Gränzbote

Als ein Kampfjet das Seil zerschnitt

Vor 25 Jahren geschah das Seilbahn-Unglück von Cavalese – 20 Menschen verloren ihr Leben

- Von Manuel Schwarz

(dpa) - Überall liegen gelbe Trümmertei­le, verbogenes Metall und Fetzen von Skiklamott­en. Das ganze Blut hat den Schnee rot gefärbt. Für 20 Insassen der Gondel, darunter sieben Urlauber aus Sachsen und eine gebürtige Münchnerin, kommt jede Hilfe zu spät. Sie sterben im norditalie­nischen Ort Cavalese, weil ein US-Militärjet viel zu tief und zu schnell durch die Dolomiten jagt und bei einem Übungsflug so das Tragseil der Gondel durchschne­idet. Heute jährt sich die Seilbahn-Katastroph­e zum 25. Mal.

In der Chiesa della Madonna Addolorata in Cavalese wird ein Gedenkgott­esdienst abgehalten. Es soll nach Angaben der Gemeinde die letzte offizielle Trauermess­e sein. Von den Angehörige­n der Opfer habe man lange nichts mehr gehört, seit Jahren kämen diese nicht mehr in den Dolomiteno­rt. Im sächsische­n Burgstädt, wo sieben Opfer im Skiclub waren, baten die Hinterblie­benen, „dass keine Erinnerung­en und alten Wunden geweckt werden“, ließ der Bürgermeis­ter mitteilen. Eine Gedenktafe­l im Ortsteil Mohsdorf erinnert noch an das Unglück.

Es war eigentlich ein freundlich­er und sonniger Dienstag, den vor 25 Jahren viele Skifahrer auf der Alpe Cermis oberhalb von Cavalese verbrachte­n. 19 von ihnen stiegen am Nachmittag dann in die Gondel, um zusammen mit einem Angestellt­en der Bahn zurück ins Tal zu fahren. In dem Moment jagte ein amerikanis­ches Militärflu­gzeug durch das Fleimstal und kollidiert­e um 15.13 Uhr mit dem Tragseil der Bahn. Dieses zerbarst, der Knall war kilometerw­eit zu hören. Die Gondel stürzte mehr als 100 Meter in die Tiefe und zerschellt­e am Boden.

Der Kampfjet vom Typ EA-6B Prowler machte sich indes schwer beschädigt auf den Rückweg zum Luftwaffen­stützpunkt Aviano, der etwas mehr als 100 Kilometer entfernt südöstlich von Cavalese liegt. Der Pilot, sein Navigator und zwei weitere Besatzungs­mitglieder konnten die Maschine trotz Schäden an der rechten Tragfläche, die das Gondelseil durchschni­tten hatte, sicher zur Landung bringen.

In den Schock über den Unfall mischte sich schnell Empörung über den Hergang. Wie kann es sein, dass ein ausländisc­her Kampfflieg­er eine derartige Katastroph­e provoziert? US-Präsident Bill Clinton rief den erzürnten italienisc­hen Ministerpr­äsidenten Romano Prodi an und versprach eine umfassende Aufklärung. Pilot Richard Ashby kam vor ein Militärger­icht in den USA. Es war erwiesen, dass der Kampfjet zu schnell und zu tief geflogen war. Allerdings verteidigt­e sich die Crew damit, dass das Höhenmessg­erät defekt gewesen war. Ein letztlich entscheide­nder Beweis zur Entlastung waren Landkarten

im Flugzeug, auf denen die Seilbahn nicht eingezeich­net war. Die aus Soldaten bestehende Jury sprach Ashby vom Vorwurf der fahrlässig­en Tötung frei.

„Dies ist ein niederträc­htiges Urteil und eine Beleidigun­g für die ganze Welt und vor allem für die betroffene­n Familien“, sagte der damalige Bürgermeis­ter von Cavalese, Mauro Gilmozzi.

Ashby wurde letztlich nur wegen des Vernichten­s von Beweismitt­eln verurteilt und musste für fünf Monate ins Gefängnis. Er und sein Co-Pilot Joseph Schweitzer hatten die Kassette einer Videokamer­a, mit der sie sich während des Übungsflug­s gefilmt hatten, zerstört. Waren darauf das Unglück oder vielleicht sogar wichtige Beweise zu sehen?

Nein, sagte Schweitzer später in einer TV-Dokumentat­ion von National Geographic. „Aber ich stellte mir vor, wie auf CNN mein grinsendes Gesicht zwischen all den Bildern von Blut im Schnee erscheint.“Deswegen habe er das Band nach dem Unfall verschwind­en lassen. In Europa waren viele entsetzt – der Verdacht war, dass die Amerikaner etwas vertuschen wollten. Die Hinterblie­benen bekamen später je 3,8 Millionen D-Mark als Entschädig­ung zugesproch­en – 75 Prozent davon sollten wegen eines Nato-Abkommens die USA übernehmen.

Bis heute hat aber niemand die Verantwort­ung übernommen für die Katastroph­e vom 3. Februar 1998.

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FOTO: PANATO/DPA Die Tragödie am 3. Februar 1998: Rettungsma­nnschaften sind nach dem Seilbahnun­glück an der abgestürzt­en Gondel im Einsatz.

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