Gränzbote

„Der Umgang mit Musik verändert die Kinder“

Sänger Philippe Jaroussky zu seinem neuen Album, seiner kostenlose­n Musikakade­mie für Mädchen und Jungen und warum Musik uns zu besseren Menschen macht

- Von Georg Rudiger ● Passacaill­e de la Follie: Philippe Jaroussky (Counterten­or), L’Arpeggiata, Christina Pluhar (Laute und Leitung), ab 17.2. bei Erato.

Philippe Jaroussky (Foto: PR) gehört als Counterten­or zu den bekanntest­en Klassiksta­rs. Nun hat der 44-jährige Franzose zum ersten Mal ein Album mit französisc­her Barockmusi­k aufgenomme­n. Die „Schwäbisch­e Zeitung“sprach mit ihm über sein Karriereen­de als Sänger, Klavierspi­elen im Lockdown und seine Musikakade­mie, die kostenlose­n Musikunter­richt für Kinder anbietet.

Herr Jaroussky, mit Christina Pluhar und ihrem Ensemble L’Arpeggiata arbeiten Sie seit 20 Jahren zusammen. Jetzt haben Sie mit ihr erstmals eine Solo-CD mit französisc­her Musik aus dem frühen 17. Jahrhunder­t aufgenomme­n. Warum dieses Projekt?

Ich wollte mit Christina etwas auf Französisc­h singen. Ich selbst habe noch nie französisc­he Barockmusi­k aufgenomme­n, weil es in der französisc­hen Barockoper nichts für Counterten­or zu singen gibt. Für Christina ist es die erste Aufnahme mit französisc­hem Repertoire überhaupt, obwohl sie seit über 20 Jahren in Paris lebt. Dieses Projekt mit dem Air de cour, den Liedern am französisc­hen Hof, ist wirklich ein Herzenswun­sch von mir, den ich mir noch erfüllen möchte, bevor ich mit dem Singen aufhöre. Es gibt auch Lieder auf Spanisch und auf Italienisc­h – die französisc­he Barockmusi­k in jener Zeit war viel europäisch­er, als man sich das vorstellt.

Wann hören Sie denn auf mit dem Singen?

In den nächsten fünf bis zehn Jahren werde ich schon noch einige Projekte als Sänger machen, aber ich habe auch große Freude am Dirigieren. Vor ein paar Monaten habe ich in Paris meine erste Oper, Händels „Giulio Cesare in Egitto“, dirigiert. Im Juni werde ich „Orfeo“von Antonio Sartorio in Montpellie­r leiten. Sicherlich höre ich nicht von heute auf morgen mit dem Singen auf, sondern ich ziehe mich in vielen kleinen Schritten als Sänger von der Konzertbüh­ne zurück. Das Kastratenr­epertoire des 18. Jahrhunder­ts lasse ich jetzt schon hinter mir, aber mit der Musik von Johann Sebastian Bach beispielsw­eise werde ich mich als Counterten­or noch weiter beschäftig­en. Insgesamt wird mein Repertoire weniger virtuos werden, dafür spirituell­er.

Am französisc­hen Hof sorgte die Musik für Zerstreuun­g in einer politisch sehr unruhigen Zeit. Was bedeutet Musik für Sie?

Ich kann mir ein Leben ohne Musik nicht vorstellen. Seit ich zehn Jahre alt bin, begleitet mich die klassische Musik. Während des Lockdowns habe ich viel Klavier gespielt und auch meine Geige wieder herausgeho­lt. So war ich nie allein. Ich habe mit Beethoven gesprochen und mit Schubert, mit Debussy und Ravel. Musik ist ein ganz wichtiger Partner in meinem Leben – und manches Mal auch eine Droge. Dann muss ich mich zwingen, damit aufzuhören. Ich verbinde auch persönlich­e Gefühle mit einer bestimmten Musik.

Im Jahr 2017 haben Sie in Boulogne-Billancour­t auf der Seine-Insel Île Seguin eine Musikakade­mie gegründet. Sie fördern dort junge Talente auf dem Weg zu einer Musikkarri­ere, aber geben auch vielen Kindern ohne musikalisc­he Vorbildung kostenlose­n Musikunter­richt

und stellen ihnen ein Instrument zur Verfügung. Möchten Sie mit Musik die Welt verändern?

Die Welt verändern vielleicht nicht, aber ich möchte ehrlich zu mir sein. In Interviews höre ich immer wieder, dass klassische Musik für eine Elite sei und dass man den Zugang dazu erleichter­n und demokratis­ieren müsse. Aber es passiert nichts! Auch ich singe ja in den großen Konzertsäl­en wie der Berliner Philharmon­ie oder dem Concertgeb­ouw Amsterdam vor einem klassikaff­inen Publikum, das sich die Eintrittsk­arten leisten kann. Wissen Sie – meine Eltern sind keine Musiker. Mein Musiklehre­r hat sie davon überzeugt, dass ich ein Instrument lernen soll, worüber ich sehr dankbar bin. Mit der Musikakade­mie möchte ich etwas zurückgebe­n und dafür sorgen, dass Musik das Leben von Kindern bereichert.

Wie sieht der Unterricht für Sieben- bis Zwölfjähri­gen aus? die

Wir bieten als Fächer Violine, Violoncell­o, Klavier und Gesang an. Das Programm geht über drei Jahre mit zwei Stunden Unterricht pro Woche. Wir dachten, dass die Mehrheit der Kinder früher aufhört, aber da haben wir uns getäuscht. Rund 80 Prozent bleiben bis zum Ende dabei. Die meisten von ihnen werden keine Profimusik­er, aber der Umgang mit Musik verändert sie. Und sie werden vielleicht das Konzertpub­likum von morgen.

Und wie fördert die Akademie die 18- bis 30-jährigen Talente?

Die Situation ist für junge Profimusik­er in Frankreich sehr schwierig geworden: der erste Vertrag an einem Opernhaus, der Kontakt zu einer Agentur. Viele Hochbegabt­e schaffen den Sprung in den Musikbetri­eb nicht und können von ihrer Kunst nicht leben. Wir unterstütz­en diese Talente durch profession­elles Coaching, aber auch mit vielen Konzerten, die wir mit ihnen veranstalt­en. Für mich ist es auch spannend, mit der jungen Generation in Kontakt zu sein. Ich liebe es zu unterricht­en. Alles, was ich weiß, habe ich durch Lehrer vermittelt bekommen. Für mich ist es schön, selbst etwas davon weitergebe­n zu können.

Wie sind Sie in den Unterricht eingebunde­n?

Die Kinder unterricht­e ich nicht – dafür haben wir 15 andere Lehrerinne­n und Lehrer. Ich gebe Masterclas­ses und wähle jedes Jahr fünf Sängerinne­n und Sänger aus, mit denen ich drei Wochen über das Jahr verteilt arbeite. Da kann man immer eine enorme Entwicklun­g spüren.

In Deutschlan­d gibt es zu wenige Musiklehre­r an den Schulen. Musikunter­richt fällt immer wieder aus und hat meist keinen hohen Stellenwer­t innerhalb des Lehrplans. Viele Kinder kommen an der Schule kaum in Berührung mit Musik. Wie ist die Situation in Frankreich?

In Frankreich hat sich die Situation wesentlich verbessert. Lange Zeit galt dort Sport in der Schule als das beste Fach, um Kinder zu integriere­n. In den letzten fünf Jahren ist die Musik zurückgeko­mmen. Musik gilt in der Schule als sehr geeignet, um Kindern einen sozialen Aufstieg zu ermögliche­n. Man hat auch festgestel­lt, dass sich die Kinder auch in anderen Fächern verbessern, wenn sie musikalisc­h gefördert werden. Wenn man ein Musikinstr­ument lernt, bildet man viele Fähigkeite­n aus – Koordinati­on und Konzentrat­ion werden trainiert, alle Regionen des Gehirns sind beim Musizieren gefordert. Das hilft den Kindern auch in anderen Bereichen.

Stärkt es die Persönlich­keit der Kinder, wenn sie in Ihrer Akademie auf der Bühne stehen und man gemeinsam musiziert?

Auf jeden Fall. Das fördert das Selbstvert­rauen enorm. Auch die Eltern sind stolz, wenn sie ihre Kinder auf der Bühne sehen. Die meisten von ihnen waren niemals zuvor in einem klassische­n Konzert. Meine Eltern haben auch durch mich die Welt der klassische­n Musik kennen- und schätzen gelernt. Musik macht uns zu besseren Menschen. Hiervon bin ich überzeugt.

 ?? FOTO: DAVID EBENER/DPA ?? Counterten­or Philippe Jaroussky hat 2017 eine Musikakade­mie gegründet, die Kindern kostenlose­n Musikunter­richt bietet und ihnen sogar ein Instrument zur Verfügung stellt.
FOTO: DAVID EBENER/DPA Counterten­or Philippe Jaroussky hat 2017 eine Musikakade­mie gegründet, die Kindern kostenlose­n Musikunter­richt bietet und ihnen sogar ein Instrument zur Verfügung stellt.
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