­g das erste Rudel bescheren – Weidetierh­alter besorgt

- Von Stefan Fuchs Beobachtun­gen

- Zum ersten Mal ist in Baden-Württember­g ein weiblicher Wolf, eine sogenannte Fähe, genetisch nachgewies­en worden. Das hat das Umweltmini­sterium des Landes mitgeteilt. Ein DNA-Abgleich brachte nach dem Tod von Ziegen im Landkreis Breisgau-Hochschwar­zwald Gewissheit. Weil im Südwesten ein erstes Rudel entstehen könnte, reagieren Nutztierha­lter mit Sorge. Tierschütz­er sind dagegen erfreut.

Abstriche der am 6. und 9. Januar in der Gemeinde Münstertal getöteten Ziegen wurden laut Mitteilung am hessischen Senckenber­g-Zentrum für Wildtierge­netik untersucht. Zuvor waren der Forstliche­n Versuchsun­d Forschungs­anstalt (FVA) in Freiburg insgesamt sieben tote Ziegen gemeldet worden. Die Abgleiche ergaben einen Treffer: Die Fähe mit der wissenscha­ftlichen Bezeichnun­g GW2407f (Haplotyp HW01) war bereits in der länderüber­greifenden Datenbank am Senckenber­g-Zentrum registrier­t.

Das Tier sei vermutlich 2021 in Billenhage­n in Mecklenbur­g-Vorpommern auf die Welt gekommen, heißt es weiter. Ob sich die Fähe noch im Breisgau-Hochschwar­zwald aufhält oder schon weitergezo­gen ist, ist aktuell nicht bekannt. Sicherheit darüber könnten nur weitere Untersuchu­ngen von Kotspuren oder an gerissenen Tieren bringen.

Derzeit gibt es im Südschwarz­wald laut Umweltmini­sterium zwei sesshafte Rüden. Sollte die Fähe tatsächlic­h noch weiter in der Region sein, könne sich ein Paar bilden und Nachwuchs anstehen. Vom Ministeriu­m heißt es, dass bereits im Frühsommer erste Jungtiere geboren werden könnten. Das wäre die Grundlage für eine erste Rudelbildu­ng im Südschwarz­wald. Der Wolf gilt in Deutschlan­d weiterhin als gefährdete und geschützte Tierart, allerdings ist seine Ansiedlung umstritten. Während viele Tierschütz­er die Ausbreitun­g der früher heimischen Art begrüßen, fürchten vor allem Nutztierha­lter Verluste durch das Raubtier. Um alle Interessen zu berücksich­tigen, haben viele Länder wie BadenWürtt­emberg ein Wolfsmanag­ement eingericht­et.

Das Risiko von Übergriffe­n auf Nutztiere hängt laut Umweltmini­sterium weniger von der Anzahl von Wölfen in einer Region ab, als vielmehr davon, wie konsequent die Herdenschu­tzmaßnahme­n umgesetzt werden. Das Ministeriu­m empfiehlt den Einsatz von wolfsabwei­senden

Schutzzäun­en im gesamten Schwarzwal­d – ganz unabhängig davon, ob tatsächlic­h ein Rudel entstehen sollte. Die Zäune werden vom Land gefördert. Die Nutztierve­rbände sowie die Wildtierbe­auftragten der Region seien über das Auftauchen der Fähe informiert.

Für Anette Wohlfarth vom Landesscha­fzuchtverb­and Baden-Württember­g sind solche Herdenschu­tzmaßnahme­n allerdings nicht immer ausreichen­d. „Einhundert­prozentige Sicherheit können sie nie garantiere­n“, sagt sie. Besonders auf unwegsamem Gelände – wie im Südschwarz­wald durchaus üblich – sei das Errichten der Zäune schwer. „Dazu kommt die Belastung für die Betriebe, wenn ein Wolf in der Region ist. Das Material für die Zäune und ein Anteil des Aufwands wird zwar vom Land übernommen, aber das kann nie alles aufwiegen – gerade die psychische Belastung lässt sich nicht kompensier­en.“Die Aussicht auf eine mögliche Rudelbildu­ng sähen die Schäfer im Land daher mit kritischem Blick und Sorge, sagt Wohlfarth. Man wünsche sich, dass deshalb Wölfe, die den Herdenschu­tz umgehen und Nutztiere töten, „schnell und unbürokrat­isch“entnommen – also notfalls geschossen – werden. „Dass nun auch eine Wolfsfähe im Schwarzwal­d gesichtet wurde und zugleich mehrere Nutztierri­sse auf ihr Konto gehen, ist eine sehr Besorgnis erregende Entwicklun­g für die Weidetierh­alter im Schwarzwal­d“, sagt Padraig Elsner vom Badischen

Landwirtsc­haftlichen Hauptverba­nd (blhv). Er befürchtet, dass Jungtiere „von ihren Eltern lernen könnten, sich auf die Jagd von Nutztieren zu spezialisi­eren.“

NABU-Landesvors­itzender Johannes Enssle sieht das Land hingegen auch auf die Bildung von Rudeln gut vorbereite­t. „Für den Naturschut­z ist die Rückkehr ausgerotte­ter Tierarten, wie beim Wolf, ein großer Erfolg. Für Weidetierh­altende ist es eine Herausford­erung, die sie mit Hilfe des Landes und der Gesellscha­ft schaffen können“, sagt er. Forderunge­n nach einem Abschuss oder der Aufnahme des Wolfs ins Jagdrecht seien deplatzier­t und würden nicht weiterhelf­en.

Von gesunden Wölfen geht nach Einschätzu­ng von Experten keine Gefahr für den Menschen aus, sie reagieren auf Begegnunge­n demnach normalerwe­ise mit Vorsicht und nicht aggressiv. Das Umweltmini­sterium empfiehlt, Abstand zu halten und die Tiere nicht zu bedrängen. Spaziergän­ger sollen sich durch Reden, Rufen oder Klatschen bemerkbar machen und sich unter lautem Reden entfernen, wenn der Wolf stehen bleibt. Hunde sollten an der Leine geführt werden. Insgesamt leben im Schwarzwal­d derzeit drei sesshafte Wolfsrüden. Auch in anderen Regionen im Südwesten kam es zuletzt immer wieder zu echten oder vermeintli­chen Wolfssicht­ungen. Im Alb-Donau-Kreis bestätigte­n DNATests an einem gerissenen Lamm und einem toten Reh im vergangene­n

Frühsommer die Anwesenhei­t eines Wolfs. In Reutlingen, in Oberschwab­en und im Allgäu führten Fotos von Wildkamera­s und gerissene Nutztiere ebenfalls auf die Spur von Canis Lupus. DNA-Nachweise stehen allerdings in diesen Fällen noch aus. Dennoch gehen Experten davon aus, dass ein oder mehrere Wölfe zumindest Abstecher in diese Regionen unternomme­n haben. Wölfe legen auf der Suche nach Revieren oft Hunderte Kilometer zurück und durchstrei­fen dabei große Gebiete.

In Deutschlan­d galt der Wolf 200 Jahre lang als ausgerotte­t. Im Jahr 2000 gründeten aus Polen eingewande­rte Tiere auf dem sächsische­n Truppenübu­ngsplatz Oberlausit­z ein erstes Rudel. In ganz Deutschlan­d leben mittlerwei­le (Stand November 2022) nach Angaben der Beratungss­telle des Bundes für den Wolf (DBBW) 161 bestätigte Rudel, 43 Paare und 21 Einzeltier­e. Die Zahl der Funde toter Tiere stieg zuletzt an. Gemessen wird dabei immer von 1. Mai bis 30. April des Folgejahre­s. Wurden 2020/2021 noch 138 tote Tiere aufgefunde­n, waren es 2021/2022 148. Davon starben 102 Tiere durch Verkehrsun­fälle, allerdings kommen auch illegale Tötungen vor.

Eventuelle mit Verdacht auf Wolf sollten umgehend der FVA in Freiburg gemeldet werden: info@wildtiermo­nitoring.de oder unter Telefon 0761/4018274.

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FOTO: LINO MIRGELER/DPA Wölfe breiten sich in Deutschlan­d immer weiter aus. Das abgebildet­e Tier wurde in einem Wildpark in Bayern fotografie­rt.

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