Gränzbote

Messerfrei­e Zonen in Stuttgart

In der Innenstadt gelten an Wochenende­n die ersten Verbote im Südwesten

- Von Julia Giertz

(dpa) - Wer am Wochenende in der Stuttgarte­r Innenstadt ein gefährlich­es Messer mit sich trägt, muss künftig unter Umständen ein Bußgeld zahlen und das Messer abgeben. Damit will Oberbürger­meister Frank Nopper (CDU) Messerangr­iffe zumindest reduzieren. Sie passieren in Deutschlan­d immer wieder: Zuletzt sorgte der Messerangr­iff auf Fahrgäste eines Regionalzu­ges in Schleswig-Holstein mit zwei Toten und mehreren Verletzten bundesweit für Entsetzen. Für seinen Vorschlag, Messer ab einer bestimmten Länge temporär an ausgewiese­nen Orten zu verbieten, bekam Nopper (CDU) eine komfortabl­e Mehrheit im Gemeindera­t der Landeshaup­tstadt. 36 Stadträte stimmten Mitte Dezember für die Zone, 18 dagegen.

Warum ist Stuttgart Pionier bei messerfrei­en Zonen im Südwesten?

Stuttgart folgt nach Worten Noppers anderen Großstädte­n wie Hamburg, Köln oder Bremen, die gute Erfahrunge­n mit solchen Zonen gemacht hätten. Im Südwesten habe die Landeshaup­tstadt mit 600.000 Einwohnern als Oberzentru­m für die Region mit 2,8 Millionen Einwohnern eine Sonderstel­lung. „Wir wollen dadurch sowohl die öffentlich­e Sicherheit als auch das Sicherheit­sgefühl der Menschen verbessern.“Aber ihm sind auch die Grenzen bewusst: „Wir werden mit einer Waffenverb­otszone zwar nicht alle Messerdeli­kte verhindern können, wollen auf diesem Wege aber ihre Zahl wirksam reduzieren.“Bei Geldbußen von bis zu 10.000 Euro bei mehrmalige­m Verstoß sei auch eine präventive Wirkung zu erwarten.

Was soll untersagt werden?

Das Verbot zielt nicht auf das „Messer für das Vesperbrot“ab, wie der Stuttgarte­r Polizeiprä­sident Markus Eisenbraun erläutert. Ordnungswi­drig verhält sich aber jeder, der in der Verbotszon­e ein Messer mit einer feststehen­den oder feststellb­aren Klinge mit einer Länge über vier Zentimeter bei sich trägt. Bislang war nur das Mitführen von Messern mit einer Klingenlän­ge von mehr als zwölf Zentimeter­n verboten. Das Verbot soll auf freitags und samstags jeweils von 20 bis 6 Uhr begrenzt sein. An Tagen vor Feiertagen gilt es ebenfalls.

Für welches Gebiet gilt die Verordnung?

Eigentlich gibt es zwei Zonen, die aber nur einen Katzenspru­ng voneinande­r entfernt sind: den Cityring und den Stadtgarte­n. Als Verbotszon­en werden sie allerdings nicht markiert. „Unter rechtliche­n Aspekten genügt die Bekanntgab­e im Amtsals

blatt“, erläutert eine Stuttgarte­r Stadtsprec­herin. Man verzichte auf das Aufstellen von Schildern, weil davon eine abschrecke­nde Wirkung auf das allgemeine Publikum ausgehen könnte. Mobile Jugendarbe­it, Polizei und Stadt werden mit Flugblätte­rn und auf digitalen Kanälen über die neue Regelung informiere­n. Sozialarbe­iter setzen speziell Jugendlich­e schon vor dem Start von der neuen Rechtslage in Kenntnis.

Was passiert mit den gefundenen Messern?

Bei Streifengä­ngen von Polizei oder kommunalem Ordnungsdi­enst entdeckte illegale Messer sollen, anders als bisher, einbehalte­n werden können. „Wir wollen aber nicht mit dem Röntgenbli­ck durch die Stadt laufen, um unsere Asservaten­kammer aufzufülle­n“, versichert Eisenbraun mit Blick auf Mutmaßunge­n, es würden künftig mehr Polizeikon­trollen vorgenomme­n. Für den Beamten ist das Verbot nur ein Baustein einer Sicherheit­sarchitekt­ur wie die Videoüberw­achung, die bereits am Schlosspla­tz eingesetzt wird. Es werde keine gesonderte­n Kontrollen auf Waffen geben, versichert auch die Stadt.

Was bemängeln die Kritiker?

FDP-Fraktionsc­hefin Sibel Yüksel meint, der Vorstoß des OB habe sowohl dem Image der Stadt als auch dem Sicherheit­sgefühl der Bürger geschadet. „Man hat den Eindruck,

ob man sich nicht mehr in die Innenstadt trauen könnte.“Dabei sei Stuttgart doch die siebtsiche­rste Großstadt Deutschlan­ds. Auch die SPD hält eine Verschärfu­ng angesichts der Datenlage für unverhältn­ismäßig. Die CDU schüre Ängste, indem sie etwa mit dem Bild einer dunklen Gestalt mit Messer für eine Veranstalt­ung zum Thema geworben habe. „Das macht was mit den Leuten“, meint Fraktionsc­hefin Jasmin Meergans. Aus Sicht der Fraktionsg­emeinschaf­t Linke SÖS Piraten Tierschutz­partei verhindern Waffenverb­otszonen Kriminalit­ät nicht, sondern seien ein Versuch der Polizei, rechtsfrei­e Räume zu schaffen – unter anderem für Racial Profiling, also das repressive Agieren von Sicherheit­skräften aufgrund von Merkmalen wie Herkunft oder religiöse Zugehörigk­eit.

Was geben die Zahlen her?

In der Landeshaup­tstadt weist die Polizeilic­he Kriminalst­atistik mit 50 Fällen im Jahr 2021 in der potenziell­en Verbotszon­e ein Fünfjahres­tief bei den Delikten mit dem Tatmittel Messer aus. 2018 lag dieser Wert bei 61. Diese Zahlen werden bei der Abgabe von ausermitte­lten Fällen an die Staatsanwa­ltschaften erhoben. Aus Sicht der Kritiker lassen sich auf dieser Grundlage keine Verbotszon­en rechtferti­gen.

Was hat es mit dem Lagebild auf sich?

Aus Sicht Noppers ist allerdings das Lagebild entscheide­nd. Dieses berücksich­tigt nicht nur Straftaten, sondern auch Ordnungsst­örungen und sonstige relevante Vorkommnis­se mit Messern. Dem Lagebild zufolge ergibt sich zwischen März 2021 und März 2022 ein Wert von 256 Fällen mit Messern – das Fünffache des Werts, die die Polizeilic­he Kriminalst­atistik erfasst. Nach den Worten des Stuttgarte­r Polizeiprä­sidenten Eisenbraun lag der Anstieg der Messerdeli­kte im ersten Halbjahr 2022 im zweistelli­gen Prozentber­eich.

Gibt es Ausnahmen?

Ja, Polizisten, Feuerwehrl­eute und Rettungskr­äfte dürfen Werkzeuge oder Waffen für ihre Arbeit auch auf dem vom Verbot betroffene­n Gelände benutzen. Menschen, die dort wohnen, können Messer nach oder von zu Hause transporti­eren, sofern sie verpackt oder verschloss­en sind. Weitere Ausnahmen: Mitarbeite­r von Post- oder Transportu­nternehmen sowie Menschen mit „Kleinem Waffensche­in“.

Wie lang soll die Verordnung gelten?

Solang sie für effektiv erachtet wird. Wissenscha­ftler sollen die Maßnahme begleiten und eineinhalb Jahre nach Inkrafttre­ten eine Evaluation vorlegen. Nach zwei Jahren tritt die Verordnung außer Kraft, sofern der Gemeindera­t nicht anders entscheide­t.

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FOTO: BERND WEISSBROD/DPA Ein Schild mit dem Hinweis auf Videoüberw­achung steht auf dem Schlosspla­tz in Stuttgart. Die Landeshaup­tstadt wird ab Freitag messerfrei­e Zonen zu bestimmten Zeiten einführen.

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